Alice Schwarzer im Visier

Kritische Biographie* / Nr. 13, 1998, "Das Magazin"

Symbolbild Thema Frauen

Bascha Mika steht unter Starkstrom. Termin um Termin würgt sie in ihre Agenda: Der ARD-"Kulturreport" will ein Interview; ein Kollege von der "Frankfurter Rundschau" braucht Zusatzinformationen; die deutschen TV-Talk-Shows stehen Schlange, sogar Sabine Christiansen hat ihr Interesse angemeldet, und die "taz", die linke Berliner Tageszeitung und ihre Arbeitgeberin, will ihre Reporterin zurück, aber auch - wer würde es ihr verdenken - ein Stück vom Kuchen ihres frisch publizierten Buches: "Das Schwarzer-Extra, Bascha", powert eine Kollegin, "muss in zehn Minuten fertig sein". Bascha Mika fasst sich zusehends entnervt in den blonden Schopf und lässt ihre unglaublich blauen Augen rollen: "Das darf doch nicht wahr sein!"

Tja, Frau Mika, man wird halt nicht ungestraft Alice Schwarzers "kritische" und noch dazu "unautorisierte" Biographin. Wer sich so weit hinauslehnt und es wagt, den Kampf mit einer, will sagen, der Heroine der deutschen Frauenbewegung aufzunehmen, muss sich warm anziehen, um dem Mediensturm standzuhalten. Dagegen hat sie ja gar nichts. Im Gegenteil. Sie sei "gespannt wie ein Flitzebogen auf alles, was jetzt passiere", sagt sie mit dem schönen rollenden R, das nur eine gebürtige Polin beherrscht.

Und sowieso. Die 44jährige ist ja nicht naiv und unvorbereitet in dieses Abenteuer gegangen. Schliesslich hat sie ihre Feuertaufe im Clinch mit der grossen Alice bereits vor zwei Jahren bestanden. Damals, genauer gesagt am 8. März 1996, dem Internationalen Tag der Frau, publizierte Mika in der "taz" ein Porträt von Schwarzer mit dem vielversprechenden Titel: "Retten Sie sich vor Alice!"

Darin entwirft sie scharfzüngig, mitunter auch polemisch und frei von falschem Respekt das Bild einer Frau der unendlichen Widersprüche: Hier die schlagkräftige, witzige und solidarische Feministin - da die tyrannische, autoritäre und selbstherrliche "Emma"-Chefin: "Schwarzer ist uneingeschränkt Boss. Die Arbeitsbedingungen sind unerträglich." Ein starkes Stück, das - so Mika - "erschreckend heftige Reaktionen provozierte."

Die "taz" wurde von Leserbriefen überschwemmt; geharnischte Kritik prasselte auf Mika nieder: "Schmierenjournalismus billigster Ausführung", "diesen Artikel finde ich menschenverachtend und bösartig", "infame Kampagne von Bascha Mika". Aber auch Zustimmung wurde laut: "Ein super Beitrag zum Frauentag. Dies als ein öffentliches Dankeschön an Bascha von einer der vielen ehemaligen Mitarbeiterinnen und damit "Alice-Geschädigten."

Schwarzer selber schlug in bewährter Manier zurück. Im "Emma"-Editorial (3/96) bemühte sie einmal mehr ihr Lieblings-Klischee von der Frau, jener willigen Erfüllungsgehilfin, die den Kerlen die Dreckarbeit erledigt: "Aus der "taz"-Redaktion wissen wir, dass "ein Schwarzer-Verriss" direkt von der Chefredaktion geordert worden war." In ähnlichem Stil erweckt sie nun auch rings um Mikas Buch den Eindruck, als sei eigentlich Rowohlt-Chef Hansen die treibende Kraft dahinter: "Mikas Buch, das Verlagsleiter Nikolaus Hansen persönlich betreute." (Emma 2/98).

Bascha Mika, der Vorwurf sitzt. Sind Sie tatsächlich ein willfähriges Instrument des Patriarchats?

Das ist so ein unglaublicher Quatsch. Aber Alice Schwarzer, die Feministin - notabene -, hat nun einmal einen so jämmerlich schwachen Glauben an die Eigenständigkeit und Stärke anderer Frauen, dass sie diese immer wieder runterputzen oder als von Männern ferngesteuert darstellen muss. Nein. Ich selber, Reporterin der "taz", habe mir den Auftrag für jenes Schwarzer-Porträt gegeben, und das, obwohl die meisten meiner Kollegen das Thema für überholt und langweilig hielten. Und bei Rowohlt war es ebenfalls eine Frau, die die Idee zu einer Schwarzer-Biographie hatte.

Aber ist es denn nicht kontraproduktiv, wenn jetzt auch noch linke Journalistinnen wie Sie Alice Schwarzer dermassen hart kritisieren, nachdem sie, ja, weiss Gott, schon genug an Medienschelte kassiert hat?

