50plus: Im besten Arbeitsalter

Wiedereinstieg / 25. April 2007, "Annabelle"

Symbolbild Thema Frauen

Her mit den über 50-Jährigen, fordern Wissenschafter, denn in der Wirtschaft zählt Erfahrung mehr als nassforsche Dynamik. Aber noch setzen erst wenige Unternehmen die Theorie in die Praxis um. Wie man es trotzdem schafft, erzählen ältere Frauen*, die sich erneut auf die Jobsuche machten.

Als ihre drei Söhne flügge waren, bekam Judith Meier-Gander Lust auf eine berufliche Neuorientierung. Nach mehr als zehn Jahren als Gerichtsschreiberin in Baden und Aarau fragte sich die Juristin, ob sie sich bei einer Vormundschaftsbehörde um eine Anstellung bemühen solle. Dies hätte einer logischen Fortsetzung ihrer bisherigen Berufstätigkeit entsprochen. Doch dann besuchte sie das «Seminar für Frauen in der Lebensmitte: Und was kommt jetzt?», ein Weiterbildungsangebot des Kantons Aargau, und spürte immer deutlicher, dass sie etwas Neues anpacken wollte. Sollte sie ihren alten Traum wahr machen und in die Entwicklungshilfe wechseln oder sich im Kulturbetrieb umschauen? Es war ihr bewusst, dass es ihr für ihren Wunschjob an Erfahrung fehlte und dass sie als über 50-Jährige eher mit Absagen zu rechnen hatte als eine 35-Jährige. Egal – sie musste aus den ausgetretenen Bahnen ausbrechen und begann mit der Stellensuche.

Die Begründung für die erste Absage lautete, sie sei, altersbedingt, zu teuer. Bei der nächsten Bewerbung wurde ihr trotz bester Eignung ein knapp dreissigjähriges Jobsharing-Paar vorgezogen. Es passierte also genau das, womit sie gerechnet hatte.

Mangel an Arbeitskräften

Dabei müsste doch langsam zu spüren sein, was seit einiger Zeit verkündet wird: Die Generation 50plus sei auf dem Arbeitsmarkt wieder gefragt, Lebenserfahrung und Treue gegenüber dem Arbeitgeber würden geschätzt. Und in naher Zukunft werde es durch den Geburtenrückgang zu einem Mangel an Arbeitskräften kommen, der dieser Generation ganz neue Chancen eröffnet. Die Wirtschaft will jedenfalls genau wissen, was auf sie zukommt. So liegen aktuelle Untersuchungen zum demografischen Wandel und dessen Auswirkungen von Avenir Suisse beziehungsweise der Zürcher Kantonalbank vor. Der 3. Ostschweizer Personaltag widmet sich am 7. Juni dem Thema «Generation Gold versus Young Generation – wie Unternehmen mit dem demografischen Wandel umgehen». Die Zürcher Gesellschaft für Personalmanagement fragt an ihrer Frühjahrstagung: «Mit 50 aufs Abstellgleis?» Firmen wie ABB oder die Post, aber auch der Arbeitgeberverband haben Strategiepapiere verfasst.

Der Zürcher Altersforscher François Höpflinger konstatiert allerdings nüchtern, dass momentan etwas viel Papier produziert werde, während Taten noch ausstehen. Mit anderen Worten: Die Akzeptanz und Förderung älterer Arbeitskräfte lässt vielerorts auf sich warten. Frauen und Männer über fünfzig haben heute noch immer Mühe, eine neue Stelle zu finden. Es sind zwar nur rund drei Prozent von ihnen erwerbslos, aber ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind beschränkt. Und nicht mitgezählt sind jene Arbeitnehmer, die gern die Stelle wechseln würden, aber nichts Neues mehr finden.

François Höpflinger sagt: «Achtzig Prozent der Personalchefs ziehen bei Neueinstellungen einen jüngeren Menschen dem älteren bei gleicher Eignung vor.» In diesen Momenten, so François Höpflinger, würden die älteren Bewerber oft Opfer nach wie vor weit verbreiteter Vorurteile. Sie gelten als unflexibel, wenn nicht gar stur, ihre Bereitschaft, sich von jüngeren Vorgesetzten führen zu lassen, wird ebenso angezweifelt wie die Zeitgemässheit ihrer Ausbildung. Dazu verursachen sie tatsächlich oft höhere Lohnnebenkosten und haben Anspruch auf mehr Ferien.

