Das böse Mädchen ist wieder da

Erfolgsautorin Ehrhardt / 29. September 2000, "Annabelle"

Symbolbild Thema Frauen

Hat uns das "böse Mädchen" einfach vergessen? Wir warten zehn Minuten, zwanzig Minuten, blicken immer nervöser auf unsere Uhren und atmen erleichtert auf, als Ute Ehrhardt, die Autorin des Bestsellers "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin", eine halbe Stunde nach unserem vereinbarten Termin in Begleitung ihres Ehemanns Wilhelm Johnen doch noch erscheint. Aufgeregt erklärt sie, dass sie bei der letzten Durchsicht der Druckfahnen ihres neuen Buches "Die Klügere gibt nicht mehr nach - Frauen sind einfach besser" einen scheusslichen Fehler entdeckt habe, den sie, Gott sei Dank, telefonisch noch korrigieren konnte.

Innert Kürze beruhigt sie sich, entschuldigt ihre Verspätung, ordert Kaffee und Mineralwasser, und wir stellen fest, dass sie trotz monatelanger Arbeit ohne Feierabend und Wochenende so frisch und erholt aussieht, als komme sie direkt aus den Ferien. Der strahlend blaue Himmel und die hochsommerliche Wärme sind ganz nach dem Geschmack der 44Jährigen, die am liebsten auf einer Insel im Süden leben würde.

Wir treffen sie leider nur in einem Städtchen am Bodensee, das sie im Hinblick auf das Erscheinen ihres zweiten Buches geheimzuhalten wünscht. Die Sorge, dass der zu erwartende Medienrummel ihr jegliche Privatsphäre rauben könne, diktiert ihr diese Vorsichtsmassnahme. Ute Ehrhardt ist ein gebranntes Kind. Nachdem sich ihre "Guten Mädchen" (1994) zur Überraschung aller geschlagene 1,2millionenmal verkauften, wurde die Familie Ehrhardt-Johnen von einer "positiven Katastrophe" heimgesucht. Das solle diesmal anders werden, hofft die Autorin. Doch der Krüger-Verlag schlägt bereits unüberhörbar die Werbetrommel, und wenn es allein nach ihm ginge, müsste "seine" Starschreiberin Hunderte von Lesungen bestreiten, Dutzende von TV-Talkshows besuchen und viele, viele Zeitungs- und Zeitschrifteninterviews geben. Ute Ehrhardt winkt ab. Sie werde sich das Recht herausnehmen und auswählen: "Alles kann und will ich nicht machen."

Das soll uns nicht stören. Schliesslich ist die "Annabelle" in Pole-Position und führt das erste Interview mit der deutschen Erfolgsautorin über ihr neues Buch.

Ute Ehrhardt, Sie haben sich sechs Jahre Zeit gelassen, bis sie Ihren "Guten Mädchen" ein weiteres Buch folgen liessen. Andere hätten die Gunst der erfolgreichen Stunde genutzt und sehr viel schneller einen "Zweitling" auf den Markt gebracht. Warum Sie nicht?

So ein grosser Erfolg, wie ich ihn mit den "Guten Mädchen" erlebt habe, hätte einen tatsächlich dazu verführen können, sich sofort auf das nächste Thema zu stürzen. Doch ich habe mich bewusst zunächst einmal auf meinen Lorbeeren ausgeruht und eine lange Auszeit, unter anderem während knapp zwei Jahren in Australien, genossen. Dazu kommt, dass meine Haupttätigkeit in der Einzelberatung und im Coaching und nicht im fliessbandmässigen Produzieren von Büchern liegt. Ich beginne erst dann zu schreiben, wenn mich ein Thema richtig "beisst".

Nun betreten Sie ja mit Ihrem neuen Buch "Die Klügere gibt nicht mehr nach - Frauen sind einfach besser" thematisch keineswegs Neuland. Einmal mehr legen Sie ein Frauenpower-Buch vor, der dazu beitragen soll, das weibliche Selbstbewusstsein zu stärken. Um so mehr erstaunt Ihre lange Absenz auf dem Büchermarkt.