Nein, das ist nicht kontraproduktiv, sondern unerlässlich. Alice Schwarzer ist eine Person der Öffentlichkeit mit grosser Breitenwirkung. Warum soll ausgerechnet sie, die ja selber seit jeher kräftig austeilt, geschont werden? Das hiesse, sich diesen schrecklichen unausgesprochenen Denkverboten und Tabus innerhalb der Linken und der Frauenbewegung unterwerfen. Das geht nicht, das ist der Tod im Topf. Kritik, auch an einer Gallionsfigur des Feminismus, muss erlaubt sein.

Hatten Sie von jeher ein kritisches Bild von Alice Schwarzer?

Überhaupt nicht. Als ich sie 1994 anlässlich der Verleihung des "Emma"-Journalistinnen-Preises kennenlernte, war ich hellbegeistert. Ich fand sie einfach klasse. Herzlich. Direkt. Ich war wirklich fasziniert von ihr, auch wenn ich schon damals leicht irritiert zur Kenntnis nahm, wie herrisch und unwirsch sie teilweise mit ihren Mitarbeiterinnen umsprang. Mich selber hat sie ja im Verlauf des Banketts damals auch gleich angebrüllt. Ihre gesammelte Wut auf die "taz" prasselte unvermittelt auf mich nieder. Trotzdem habe ich das Fest mit einem positiven Grundgefühl verlassen.

Das dürfte sich in der Zwischenzeit verflüchtigt haben?

Die Faszination ist geblieben. Ich bin nach wie vor beeindruckt vom Facettenreichtum ihrer Person und deren Ambivalenzen. Schliesslich kann ich mich nicht dreizehn Monate lang mit einer Person beschäftigen, für die ich nur Antipathie empfinde. Von Hass oder Neid, den man mir jetzt als Antriebsfeder für mein Buch unterstellt, ganz zu schweigen.


Jene Begegnung im Juni 1994, während der sich die Preisträgerin Mika und das Jurymitglied Schwarzer in Köln kennenlernten, sollte die erste und (vorerst) letzte der beiden bleiben. Folgenschwer war sie trotzdem.

Mika ist "angepiekt" von der Idee, ein Porträt von Alice Schwarzer zu schreiben. Wer ist diese Frau? Wie tickt die deutsche Vorzeige-Emanze? habe sie sich gefragt. Aber auch: Warum sind ihre Mitarbeiterinnen so seltsam gesichtslos und devot ihr gegenüber? Erst zwei Jahre später ist der Zeitpunkt für eine Publikation reif. Weitere zwölf Monate vergehen, bis sich Mika von der "taz" beurlauben lässt und an die Recherche für die Biographie macht. "Abenteuerlust", sagt sie heute, sei ihr Motor bei der Arbeit gewesen. Mut, den ihr viele Kollegen und Kolleginnen prompt attestieren, will sie nicht gelten lassen: "Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, eine Person der Zeitgeschichte zu porträtieren."

Auch wenn diese Person nicht mittut, alle Interviewanfragen ausschlägt oder an unakzeptable Bedingungen knüpft und stattdessen Tod und Teufel in Bewegung setzt, um beim Rowohlt-Verlag zu intervenieren und Einfluss auf das Buchprojekt zu nehmen? "Auch dann", nickt die Autorin vehement.

Verlagschef Nikolaus Hansen hat so etwas noch nicht erlebt. Er staunt nicht schlecht, wer sich da alles zugunsten von Schwarzer mobilisieren lässt: Angefangen beim Kölner Verleger Reinhold Neven DuMont von Kiepenheuer & Witsch bis zur Hamburger Herausgeberin der "Zeit" Marion Gräfin Dönhoff. Die Schutzphalanx steht. Schwarzer selber wirft in der "Emma" 5/ 97 den Fehdehandschuh: Im Editorial dieser Nummer spricht sie von einer "sogenannten 'Schwarzer-Biographie'" und degradiert gleichenorts deren Autorin: "Ein Buch hat die Journalistin zwar noch nie geschrieben." In einem Interview mit der deutschen Illustrierten "Bunten" (Dezember '97) legt sie noch einen Zacken zu und rückt Mikas Arbeitsmethode in die Nähe derjenigen der US-Klatschkolumnistin Kitty Kelly, die "ihren Mann immer in den Mülleimern von Prominenten wühlen lässt."

Derweil recherchiert Bascha Mika, spricht mit Dutzenden von Frauen und einigen Männern aus dem Umfeld Schwarzers, ehemaligen Arbeitskolleginnen, Mitstreiterinnen aus der Frauenbewegung, vielen Journalistinnen. Sie bereist halb Deutschland und sucht die Orte von Schwarzers Kindheit und Jugend auf. Dann schreibt sie wochenlang, Tag und Nacht, an einer Biographie, die respektvoll in der Haltung, nüchtern und unaufgeregt im Ton, aber hart in der Sache herauskommen wird: "Eine kritische Biographie" eben.


Frau Mika, welche Vorwürfe werden Alice Schwarzer am meisten zu schaffen machen?

Der härteste Vorwurf an eine Frau, die als Heldin des Feminismus gilt, ist mit Sicherheit jener der Frauenverachtung und des Frauenverrats. Aber genau das kann man bei Alice Schwarzer immer wieder feststellen: Sie scheint Frauen zu misstrauen, fordert sie heraus, attackiert sie, verrät sie. Bis diese anfangen, Kritik zu üben, zurückzuschlagen - und dann in den Augen der Alice Schwarzer Verrat begehen.

