Löwinnen im Härtetest

Kindergeburtstage / April 2001, "Wir Eltern"

Symbolbild Thema Frauen

Kindergeburtstage geraten für viele Mütter zusehends zum Härtetest. Cornelia G. leidet unter dem Freudentag ihrer zwölfjährigen Tochter dermassen, dass sie behauptet: "Ich würde lieber nochmals gebären als eine Geburtstagsparty für Marina ausrichten." Der Stress, den sie jeweils erlebe, mache sie "nudelfertig." Die Ungewissheit, ob gute Stimmung unter den Gästen herrsche oder ständiger Streit, ob das gebotene Programm zur Zufriedenheit aller ausfalle oder schlechtes Wetter die Schatzsuche im Wald in letzter Minute verunmögliche, stelle für sie eine nervliche Belastung dar, die ihresgleichen suche. Dazu übertrage sich auch die Anspannung ihrer Tochter auf sie, die ihren Freundinnen unbedingt etwas Attraktives bieten wolle, von dem alle am nächsten Tag auf dem Pausenplatz nur das Beste erzählen.

Dieses Jahr steht Marinas Feier noch aus. Obwohl sie bereits anfangs Januar Geburtstag hatte, konnte sie sich bisher für keine Festidee begeistern. Zur Zeit wünscht sie sich eine Discoparty mit Spagettiplausch, die gegen 17 Uhr beginnt und um 22 Uhr endet. Abgesehen davon, dass der Partyraum 100 Franken Miete kostet und das Budget ihrer Mutter sprengt, fragt sich diese besorgt: "Und was machen wir dann im nächsten Jahr?"

Der Druck, der auf den Müttern lastet, ist tatsächlich gross. Da kommen ihre Kinder mit Legoschachteln unter dem Arm von einer Party heim, die doppelt so teuer sind wie die Geschenke, die das Geburtstagskind von seinen Gästen erhalten hat. Der achtjährige Maximilian war kürzlich an einer Abenteuerparty eingeladen und kehrte gegen 19 Uhr, verkleidet als Pirat und ausgerüstet mit einem hölzernen Säbel, nach Hause zurück. Von den vielen süssen Sprüngli-Luxemburgerlis, die er im Verlauf des Nachmittags verzehrt hatte, war ihm so schlecht, dass er nichts mehr zum Abendbrot essen mochte. Dessen ungeachtet forderte er von seinen Eltern, dass er seinen nächsten Ehrentag auch auf so spektakuläre Art feiern dürfe.

Ein professioneller Clown gefällig?

Geburtstagspartys mit Topfschlagen und Blinde Kuh-Spiel entlocken modernen Kids nicht mehr als ein Achselzucken. Events, Animation und Entertainment heissen stattdessen die Zauberwörter, die Kinderherzen zum Vibrieren bringen. Heutzutage haben beinahe jedes Mädchen und jeder Knabe schon einmal an einem Fest teilgenommen, an dem ein professioneller Clown oder eine Märchenerzählerin auftrat, Tischbomben gezündet oder Videofilme gedreht wurden.

Immer beliebter bei Jung und Alt sind zudem Geburtstagfeste, die man sich in Vergnügungsparks, Schwimmbädern oder anderen Kinderparadiesen ausrichten lässt. Nummer Eins unter den Partyanbietern ist klar die Schnellimbiss-Kette McDonald's, die allein im letzten Jahr 18'000 Feste organisierte, an denen rund 180'000 Mädchen und Knaben im Alter von vier bis zwölf Jahren Hamburger oder Chicken McNuggets assen, Coca-Cola tranken und sich während eineinhalb Stunden von einer eigens dafür ausgebildeten Hostess unterhalten liessen. Kostenpunkt für die entlasteten Mütter, die nicht länger Spiele zusammenstellen, Marmorkuchen backen und anschliessend Wohnungen putzen müssen: 12 Franken pro geladener Gast.

Die Migros-Restaurants haben vor einem Jahr nachgezogen und bieten ihrer Kundschaft an 35 Orten in der Schweiz sogenannte Big Partys an, die ähnlich konzipiert sind wie jene von McDonald's, mit elf Franken pro Kind etwas preisgünstiger als die Konkurrenz ausfallen und schon in den ersten zwölf Monaten stolze eintausendmal nachgefragt wurden. Das "Conyland" in Lipperswil lockt seit längerem mit drei verschiedenen Party-Angeboten, die allesamt darin gipfeln, dass das Geburtstagskind von einem Seelöwen geküsst wird und in einem von einem Delphin gezogenen Boot fahren darf. Unterschiede weisen die Flipper-Party, das Fête des Artists und Cony's Superparty primär im Menuplan und im Preis auf, der sich zwischen 19,50 und 32,50 Franken pro Kind bewegt und damit nicht mehr jedermanns Sache sein dürfte.