Immer im Beruf bleiben

Frauen, deren Berufsleben immer wieder von familienbedingten Unterbrüchen durchsetzt ist, müssen sich zudem oft die Frage gefallen lassen, ob es ihnen mit der Erwerbsarbeit wirklich ernst sei, weiss Erika Bleisch Imhof aus ihrer Tätigkeit als Inhaberin der Prisma Personalberatung. Sie rät ihren Kundinnen denn auch, trotz Kindern immer mindestens mit einem Teilzeitpensum im Beruf zu bleiben, fachspezifische Weiterbildung zu betreiben, sich PC-fit zu halten, anerkannte Sprachdiplome zu erwerben, sich flexibel zu zeigen in Sachen Arbeitszeit, -ort und -inhalt und sich sehr bewusst um die eigene körperliche und seelische Gesundheit zu kümmern. «Als ältere Frau muss ich selbstbewusst, dynamisch und gut gepflegt zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen», so Erika Bleisch Imhof, «sonst bin ich von vornherein chancenlos.»

Die ehemalige Gerichtsschreiberin Judith Meier-Gander weigerte sich nach den altersbedingten Absagen denn auch zu resignieren. Aber sie musste umdenken. Zum einen ging sie jetzt von sich aus auf Arbeitgeber zu, die interessante Stellen zu vergeben hatten, und wartete nicht, bis diese ausgeschrieben waren. Zum anderen war sie bereit, Abstriche beim Lohn in Kauf zu nehmen.

Mit dieser Strategie kam sie schliesslich zum Ziel. Seit einigen Wochen ist sie Geschäftsführerin im Büro des grünen Aargauer Nationalrats Geri Müller. Der Politiker, der zehn Jahre jünger ist als sie, entschied sich für seine neue 50-Prozent-Kraft, weil ihn ihr juristisches Fachwissen, ihre menschliche Erfahrung und ihre dynamische, begeisterungsfähige Persönlichkeit überzeugten. Dazu beeindruckte den Nahost-Experten, dass sie seit einigen Jahren Arabisch lernt. «Zu meiner Überraschung», erzählt sie, «habe ich das Rennen vor drei jungen, gut qualifizierten Mitbewerberinnen gemacht.»

Auch die 51-jährige Margrit Schärer hatte Glück. Sie ist Historikerin und Informatikerin, dazu nach einer vierjährigen berufsbegleitenden Zusatzausbildung diplomierte Organisatorin, sie verfügt über eine nahtlose Berufsbiografie, unterschiedliche Arbeits- und Branchenerfahrungen und verströmt ein gesundes Selbstbewusstsein. Als sie sich letztes Jahr für die Stelle einer Prozess- und Qualitätsmanagerin bei der Post bewarb, zeigte sie sich zudem flexibel in Bezug auf Arbeitsort und Pensum – und bekam eine Zusage. Beim Vorstellungsgespräch realisierte sie, dass sie in ihrem künftigen Team bei weitem die Älteste sein würde. Und sprach das Thema von sich aus an. «Das spielt bei uns keine Rolle», beruhigte man sie. Damit, so Margrit Schärer, sei ihr Alter wirklich vom Tisch gewesen.

Post fördert ältere Mitarbeitende

Nun gehört die Post seit rund zwei Jahren zu jenen Pionierunternehmen, die sich bewusst mit der Frage der Integrierbarkeit älterer Arbeitnehmender befassen. Sie stellt laufend neue Mitarbeitende über fünfzig ein, weil sie Lebens- und Berufserfahrung für «ein entscheidendes Element in einer guten Kundenbeziehung» hält. Ausserdem tut sie viel dafür, die älteren Arbeitskräfte zu motivieren, bis zur Pensionierung bei der Post zu bleiben.

