Weiblicher Frust

Gläserne Decke / Februar 2000, "Bilanz"

Symbolbild Thema Frauen

Firmenchefinnen und Topmanagerinnen sind in der Schweiz eine rare Spezies. Dabei sprächen harte Zahlen und Fakten dafür, dass Frauen endlich auch an die Spitze der Konzerne, Verwaltungsräte und Universitäten vordringen müssten.

Mehr als die Hälfte der Maturanden sind weiblichen Geschlechts. An den Universitäten beträgt die Zahl der Studentinnen beinahe fünfzig Prozent; sogar in der Hochschule St. Gallen, einst eine nahezu reine Männerbastion, wird heute bereits jeder vierte Platz von einer Frau belegt. Darüber hinaus ist die Kinderzahl auf demographisch alarmierende 1,6 gesunken; immer mehr Frauen verzichten sogar ganz auf Mutterschaft und Familiengründung und räumen damit einen der wirksamsten Karrierekiller eigenhändig aus dem Weg.

Neuere Studien belegen zudem die hohe Effizienz von Managerinnen, die die gleichen Arbeitspensen wie ihre männlichen Kollegen in deutlich kürzerer Zeit bewältigen. Angst vor dem weiblichen Führungsstil muss inzwischen auch niemand mehr haben, ist doch erwiesen, dass Frauen und Männer auf nahezu gleiche Art leiten und lenken. Dass auch Frauen karriereorientiert sind, beweisen all jene weiblichen Angehörigen des mittleren Managements, die sich hochgeboxt und bewährt haben, obwohl sie deutlich mehr als Männer in vergleichbaren Positionen leisten müssen, dafür aber immer noch dreissig bis vierzig Prozent weniger Lohn bekommen.

Dünne Luft an der Spitze

Bei Swiss Re sind das knapp 19 Prozent, bei der Credit Suisse 17 Prozent, bei der SairGroup 14 Prozent, bei Hoffmann-La Roche 15 Prozent und bei der IBM 17 Prozent: "All jene Frauen also", konstatiert Margit Osterloh, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich, "die eigentlich wie Raketen an die Spitze der Unternehmen zischen müssten."

In Tat und Wahrheit aber ist die Luft dort dünn für Frauen, besetzen sie doch nicht mehr als ein bis drei Prozent dieser Top-Positionen. Dem Zolliker Headhunter Hubertus G. Tschopp fallen spontan nur gerade zwei Namen ein: Die Bülacher Schneider-Chefin Heliane Canepa und Ford-Regionaldirektorin Barbara Kux. Standen in den letzten Jahren qualifizierte Spitzenfrauen für Leitungsfunktionen zur Verfügung, wurde stets ihren männlichen Mitbewerbern der Vorzug gegeben: Walter Rüegg wurde statt Colette Gradwohl zum Radiodirektor erkoren; David Bosshart erklomm statt Betty Zucker die Spitze des Gottlieb Duttweiler Instituts; Filippo Leutenegger wurde zum Chefredaktor des Schweizer Fernsehens gewählt, derweil Helen Issler bereits im Vorfeld der Ausmarchung ins Abseits gestellt wurde. Nicht zu vergessen die designierte Alusuisse-Konzernchefin Dominique Damon, die sozusagen über Nacht dem damaligen Finanzchef Sergio Marchionne den Vortritt lassen musste.

Auch SAirGroup-Kommunikationschefin Beatrice Tschanz wurde einst brüsk gestoppt, als sie sich um die Chefredaktion des "Sonntagsblick" bewarb. Obwohl sie als langjährige Stellvertreterin für den Leitungsjob prädestiniert gewesen wäre, verwies man auf die "vielen wartenden Männer" und versuchte, sie mit einem zweischneidigen Kompliment zu vertrösten: "Wir brauchen für diesen Posten kein Rennpferd, sondern einen Otto-Motor". Tschanz liess sich nicht für dumm verkaufen und wechselte zum "Blick". Zur Zeit verfolgen interessierte Kreise gespannt den Werdegang der Migros-Spitzenmanagerin Gisèle Girgis, die nur interimistisch zwar, aber immerhin zur Marketing-Direktorin avancierte. Wie hoch darf Girgis noch steigen? fragt sich die Szene.

"Abstellplätze" für Frauen

Wenn Frauen sich bewähren, werden ihnen häufig Abteilungen wie Human Resources, Personal, Kommunikation oder Logistik zugestanden, mithin "Abstellplätze", wie sich eine Branchenkennerin ausdrückt, "die nicht geeignet sind, um ganz nach oben durchzustarten."