Der destruktive Umgang mit ihren Freundinnen, Kolleginnen und Mitarbeiterinnen hat sie offenbar viele Beziehungen gekostet. Nur schon die Zahl der ehemaligen "Emma"-Redakteurinnen und Autorinnen, die sich im Streit von ihr getrennt haben, soll ja beachtlich sein.

Das ist eine ganz schrille, aber auch traurige Geschichte, die etwas Groteskes zeigt. Alice Schwarzer hat vor allem ein Problem auf der Welt: Frauen. In nahezu allen Konflikten und Krächen, die sie ausgefochten hat, standen Frauen auf der Gegenseite. Das hat System. Mit Männern hat sie sich kaum je persönlich angelegt.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Frauen scheinen ja schon in ihrer Kindheit ihr Problem gewesen zu sein. Ihre Mutter hat sie als unterdrückt und abhängig erlebt, ihre Grossmutter als tyrannisch und verbittert. Einzig ihren Grossvater schildert sie stets als fürsorglich und sanft. Das muss man sich einmal vorstellen: Die Frauen der Familie sind negativ besetzt, der Mann rundherum positiv. Wenn das keine paradoxe Prägung für eine feministische Karriere ist.

Immer wieder erstaunlich an Alice Schwarzer mutet ja auch ihre hartnäckige Weigerung an, sich öffentlich zu ihrem Lesbischsein zu bekennen.

Ich halte es für unverständlich, dass eine Person wie sie, die sich seit Jahren zu Fragen der Sexualität äussert und für einen offenen, unverkrampften Umgang damit plädiert, zur eigenen Sexualität schweigt. Für ihr Privatleben gelten ihre propagierten Werte offensichtlich nicht. Das ist ein Widerspruch, den man einer Alice Schwarzer nicht durchgehen lassen kann.

Was schätzen Sie an ihr besonders?

Sie ist trotz oder gerade wegen all ihrer Widersprüchlichkeiten eine aussergewöhnliche Persönlichkeit. Sie ist auch ausgesprochen mutig, hat vieles früher und vehementer - Stichwort Abtreibung - angerissen als andere. Ich mag šberzeugungstäterinnen mit missionarischem Eifer.


Alice Schwarzer gibt zur Zeit keine Interviews. Stattdessen verweist sie auf ein frisch gedrucktes Buch: "Das bewegte Leben der Alice Schwarzer - die Biographie." Man staune und wisse: Die wahrhaft Mächtigen kriegen nicht nur eine "kritische", sondern auch eine "autorisierte" Biographie. Die guten alten Schwarzer-Freunde Anna Dünnebier und Gert v. Paczensky, zwei Journalisten, sprangen der von ihnen Hochverehrten bei und produzierten das der Protagonistin genehme Werk.

Geschwätzig, wie Schwarzer mitunter ist, enthüllt sie in der jüngsten "Emma" frank und frei: "Dieses Buch wäre wohl nicht jetzt entstanden, wenn es da nicht eine zweite Biographie gäbe..." Mit anderen Worten: Dieses Buch ist ein Gegen-Angriff oder, wie der "Stern" jüngst frotzelte: eine "Gegendarstellung".

Die Stossrichtung wird bereits auf den ersten Zeilen vorgegeben: "Gegen ihre Leistung verblassen ihre Schwächen." Dafür wird Bascha Mika flugs kriminalisiert oder - je nach Lesart - pathologisiert, der man sogar ein eigenes Kapitel einräumt: "Der Fall Bascha Mika oder wie ein "taz"-Star Leser irreführt." Darin geht der für diesen Teil verantwortliche Autor Paczensky hart ins Gericht mit ihr und ihrem "taz"-Porträt: Er wirft ihr "Geflunker" vor, spricht von "Verleumdungsversuchen", "Bascha Mikas Märchenstunde" und "einer Reporterin, die auf Kriegsfuss mit den Fakten steht." Sein Text gipfelt im stolz vorgetragenen, vermeintlichen Motiv von Mikas unstatthaftem Tun: "grüner blanker Neid."


Bascha Mika, was sagen Sie dazu, dass gleichzeitig mit Ihrer noch eine zweite Schwarzer-Biographie auf den Markt kommt?

Im ersten Moment war ich ziemlich überrascht. Doch inzwischen denke ich, dass es die Debatte nur noch spannender machen wird. Nun können die Leute direkt vergleichen, auf welch unterschiedliche Art sich ein- und dieselbe Person porträtieren lässt.

Paczensky/Dünnebier hatten den Vorteil, dass sie jederzeit auf Schwarzer als Auskunftsperson zurückgreifen konnten.

Aber sie haben diese Chance nicht genutzt, sondern eine Lobhudelei produziert, die überflüssig ist, da sich Alice Schwarzer seit Jahr und Tag selber genügend lobt.

"Alice Schwarzer - Eine kritische Biographie" von Bascha Mika (Rowohlt-Verlag, Hamburg)

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© Barbara Lukesch