«Das ist Kikeriki»

Alice Schwarzer / 9. Dezember 1996, "Annabelle"

Symbolbild Thema Frauen

Alice Schwarzer ist die mit Sicher- heit prominenteste Feministin im deutschsprachigen Raum. Sie ist die umstrittenste, und sie ist die beliebteste. Die 54jährige Journalistin, Emma-Chefredaktorin, Verlegerin, Bestsellerautorin und TV-Ratefee, die mehr als zwanzig Jahre feministischer Kampf hinter sich hat, ist ein Unikat, einmalig und unverwechselbar.

Da führt sie 1971 im «stern» mit mehr als 300 prominenten Frauen die Abtreibungskampagne «Ich habe abgetrieben» durch; 1978 klagt sie den «stern» wegen seiner sexistischen Titelbilder ein. Sie kämpft vehement gegen Pornographie und druckt zu diesem Zweck auch mal unter Missachtung des Copyrights neunzehn Fotos des Starfotografen Helmut Newton ab.

1994 verliert sie den Prozess gegen Newton und zahlt ihm schliesslich Zehntausende von Mark an Schadenersatz. Sie kämpft mit ähnlicher Vehemenz für die Rechte der Tiere und erntet Spott und Häme. Sie wird zur Biographin der «Zeit»-Mitherausgeberin Marion Gräfin von Dönhoff, einer Frau, deren Geringschätzung des eigenen Geschlechts geradezu sprichwörtlich ist. Egal. Schwarzer ist fasziniert von der Rollenbrecherin, die ihren Weg in der Männerwelt ging.

In ihrem Büro im Kölner Bayenturm, das einen phantastischen Blick auf den Rhein und seine Ufer erlaubt, empfängt Alice Schwarzer ihre Gäste aus der Schweiz. Neunzehn von zwanzig Interviewterminen lässt sie ihre Sekretärin absagen; wir haben Glück und kriegen den zwanzigsten.

Alice Schwarzer, Ihre Tochter Emma wird zwanzig Jahre. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung Ihres «Kindes»?

Ich bin sehr zufrieden mit Inhalt und Aufmachung der Emma, fände es aber schön, wenn sie sich auch noch etwas stärker von mir emanzipieren könnte.

Emma war stets Alice und umgekehrt. Diese enge Identifikation ist ja auch ein Markenzeichen Ihres Blattes.

Dessen bin ich mir bewusst. Und Pionierprojekte haben es natürlich immer schwer, von ausreichend vielen Schultern getragen zu werden. Damit steht Emma nicht allein.

Sie haben also noch keine geeignete Nachfolgerin gefunden, die Ihren Job als Chefredaktorin dereinst übernehmen könnte?

So ist es. Es gibt einfach zu wenige Frauen, die fähig und bereit sind, sich auf den «Zwitter» Emma einzulassen. Denn - sehen Sie - Emma ist von einer unstreitig hohen handwerklichen Professionalität und gleichzeitig von einer unüblichen politischen Konsequenz, man kann auch Radikalität sagen. Nun finden Sie einmal Journalistinnen, die auf diesem schmalen Grat mitarbeiten können und wollen. So war es in der ganzen Geschichte von Emma übrigens immer einfacher, Verlagsmitarbeiterinnen zu finden.

Wie steht es im Jubiläumsjahr um die Auflage Ihrer Zeitschrift?

Normalerweise drucken wir rund 80 000 und verkaufen zwischen 50 000 und 60 000 Exemplaren; rund die Hälfte davon im Abonnement. Von der Jubiläums-Emma werden wir allerdings über 100 000 Exemplare drucken.

Sind Sie zufrieden mit diesen Zahlen?

Natürlich hätten wir auch gern die zehnfache Auflage, das wäre wunderbar. Aber dann müssten wir das 1000fache Werbebudget haben.

Sind denn die jungen Frauen heute überhaupt noch interessiert an einer feministischen Zeitschrift?