Warum reichen rationale, belegbare Fakten nicht aus, um Frauen, die immerhin 42 Prozent aller Erwerbstätigen in diesem Land stellen, auch an der Spitze ihrem Anteil gemäss partizipieren zu lassen? "Ökonomisch", sagt Professorin Osterloh, "ist das ungeheure Verschleudern von soviel Humanpotenzial auf jeden Fall nicht."

"Die Frauen selber wollen gar nicht ganz nach oben", gibt die Zürcher Management-Beraterin Veronika Staudacher zu bedenken. Zu hoch sei der Preis, den die weibliche Spitzenkraft zumindest heute noch zahlen müsse: "Einsamkeit, Neid und Missgunst, Verzicht auf Partnerschaft und Familie, ständige Kampfbereitschaft, immenser Druck, der durch ihr Exponiertsein als Angehörige einer Minorität verstärkt wird, kombiniert mit dem Zwang, sich den Spielregeln der männlichen Mehrheit zu unterwerfen und schliesslich zur ‚Männerkopie' zu werden."

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Frauen werden beim Gipfelsturm auch von aussen gebremst und behindert. So gibt jede zweite der im Rahmen der Studie "Karrieren im Glaspalast - Weibliche Führungskräfte in europäischen Banken" (1997) befragten Managerinnen an, dass sie im Laufe ihrer Karriere gegenüber Männern benachteiligt worden sei. Sogar 83 Prozent jener Kaderfrauen, die anlässlich einer deutschen Untersuchung interviewt wurden, bezeichnen die gegen sie bestehenden Vorurteile als "bedeutende Karrierehindernisse." Mit anderen Worten: Die eine oder andere will also schon an die Spitze, scheitert aber nicht zuletzt an geschlechtsspezifischen Ressentiments.

Vorurteile sind in der Regel zählebig, irrational und halten einer empirischen Überprüfung nicht stand. Mitunter haben sie den Charakter von Legenden, ja, Märchen und dienen dazu, eigene Positionen zu verteidigen, als bedrohlich empfundene Erfahrungen abzuwehren, mithin alles beim Alten zu belassen. Berufsfrauen unterstellt man immer noch gern, sie seien zu wenig durchsetzungsfähig, würden sich im Nu mit ihren Kolleginnen verkrachen, stiessen bei Mitarbeitern und Kunden auf Widerstand und würden, wenn sie auch noch attraktiv aussähen, nicht für voll genommen.

Familie als Risikofaktor

Beim Thema Familie überschlagen sich die Vorurteile regelrecht. Gilt eine Familie im Leben eines Managers als Pluspunkt, da sie ihm Stabilität und emotionale Versorgung garantiert, gerät sie im Alltag der Managerin zum Risikofaktor, der ihre Schaffenskraft zu beeinträchtigen droht. Schmückt also Herr Müller seinen Schreibtisch mit einem Familienfoto, darf er mit Wohlwollen rechnen: Aha, ein verantwortungsvoller Ehemann und Vater, voller Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber. Stellt Frau Meier ein solches Bild aufs Pult, wittert ihre Umgebung Gefahr: Ihre Kinder kommen wohl vor dem Beruf? Wann kündigt sie denn?

Auch Headhunter Tschopp ist überzeugt davon, dass viele Frauen über ein geringeres Commitment, das heisst eine schwächere innere Verpflichtung gegenüber ihrer Karriere verfügen, weil sie auch noch der "biologisch nicht unnatürliche Wunsch, Kinder zu haben", ereilen könne. Folglich frage man sich in Unternehmen, ob man eine Topposition tatsächlich mit einer Frau besetzen wolle, die in drei Jahren schwanger werden, die Firma verlassen und ihrem Arbeitgeber nur Kosten, Umtriebe und Ärger bereiten könne. Oft laute die Antwort nein.

Im Wissen um die Brisanz und Bedeutsamkeit der unter Personalchefs weitverbreiteten Annahme, dass Frauen ihre Stellen schneller als Männer wieder verlassen würden, lancierte Professorin Osterloh gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Sabina Littmann-Wernli eine von der "Bilanz" finanzierte Studie. Die beiden untersuchten das Fluktuationsverhalten und die Kündigungsgründe von Frauen und Männern im mittleren und oberen Management von hundert Schweizer Unternehmen. Das Ergebnis lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Zum einen bestehen nur marginale geschlechtsspezifische Unterschiede im Fluktuationsverhalten; zum anderen kündigen Frauen genauso wie Männer mehrheitlich, weil sie einen Arbeitgeberwechsel anstreben und nicht, um sich in ihre Familien zurückzuziehen. Osterloh: "Die Behauptung, Kaderfrauen blieben weniger lang als Männer an ihren Stellen, ist als Vorurteil enttarnt." Mit vergleichsweise geringem Aufwand sei es gelungen, so die Professorin, Informationen zusammenzutragen, die allen Personalverantwortlichen die Augen öffnen und ihre Skepsis gegenüber weiblichen Kandidatinnen zerstreuen müssten.