Eine vielschichtige Aufgabe, sagt Altersforscher François Höpflinger: «Die Unternehmen müssen den älteren Arbeitnehmenden mehr Sorge tragen, indem sie deren Bedürfnisse nach unbezahlten Arbeitspausen, so genannten Sabbaticals, firmeninternen Stellenwechseln oder Altersteilzeitarbeit als Mittel des gleitenden Übergangs in den Ruhestand ernst nehmen und befriedigen.» Dazu müsse die Stressprophylaxe ausgebaut werden, denn nur so werde es gelingen, die Leistungsfähigkeit und Motivation der älteren Belegschaft zu erhalten. Dass es um die Motivation nicht zum Besten steht, zeigt das Ergebnis verschiedener von François Höpflinger analysierter Umfragen: Drei Viertel der Arbeitnehmenden würden sich gerne frühzeitig pensionieren lassen, wenn sie dadurch keine finanziellen Einbussen erlitten.

Gerti K. allerdings möchte so lange wie möglich berufstätig bleiben. Sie arbeitet seit sechs Jahren als Controllerin in einem grossen Industrieunternehmen. Die allein stehende Frau mag ihren Job, hat gute Kontakte zu ihren Kolleginnen und Kollegen und denkt nicht im Traum daran, sich frühzeitig pensionieren zu lassen. «Ich fühle mich noch voll im Saft», erzählt sie, «und ausserdem bin ich auf mein Einkommen angewiesen.» Ihre neue Chefin aber gibt Gerti K., der Ältesten im Team, zu verstehen, dass sie sie am liebsten loswerden würde. Sie kritisiere ständig an ihrer Arbeit herum, sagt Gerti K., und frage scheinheilig: «Sie wirken müde, Frau K. Überfordert Sie die Arbeit?» oder «Wollen Sie wirklich noch bis 63 weitermachen?» Die Bemerkungen verunsichern Gerti K. und machen sie hilflos. In der letzten Zeit erwacht sie mitten in der Nacht aus Alpträumen, die sich immer um dasselbe Thema drehen: ihre drohende Entlassung.

Weniger Frauen im Arbeitsmarkt

Von den 55- bis 64-jährigen Frauen waren im Jahr 2006 nur noch 57 Prozent erwerbstätig, während 77 Prozent der Männer der gleichen Altersgruppe bezahlter Arbeit nachgingen. Stress, Belastungen am Arbeitsplatz, aber auch familiäre Pflichten wie das Betreuen betagter Angehöriger führten dazu, dass sich vor allem Frauen, die einen so genannten Ernährer an ihrer Seite haben, frühzeitig pensionieren liessen. Diese Entwicklung, fordert die Ökonomin Heidi Schelbert, müsse gestoppt werden: «Nur wenn das Humankapital Frau besser und länger auf dem Arbeitsmarkt integriert werden kann, lassen sich die Folgen des demografischen Wandels bewältigen.»

Es gibt bereits heute Branchen, in denen der Wert erfahrener Arbeitskräfte erkannt und geschätzt wird. Dazu gehören der Sozial-, der Bildungs- und der Pflegebereich. So hat sich beispielsweise in Spitälern gezeigt, dass ältere Pflegefachfrauen, die über ein profundes Wissen im Umgang mit Leid und Sterben verfügen und damit auch Strategien gegen das eigene Ausbrennen kennen, einem Team mehrheitlich jüngerer Kolleginnen gut tun und die Kündigungsraten tief halten. François Höpflinger weiss zudem, dass Firmen, die in China Geschäfte tätigen, inzwischen davon Abstand nehmen, nur junge Verhandlungspartner nach Asien zu schicken. Der Grund: «Die Chinesen respektieren nur einen älteren Menschen als ernst zu nehmenden Geschäftspartner.» Im Detailhandel greift man gern auf ältere Kassierinnen oder Verkäuferinnen zurück, da sie das Geschäft kennen und flexibel sind. In hochpreisigen Warenhäusern allerdings mutet man der Kundschaft in der Regel nur junges Personal zu; da gilt die ältere, vielleicht fülligere Verkäuferin schnell einmal als nicht mehr präsentabel.