Ich habe mich zunächst nach neuen Themen umgeschaut. Eine zeitlang verfolgten mein Mann und ich auch die Idee, gemeinsam ein Buch über Männer zu schreiben. Aber in meiner Arbeit als Coach bin ich dann immer wieder auf das Phänomen gestossen, dass sich Frauen unendlich schwer damit tun, ihre Qualitäten und Fähigkeiten wahrzunehmen und hochzuschätzen. Egal in welcher beruflichen Position sie sich befinden, ob mit oder ohne Kinder, verheiratet oder alleinstehend, egal ob Geschäftsinhaberin oder Angestellte - viel zu viele Frauen erkennen sich selber nicht als Autorität für ihre Handlungen und Entscheide an, sondern suchen stets jemanden, der die Verantwortung für ihr Tun übernimmt. Dabei sind Frauen in vielen Bereichen wirklich gut.

Was heisst hier gut? Gemäss Ihrem Buchtitel sollen doch Frauen "einfach besser" sein.

Frauen sind tatsächlich immer besser als sie selber annehmen, in vielen Belangen sind sie aber auch klar besser als Männer. Doch statt ihre Vorzüge erfolgversprechend umzusetzen, zweifeln Frauen nach wie vor an sich, machen sich klein und lassen Männern den Vortritt. Damit tappen sie in eine der Denkfallen, die ich ja bereits in den "Guten Mädchen" beschrieben habe.

Somit hat auch die Lektüre Ihres ersten Buches noch nicht ausgereicht, um aus den Frauen rundherum selbstbewusste "böse Mädchen" zu machen?

Für eine dermassen tiefgreifende Veränderung braucht es mehr als sechs Jahre Zeit und die Lektüre eines Buches. Trotzdem haben die Frauen in der letzten Zeit eine Menge erreicht, und dazu haben auch die "Guten Mädchen" ein klein wenig beigetragen. Mehr als die Hälfte der Abiturienten sind Frauen. Immer mehr Unternehmen werden von Frauen gegründet. Oder denken Sie an die vielen jungen Frauen, die so selbstbewusst in ihren Miniröcken über die Strasse gehen, dass kein Mann mehr auf die Idee käme, er habe das Recht, sie dumm anzumachen.

Was ist denn nun das Neue an Ihrem zweiten Buch?

Neu sind vor allem die vielen wissenschaftlichen Untersuchungen, die ich während meiner Recherchen in Australien und den USA gefunden habe, und die aufzeigen und auch beweisen, in welchen Bereichen Frauen einen Vorsprung haben.

Geben Sie uns ein Beispiel für die weibliche Überlegenheit.

Frauen verfügen über ein ausgeprägtes Netzdenken im Gegensatz zum männlichen Schrittdenken. Das heisst, sie greifen in ihrem Denken äusserst vielschichtig auf Informationen, Erfahrungen, Wissen und Gefühle zurück und ziehen daraus in atemberaubender Geschwindigkeit ihre Schlüsse, die sie dann auch zu Entscheidungen befähigen. Das Netzdenken ist wesentlich reichhaltiger und komplexer und damit dem Schrittdenken überlegen. Viele Frauen haben seinen Wert allerdings noch nicht erkannt. Für sie ist es nicht der Rede wert, dass sie beispielsweise als Mutter eines kleinen Kindes gleichzeitig kochen, ihr Baby im Auge behalten, sich ein Programm für den Nachmittag überlegen oder am Konzept einer Broschüre studieren und mit dem Elektriker telefonisch noch einen Termin vereinbaren. Ich möchte den Mann sehen, der all das auf die Reihe kriegt und dazu noch gut macht. Doch Frauen sagen bloss: Das ist doch nichts. Dabei ist es grossartig.

In welchem anderen Bereich haben Sie einen weiblichen Vorsprung ausmachen können?

Überall dort, wo es um das gefühlsmässige Erfassen von Dingen geht. Stichwort: Emotionale Intelligenz. Wieso sagt denn keiner, dass Frauen diese neuerdings vielbeschworene Fähigkeit sozusagen im Blut haben, währenddem sich Männer in Seminaren schulen lassen müssen, um auf ein annähernd vergleichbares Niveau zu kommen.

In diese Kategorie dürfte auch die Intuition gehören.

