Das Zauberwort heisst Schlichtung

Arbeitskonflikte / 26. April 2001, "Die Weltwoche"

Symbolbild Thema Frauen

Schlichtungsstellen liegen im Trend und bewähren sich seit Jahren, beispielsweise zur Beilegung von Streitigkeiten im Mietwesen. Ganz im Sinne der einvernehmlichen Konfliktlösung sind auch zunehmend Mediatoren und Mediatorinnen damit beschäftigt, Konflikte in Schulen und unter Nachbarn oder Scheidungen so friedlich wie möglich und ohne Beanspruchung der Justiz abzuwickeln.

Expertinnen kamen deshalb auf die Idee, die Methode des Schlichtens im Interesse der Frauen auch im Erwerbsleben anzuwenden, etwa bei Diskriminierungen wie sexueller Belästigung, Lohnstreitigkeiten oder missbräuchlichen Kündigungen. Der Gesetzgeber liess sich davon überzeugen und verpflichtete im Gleichstellungsgesetz alle Kantone, eine Schlichtungsstelle neu einzurichten oder deren Aufgaben an eine bestehende Behörde zu delegieren. Die Hoffnung, dass man betroffene Frauen dank eines formlosen, unentgeltlichen Vermittlungsverfahrens dazu ermutigen könne, sich vermehrt gegen geschlechtsspezifische Diskriminierungen in Unternehmen oder Behörden zu wehren, war gross. Man war überzeugt, dass es gelingen würde, manchenorts "eine nicht wiedergutzumachende Verschlechterung des Arbeitsklimas zu vermeiden und insbesondere das Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten". (Kommentar zum Gleichstellungsgesetz)

Diese Hoffnung hat sich fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes weitgehend zerschlagen. Die meisten Frauen, die eine Schlichtungsstelle anrufen, haben nach Aussagen der Basler Rechtsanwältin Elisabeth Freivogel "bereits gekündigt, wurden schon entlassen oder sind beruflich so gut qualifiziert, dass sie eine Entlassung riskieren und jederzeit eine neue Stelle finden können." Frauen in ungekündigter Stellung, die sich den Verlust des Arbeitsplatzes nicht leisten können, so die Expertin, würden die Schlichtungsstellen auch bei schweren Diskriminierungen nicht anrufen.

Mit Kündigungen ist zu rechnen

Mit Kündigungen müssen Arbeitnehmerinnen, die aufbegehren, nämlich rechnen, wie das Beispiel der Aargauerin Clara M. zeigt. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass sie jeden Monat mehr als tausend Franken weniger verdiente als ein Arbeitskollege in vergleichbarer Position. Empört schloss sie eine Rechtsschutzversicherung ab und war drauf und dran, vor Arbeitsgericht zu gehen. Per Zufall stiess sie auf die Schlichtungsstelle für Gleichstellungsfragen des Kantons Aargau und entschloss sich, zunächst das niederschwellige Hilfsangebot zu nutzen. Tatsächlich konnte sie sich mit ihrem Arbeitgeber in einem Vergleich darauf einigen, dass ihr rückwirkend auf fünf Jahre tausend Franken mehr pro Monat bezahlt wurden, also die stattliche Summe von 65'000 Franken. Während des ganzen Verfahrens und einem zusätzlichen halben Jahr war sie gesetzlich gegen eine Kündigung geschützt. Schon am ersten Tag nach Ablauf dieser Frist kündigte ihr der Arbeitgeber.

Während des Schlichtungsverfahrens sind die Betroffenen oftmals einer grossen Belastung ausgesetzt. Sie werden an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ihre Kritik und ihre Aussagen werden in Zweifel gezogen, sie müssen sich intimen und als peinlich empfundenen Befragungen aussetzen und fühlen sich nicht selten wie auf einem Spiessrutenlauf. Sie machen also dieselben negativen Erfahrungen wie die meisten Frauen, die vor Gericht gehen.

Dennoch haben in der Schweiz inzwischen 110 Frauen Schlichtungsstellen angerufen und damit das kostenlose und Zeit sparende Dienstleistungsangebot genutzt. Gemäss Angaben des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung steigt die Zahl der Beschwerdeführerinnen jährlich an, ist aber je nach Grösse und Struktur der Kantone sehr unterschiedlich verteilt. Die Schlichtungsstellen in Zürich, Bern, Basel und jene im Tessin werden am häufigsten frequentiert. So wurde zum Beispiel die Zürcher Stelle im vergangenen Jahr mit 13 Begehren konfrontiert und erfuhr damit eine Verdoppelung ihrer Geschäftslast. In Bern treffen zwischen sieben und acht Anfragen pro Jahr ein, was allerdings nach Aussagen von Präsidentin und Rechtsanwältin Marianne Jacobi "viel zu wenig ist angesichts der grossen Zahl von Diskriminierungen, die Frauen täglich am Arbeitsplatz erfahren."

Gleicher Lohn: das Top-Thema

In rund einem Drittel der Fälle kämpften die Frauen für gleichen Lohn, in knapp dreissig Prozent gegen eine diskriminierende Kündigung und in 19 Prozent gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Zwei Drittel der Klagen kamen aus der Privatwirtschaft, ein Drittel von Beschäftigten der öffentlichen Hand. Die Hälfte wurde mit einem Vergleich beendet.