Männer bleiben am liebsten unter sich

Männer aber wollen es offensichtlich gar nicht so genau wissen. Da werden vollmundige Lippenbekenntnisse zugunsten von Frauenförderung und Gleichstellungsprogrammen in den Unternehmen abgegeben, aber in Wirklichkeit bleiben viele von ihnen doch am liebsten unter sich, spielen ihre altvertrauten Machtspiele, praktizieren ihre Beförderungsrituale, knüpfen an ihren Old Boys Networks, gehen gemeinsam in die Sauna, im Verlaufe eines Kongresses auch gern einmal in einen Nachtclub, fahren zusammen Bob oder fliegen auf Firmenkosten mit der guten alten "Tante Ju".

"Frauen werden als etwas Befremdliches wahrgenommen", konstatiert Helena Trachsel, die "Taten statt Worte"-Verantwortliche der Swiss Re, "die über eine ungewohnte, mitunter auch als unberechenbar erlebte Kultur und Sprache verfügen." Das männliche Unvermögen, Frauen zu verstehen und ihre Werte adäquat zu beurteilen, zeige sich oftmals auch im Rahmen von Assessments, an denen es mehrheitlich Männern obliegt, Frauen zu prüfen, zu bewerten und zu fördern - oder eben auch nicht. Die Zürcher Unternehmensberaterin Sigrid Viehweg bringt die Rolle der Berufsfrauen auf den Punkt: "Im besten Fall werden sie als Bereicherung empfunden, in jedem Fall als Herausforderung und im schlimmsten Fall als Störung und Irritation."

Irritierend für den heute durchschnittlich 50- bis 55jährigen Topmanager, sei es zudem, sagt die Zürcher Headhunterin Rita Baechler Barth, in den modernen Managerinnen einem neuen Frauentypus zu begegnen, der sein gesamtes Weltbild erschüttern könne: "Selber mit einer dienstbaren Hausfrau und Mutter verheiratet, empfindet ein solcher Mann ", so Baechler Barth, "Karrierefrauen als wandelnden Vorwurf, die ihn darauf aufmerksam machen, dass er sich daheim ein Auslaufmodell hält." Die Folge? Kandidatinnen würden trotz bester Qualifikationen übergangen, damit Männer vor ganz persönlichen Kränkungen verschont bleiben.

Männern geht es aber nicht nur in emotionaler, sondern auch in materieller Hinsicht um Besitzstandwahrung. Sie wollen simpel und handfest weder um ihre Machtbefugnisse noch um ihre Spitzengehälter mit der doppelt so grossen Anzahl von Bewerbern beziehungsweise Bewerberinnen fighten.

Knallharte Leistung zählt

"Frauen, die an die Spitze wollen," sagt Ordinaria Osterloh, " stossen mithin an die berühmte gläserne Decke, die ihnen zwar den Blick auf den Gipfel erlaubt, aber ihren Aufstieg brüsk und mitunter schmerzhaft stoppt." Diese Einschätzung teilen längst nicht alle Szenenkenner. PR-Profi Klaus J. Stöhlker kategorisch: "Eine gläserne Decke gibt es nicht mehr." Headhunter Tschopp: "Heute zählt nur eins: Knallharte Leistung, unabhängig vom Geschlecht." Ford-Spitzenfrau Barbara Kux: "Wer eine gläserne Decke sehen will, sieht sie. Ich habe nie eine gesehen."

Etliche ihrer Kolleginnen nehmen die gläserne Decke gleichwohl wahr, jene Trennscheibe, an der geschlechtsspezifische Diskriminierungen, sexistische Belästigungen und männliche Machtgier den Frauen dermassen auf die Stimmung und Motivation schlagen, dass viele das Handtuch werfen und ihre Berufskarriere neu ausrichten.

Gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) hat die Zahl der Frauen, die sich seit 1991 selbständig gemacht haben, um 38 Prozent, jene der Männer nur um 22 Prozent zugenommen. Im Netzwerk für Einfrau-Unternehmerinnen Nefu wird jeden zweiten Tag eine Neuaufnahme registriert; zählte man 1993 erst 63 Mitglieder, ist man demnächst bei 1000 angelangt. Nefu-Initiantin Nelly Meyer-Fankhauser konstatiert, dass zunehmend mehr Kaderfrauen frustriert ihre Stellen kündigen und ihre Zukunft in der Selbständigkeit sehen.

Auch Headhunterin Baechler Barth war vor der Gründung ihres eigenen Unternehmens in leitender Position in einer Luzerner Personalberatungsfirma angestellt und verliess diese, als sie sich zusehends weniger mit den ganz auf Umsatzbolzen angelegten Geschäftspraktiken identifizieren konnte. Als ihr Vorgesetzter ihr an einem Fest auch noch die anzügliche Frage zuflüsterte, warum sie sich wieder "aufgenuttet" habe, hatte sie die Nase voll und ging. "Grösserer Entfaltungsspielraum, mehr ganzheitliche Lebensführung und Einssein mit meinen Idealen" seien der Gewinn aus diesem zunächst riskanten und schwierigen Schritt für sie gewesen.

KMU als Alternative

Andere Frauen wechseln von Grosskonzernen in kleinere und mittlere Unternehmen, in denen sie die überschaubareren Strukturen schätzen, die individuellere Kontakte und damit mehr Wertschätzung der einzelnen Leistung erlauben. Nicht selten ermöglichen erst solche Firmenwechsel einen Karrieresprung, der vor allem an jenen Orten, an denen Frauen ihre Laufbahn gestartet haben, gern verzögert oder gar verhindert wird.

Dass die Kommunikationsabteilungen grosser Unternehmen in den letzten Jahren zu Frauenhochburgen geworden sind, hat sich inzwischen herumgesprochen. Kein Wunder, zieht es immer mehr hochqualifizierte Berufsfrauen, darunter viele Akademikerinnen, in jene Nische, in der sie zwar keine hierarchische Karriere machen, aber sehr wohl geschätzte und mitunter auch weitherum beachtete Arbeit in leitender Position leisten können. Knapp dreissig hiesige Unternehmen, darunter auch SairGroup, CS, Rieter, SRG, Rentenanstalt und neuerdings auch Novartis, haben weibliche Heads of Corporate Communication, und deren Zahl wird immer grösser.

Im Wissen um die Bedeutung von Beziehungen gründen Frauen Netzwerk um Netzwerk: vom Dachverband der Schweizer Wirtschaftsfrauen über das Nefu bis hin zur Swiss Federation of Business and Professional Women BPW und dem Women Innovation Network WIN. Auch wenn deren karrierefördernde Wirkung im Vergleich zu jener von Männerbünden wie dem Militär, dem Lion's Club, den Rotariern oder Zünften gemäss einer aktuellen Studie noch bescheiden bleibt, stärkt der Zusammenschluss mit Gleichgesinnten vielen Frauen den Rücken und macht ihnen Mut. Bereits kann jede vierte Frau in der Schweiz auf eine durchgängige Berufslaufbahn verweisen. Der Rückzug an den heimischen Herd, nicht zuletzt aus Resignation und Enttäuschung über die feindliche Arbeitswelt, hat nach Aussagen von Margit Osterloh deutlich an Bedeutung verloren.

USA machen vor, wie es geht

In den USA beträgt der Frauenanteil im unteren und mittleren Management bereits zwschen dreissig und vierzig Prozent. Auch an jeder zehnten Konzern- und Firmenspitze soll gemäss neuster Zahlen inzwischen eine Frau sitzen. Seit anfangs der neunziger Jahre wird zudem jedes zweite KMU von einer Frau gegründet, und die "National Foundation of Business Owners" hat errechnet, dass dank weiblicher Initiative 15, 5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden.

Bringt Geduld also auch den hiesigen Frauen Rosen? Professorin Osterloh verwirft die Hände: "Wenn wir in dem Tempo weitermachen wie bisher, dauert es noch dreihundert Jahre, bis sich die Frauen auch bei uns an der Spitze der Unternehmen durchsetzen können." Da ihr das zu lange sei, plädiert die Betriebswirtschafterin dafür, den Druck zu erhöhen, vermehrt zu forschen, aufzuklären und zu informieren, Gleichstellungsprogramme zu lancieren, den Zugang für Frauen zu Weiterbildungsprogrammen zu verbessern, sie auf Toppositionen zu befördern, mit einem Wort: die gläserne Decke endlich zu sprengen.

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© Barbara Lukesch