Sobald aber von Seiten der Kundschaft, zu der zunehmend ältere kaufkräftige Männer und Frauen gehören, der Wunsch nach einer reifen Ansprechperson, einem älteren Verkäufer oder einer erfahrenen Kundenberaterin, geäussert wird, reagieren die Firmen prompt. So setzt etwa die Basler Kantonalbank ein Dutzend pensionierte Mitarbeiter ein – für die Beratung von Senioren.

Fixes Rentenalter noch zeitgemäss?

Je gesünder, leistungsfähiger und dynamischer die Menschen im Alter bleiben, umso drängender stellt sich auch die Frage, ob ein fixes Rentenalter noch zeitgemäss ist. Die Studien von Avenir Suisse und der Zürcher Kantonalbank fordern, dass das Pensionsalter flexibler gehandhabt und die Lebensarbeitszeit verlängert werden müsse. Bereits heute sind zwölf Prozent der über 65-jährigen Männer und fünf Prozent der Frauen weiterhin erwerbstätig.

Eine davon ist die 67-jährige Klara Obermüller, Publizistin, Buchautorin und langjährige Redaktorin und Moderatorin der «Sternstunde» des Schweizer Fernsehens. Die Hände in den Schoss legen? «Gott bewahre», sagt sie. Klara Obermüller wurde vor fünf Jahren pensioniert und geriet nach vierzigjähriger Berufstätigkeit in eine Identitätskrise. «Ich hatte Angst vor der Leere», erzählt sie, «und wusste nicht, ob ich ohne Job überhaupt noch etwas wert bin.»

Schliesslich habe ihr ganzes Leben aus Arbeit bestanden. Kinder hat sie keine, Hobbys auch nicht. Damit repräsentiert die promovierte Philosophin einen Frauentyp, der künftig häufiger anzutreffen sein wird: hoch qualifiziert, kinderlos und durchgehend erwerbstätig. Gleichzeitig wird damit ein Phänomen auftauchen, das man bisher nur von Männern kannte: die Post-Pensionierungs-Depression.

Gut gefüllte Agenda

Klara Obermüller hat ihre depressive Verstimmung bekämpft, indem sie sich selbstständig machte und als freie Publizistin weiterarbeitete. Als Erstes hat sie das viel beachtete Buch «Ruhestand – nein danke!» geschrieben, sie verfasst Artikel für die «NZZ am Sonntag», hält Vorträge und moderiert Podiumsgespräche, ihre Agenda ist gut gefüllt und sie wieder zufrieden. «Ich fühle mich genauso leistungsfähig wie eh und je», sagt sie, «und kann beispielsweise immer noch unter Zeitdruck schreiben.» Vielleicht sei sie mit dem Alter etwas empfindlicher geworden und verkrafte eine berufliche Kritik oder Absage etwas schlechter. Über altersbedingte Diskriminierungen könne sie sich allerdings nicht beklagen: «Ganz im Gegenteil. Schliesslich bin ich mit 56 Jahren noch ‹Sternstunde›-Redaktorin geworden und konnte sogar am Bildschirm auftreten.»

Ihrer beruflichen Zukunft sieht sie einigermassen gelassen entgegen. Solange sie gesund sei und die Arbeit ihr Spass mache, werde sie weiterfahren wie bisher und, sie lacht, «auf die Gnade hoffen, eines Tages loslassen zu können».

Margrit Schärer wurde als 50-Jährige von der Post als Prozessmanagerin angestellt. Lebens- und Berufserfahrung sind für die Post ein «entscheidendes Element in einer guten Kundenbeziehung».
Judith Meier-Gander managt das Büro des grünen Aargauer Nationalrats Geri Müller. Ihr Wissen, ihre Lebenserfahrung und ihre Dynamik zählten mehr als die Jugendlichkeit der Mitbewerberinnen.
Klara Obermüller, langjährige Weltwoche-Autorin und «Sternstunde»-Moderatorin, geriet nach der Pensionierung vor fünf Jahren in eine Identitätskrise und beschloss, als selbstständige Publizistin weiterzuarbeiten. Solange sie gesund sei, werde sie weitermachen.

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© Barbara Lukesch