Insbesondere in jenen Fällen, in denen eine Diskriminierung festgestellt und eine Entschädigungszahlung ausgerichtet wird, empfinden Frauen eine grosse Genugtuung. Denn die von beiden Parteien unterzeichneten Vergleiche sind letztlich so verbindlich wie Gerichtsurteile, auch wenn die Schlichtungsstellen juristisch gesehen keine Entscheidungsbefugnis haben, sondern lediglich einen Vermittlungsauftrag.

Einen Vergleich konnte etwa Martina G. aushandeln. Die Akademikerin arbeitete seit mehreren Jahren zur vollen Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten an verschiedenen verantwortungsvollen Positionen in einer Basler Grossfirma. Nach der Geburt ihres ersten Kindes wechselte sie in eine neue Abteilung und reduzierte ihr Pensum auf sechzig Prozent. Bald darauf wurde sie zum zweitenmal Mutter, bezog wiederum einen sechzehnwöchigen Mutterschaftsurlaub und kehrte anschliessend an ihre alte Stelle zurück. Ein knappes Jahr später wurde ihr mit der Begründung gekündigt, eine Restrukturierung mache eine Neubesetzung ihrer Stelle nötig.

Martina G. stutzte. Dank hartnäckigem Nachfragen erfuhr sie, dass ihr Pensum einem Kollegen zugeschlagen werden sollte, der nach dem Abschluss seiner Dissertation nun an einer Vollzeitbeschäftigung interessiert war. Obwohl er weniger gut qualifiziert war als Martina G., hielt die Firma den Mann offenbar für geeigneter als die zweifache Mutter, die man wegen ihrer persönlichen Situation als unberechenbar einstufte.

Martina G. beauftragte die Basler Rechtsanwältin Elisabeth Freivogel, bei der kantonalen Schlichtungsstelle ein Vermittlungsbegehren einzureichen. Die Verhandlung mündete in einen Vergleichsvorschlag, der besagte, dass G.s Kündigung einen Verstoss gegen das Gleichstellungsgesetz darstelle und die Firma ihr eine Entschädigung in Höhe von zweieinhalb Monatslöhnen auszurichten habe. Beide Seiten akzeptierten diesen Vergleich. Stossend ist nur, dass sich Martina G. gleichwohl einen neuen Job suchen musste.

Der Gang vors Gericht

Wenn ein Schlichtungsverfahren scheitert, die Betroffene aber auf ihren Ansprüchen beharrt, bleibt ihr nur der Gang ans Gericht, das sie innert dreissig Tagen anrufen muss. Seit 1996 wurden rund fünfzig Urteile zum Gleichstellungsgesetz gefällt, darunter dreissig vom Bundesgericht.

Unter den Präsidentinnen der Schlichtungsstellen hat sich mittlerweile eine gewisse Ernüchterung breit gemacht. So beobachtet die Bernerin Marianne Jacobi "einen klaren Rückgang der Anfragen." Sie ist überzeugt, dass die schwierige wirtschaftliche Lage der letzten Jahre viele Frauen zum Stillhalten veranlasst habe. Darüber hinaus nimmt sie aber auch eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem Thema Gleichstellung wahr. Zu ihrem Erschrecken hat sie überdies feststellen müssen, dass zahlreiche Richter und Richterinnen das Gleichstellungsgesetz immer noch nicht gründlich kennen.

Regula Schmid, Anwältin und Verantwortliche der Schlichtungsstelle St. Gallen, glaubt, dass die fehlende juristische Entscheidungskompetenz die Schlichtungsverfahren entwerte. Zumal im Kanton St. Gallen, wo die Anrufung der Schlichtungsstelle nicht obligatorisch ist. Etliche Frauen würden sich deshalb zum vornherein für den direkten Weg zum Arbeitsgericht entscheiden.

Unkomplizierte Lösungen

Trotzdem halten die Fachleute daran fest, dass die Schlichtungsstellen ihre Berechtigung haben. Sie erfüllen eine wichtige beratende und aufklärende Funktion, heisst es, weil sie unabhängig von den Verfahren zahlreiche telefonische Anfragen zur Gleichstellung beantworten und auf diese Art viele Probleme frühzeitig und unkompliziert lösen können. Dazu hätten sie eine präventive Wirkung, setze doch ihre blosse Existenz die Arbeitgeber vermehrt unter Druck, dem Grundsatz der Gleichstellung nachzuleben. Schlichtungsstellen taugen also auch als Machtmittel. Vielen Frauen ist es schon gelungen, allein mit der Erwähnung der Schlichtungsstelle Zugeständnisse ihrer Vorgesetzten zu erreichen. Die meisten Firmen scheuen die Publizität, die öffentliche Auseinandersetzungen um Diskriminierungen am Arbeitsplatz mit sich bringen.

So gesehen wäre es an der Zeit, dass die Schlichtungsstellen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Bisher ist es nämlich nicht gelungen, die Dienstleistung im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Selbst Frauenorganisationen und sonstige Beratungsstellen, klagt Fürsprecherin Jacobi, hätten es bisher versäumt, im gewünschten Mass auf die Einrichtungen hinzuweisen, die zwar "kein revolutionäres Mittel gegen Diskriminierung" seien, "aber gleichwohl ein sehr sinnvolles."

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© Barbara Lukesch