Zunehmende Skepsis

Tief in die Tasche müssen auch jene Eltern greifen, die das Geburtstagfest ihres Sohnes oder ihrer Tochter mit einem Zauberkünstler oder einer Profi-Fee bereichern wollen. Obwohl solche Kleinkünstler zwischen 1000 und 1200 Franken pro ein- bis zweistündigen Auftritt im privaten Kreis kosten, verzeichnen hiesige Künstleragenturen zusehends mehr Nachfragen. Marilies Düsterhaus von der Agentur Künstlerkontakt hat ein Herz auch für Familien mit schmaleren Portemonnaies und bietet diesen einen "älteren Clown" an, der schon für 500 Franken zu haben ist.

Viele Mütter und Väter stehen dem Trend zum kostspieligen, oft rein konsumorientierten Geburtstagsfest skeptisch gegenüber. Einerseits spüren sie den Konkurrenzdruck, der auf ihren Kleinen lastet und dazu führen kann, dass ein Kind, das eine spektakuläre Party ausrichtet, plötzlich zur begehrten Freundin wird und zahlreiche Gegeneinladungen erhält. Andererseits fühlen sie sich abgestossen von der sich zusehends schneller drehenden Spirale des Immer grösser, immer mehr, die nicht einmal vor Kindergärten Halt macht. Cornelia G. seufzt: "Mitunter kommt Marina nach einem Geburtstagsfest so überreizt und kaputt nach Hause, dass ich mich frage, ob solche Anlässe wirklich noch sinnvoll sind."

Was weitherum auf mehr Akzeptanz stösst, sind all jene Angebote, die die Kinder zum aktiven Teilnehmen bewegen und ihnen im besten Fall sogar Lernerfahrungen in neuen Lebensbereichen ermöglichen. Dazu gehören die Geburtstagsfeiern, die das Historische Museum Baden organisiert. Im Rahmen der Theaterparty erfinden, entwickeln und spielen die geladenen Gäste gemeinsam mit der Theaterpädagogin Schlossgeschichten. Die Museumspädagogin zeichnet für die sogenannte Spielparty verantwortlich, in deren Verlauf sie den Kindern römische Geschicklichkeits-, Brett- und Geduldsspiele zeigt. Dazu tragen die Knaben und Mädchen eine Toga. Die eineinhalbstündigen Partys kosten 120 Franken.

Ins Gehege der Affen

Im Berner Tierpark Dählhölzli hat eine bis zu zehnköpfige Gästeschar für 190 Franken Gelegenheit, sich ihr individuelles Programm zusammenzustellen. Zur Auswahl stehen Attraktionen wie Tierpflegerinnen und Tierpfleger bei der Fütterung begleiten, den Bären das Futter verstecken, selber die Seehunde füttern oder eine zahme Königspython streicheln. Das Geburtstagskind darf ins Gehege der Totenkopfäffchen, jener Tierart, die alle Kinder von Pippi Langstrumpf her kennen, und beim Füttern der zutraulichen Äffchen helfen. Nach dem Rundgang gibt es zur Stärkung eine Schokoladenschlange oder ein Froschweggli mit Schokistengel und eine Überraschung zur Erinnerung. Der Run auf diese alternative Geburtstagsfeier ist gross und übersteigt im Sommer mitunter gar die Kapazität der Betreuerinnen.

Wer es nach wie vor wagt, eine Geburtstagsfeier ohne professionelle Hilfe auszurichten, darf sich inzwischen zu den modernen Heldinnen zählen. Patricia C., die Mutter einer elfjährigen Tochter, ist eine von ihnen. Seit etlichen Jahren macht sie erfreuliche Erfahrungen mit Kinderpartys, die sie unter ein aktuelles Motto stellt. Letztes Jahr wurde zum Harry Potter-Fest geladen, in dessen Verlauf die kleinen Gäste einen Postenlauf absolvierten, zu den Klängen eines Songs der Backstreet Boys ihre erste Tanzstunde in "Hogwards" bekamen, während der sie dazu noch gefilmt wurden, ein Harry-Potter-Quiz lösen mussten und schliesslich mit einem Teller Spagetti belohnt wurden.

Die Kinder, sagt Patricia C., schätzen es ausdrücklich, dass alle an einem solchen Nachmittag "richtig viel zu tun haben und sich keine Minute langweilen." Viel zu tun hat allerdings auch die Gastgeberin, die bereits Monate im voraus gemeinsam mit ihrer Tochter an die Planung der aufwändigen Anlässe geht. Doch Patricia C. geniesst diese Zeit, die sie ein Stück weit auch als Kompensation für ihre eigenen sehr bescheidenen Kindergeburtstagsfeiern betrachtet: "Mir macht das einfach riesig Spass."

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

© Barbara Lukesch