Mit der Intuition ist es so eine Sache. Zum einen steht ausser Frage, dass Frauen intuitiv ausserordentlich begabt sind. So realisieren sie in Verhandlungen in Teams blitzschnell, wer für beziehungsweise gegen sie ist. Andererseits müssen Frauen aber aufpassen, dass die Intuition nicht für andere Verhaltensweisen wie übergrosse Ängstlichkeit herhalten muss. Beispiel: Eine Frau geht nachts durch ein hellerleuchtetes Parkhaus und fühlt sich unsicher. Fragt man sie, woher ihre Besorgtheit rühre, antwortet sie: "Das ist einfach so: reine Intuition." Das ist natürlich Quatsch und hat mit Intuition überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil. Hier kommt antrainierte Sorge, ja, Überängstlichkeit zum Ausdruck, die im Moment wirklicher Gefahr sogar die echte Intuition blockieren kann.

Viele der Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Konsensfähigkeit und Friedfertigkeit, die Sie in Ihrem neuen Buch als Frauenstärken präsentieren, figurierten in den "Guten Mädchen" noch unter Fallen, vor denen Sie Ihre Leserinnen eindringlich warnten. Zu viel Mitgefühl und Friedfertigkeit, schrieben Sie, seien Gift auf dem Weg zum Frauenselbstbewusstsein. Heute sind daraus auf einmal weibliche Chancen geworden.

Gut waren diese Eigenschaften schon immer. Es wird ja wohl niemand bestreiten, dass Friedfertigkeit die bessere Eigenschaft als permanente Kampfbereitschaft ist. Heute nun ist gemäss meiner Einschätzung der Moment gekommen, in dem eine Frau ihre Friedfertigkeit und ihr Einfühlungsvermögen als weiblichen Vorzug in ihren Alltag integrieren kann, ohne damit gleichzeitig in die Falle zu tappen und zum braven Mädchen zu werden, das es allen anderen, nur nicht sich selber recht machen will. Möglicherweise landet ja die eine oder andere Frau auch noch ein paarmal in der Falle. Kein Drama. Aber sie wird ihr Verhalten immer klarer durchschauen und eines Tages wissen: Ich bin stark und Frau genug, um meine Friedfertigkeit unter Umständen auch mit aggressiven Mitteln durchzusetzen, um es überspitzt zu formulieren.

Frauen sind einfach besser, titeln Sie vollmundig. Gibt es unter diesen Umständen überhaupt noch irgendwelche Talente oder Fähigkeiten, über die Männer in höherem Masse als Frauen verfügen?

Es gibt doch etliche Männer, die prima den Mülleimer runtertragen können, weil sie mehr Kraft haben. Witz. Möglicherweise eignet sich ja das männliche Schrittdenken für überschaubare kleine Aufgaben wie die Reparatur eines Autos ganz gut. Na ja, viel kann ich dazu wirklich nicht sagen, weil das auch nicht mein Thema war. Die Männer müssen sich schon selber auf die Suche machen und ihre Vorzüge herausfinden und beschreiben.

Können Sie uns dafür ein paar männliche Fehler und Nachteile aufzählen?

So pauschal? Schwierig. Was ich auf seiten der Frauen bedenklich finde, ist, dass sie immer noch auf den, ich sage es mal hart, Überwertigkeitskomplex der Männer hereinfallen. Wir glauben Männern, obwohl sie sich nur aufplustern. Wie oft sagt eine Frau im Nachhinein: Eigentlich habe ich es besser gewusst als er. Verflucht noch mal, warum sagt sie es dann nicht früher? Weil er vorprescht und sich aufbläst und ihr zögerliches Seelchen "huch" macht und denkt, er wird schon recht haben. Das ist wirklich eine der Knacknüsse für Frauen.

Wird das neue Buch ein Verkaufsschlager?

Nach Einschätzung von einigen Freundinnen und Bekannten, die es schon gelesen haben, soll es über Bestseller-Potenzial verfügen. Ich bin sehr gespannt.

Ute Ehrhardt wurde 1956 in Kassel geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach dem Abbruch einer Banklehre hat sie ihr Abitur nachgeholt. Später hat sie in Mainz Psychologie studiert und mit ihrem Mann Wilhelm Johnen, auch er Psychologe, eine psychotherapeutische Praxis gegründet. Seit zehn Jahren führt das Paar nun eine gemeinsame Beratungsgesellschaft mit dem Schwerpunkt Coaching von Führungskräften. Ihre Tochter Jana ist 19 Jahre alt und steht kurz vor dem Abitur.
Ehrhardt, Ute. Die Klügere gibt nicht mehr nach - Frauen sind einfach besser. Krüger Verlag, 2000. (31,50 SFr)

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© Barbara Lukesch