Gerade die jungen Frauen! Zurzeit bekommen wir mehr Briefe von jungen Frauen denn je zuvor. Die sind ja, seit es keine anfassbare Frauenbewegung mehr gibt, recht allein. 72 Prozent sind unter 40 - das ist extrem jung. Und das in einer Zeit, in der alle anderen Frauenzeitschriften unter Überalterung leiden.

Sie selber sind 54 Jahre alt und engagieren sich nun seit fast 25 Jahren für die Sache der Frau. Ist Ihre Energie, Ihr Zorn und Ihre Empörung über Missstände immer noch gleich gross wie in den Anfangszeiten?

Natürlich bin ich abgeklärter als früher und neige mehr zu Ironie und Sarkasmus. Man kann sich nicht über dieselben Missstände mit immer derselben Empörung zwanzig Jahre lang aufregen. Darin sehe ich auch nicht die Aufgabe von Emma.

Wie würden Sie Emmas Aufgabe innerhalb der deutschsprachigen Medienlandschaft umschreiben?

Emmas Aufgabe ist es, vor- und weiterzudenken. Sie hat sich den Entwicklungen der Zeit zu stellen und diese zu analysieren und zu kommentieren. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel. Bereits 1977 hat Emma das erste Dossier über Inzest veröffentlicht. Darin stand klar und deutlich, dass Inzest kein individueller Fehltritt ist, sondern ein Kernstück der Männerherrschaft. Inzest beziehungsweise der sexuelle Missbrauch der Töchter durch ihre Väter, Stiefväter, Onkel und Grossväter bedeutet die frühe Brechung der Frau und die lebenslange unlösbare Verknüpfung von Erniedrigung und Liebe. Inzest, schrieb Emma damals, ist ein Politikum.

Haben Ihre Leserinnen seinerzeit auf dieses Dossier reagiert?

Passen Sie auf! Obwohl dieses Dossier sehr darauf angelegt war, Betroffene anzusprechen und sie zum Handeln zu bewegen, bekamen wir 1977 keinen einzigen Leserbrief. Die Zeit war noch nicht reif. Erst Jahre später sprachen mich viele Frauen an und gestanden mir, dass dieses Dossier sie sehr wohl erreicht und bewegt hatte. In den übrigen Medien tauchte Inzest erst ab Ende der achtziger Jahre auf und wurde zum Teil auf sehr fragwürdige und voyeuristische Art abgehandelt. Emma hatte zu diesem Zeitpunkt bereits weitergedacht und stellte nun die Frage: Welche Rolle spielen die Mütter? Warum schauen sie weg, warum helfen sie ihren Töchtern nicht? Inzwischen ist die Tatsache, dass es den sexuellen Missbrauch gibt, bekannt. Jetzt haben wir gegen den Backlash zu kämpfen, dessen Kampfslogan lautet «Missbrauch des Missbrauchs» - das sind meist sich für fortschrittlich haltende Männer und auch einige Frauen, die behaupten, Kindesmissbrauch sei eine feministische Erfindung und würde den Kindern nur eingeredet ... Letzte Woche nun habe ich in der «Süddeutschen» eine ganze Seite gelesen: «Tatort Familie». Es gibt Inzest, hiess es da ... Eine ganz neue Information.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Emma?

Ich wünsche mir, dass Emma weiterhin die brisanten Themen formuliert, Informationen zusammenträgt und - (sie lacht) - dass die «Süddeutsche» in weniger als zwanzig Jahren nachzieht.

Reden wir über Sie, Alice Schwarzer. Sie waren jahrelang ein rotes Tuch für den deutschen Mann, galten als Radikalfeministin, Männerhasserin und hiessen in gewissen Kreisen auch «Schwanz-ab-Schwarzer». Seit Ihrer Teilnahme an Fernseh-Ratespielen und Talkshows haben Sie enorm viel Popularität gewonnen und kommen heute selbst bei Otto und Erna Normalverbraucher sehr gut an.

Ja Gott sei Dank. Mich hat es nie interessiert, in elitären Kreisen zu verkehren oder eine Elitezeitschrift nur für Intellektuelle zu machen oder solche, die sich dafür halten. Mich interessiert die maximale Kommunikation. Also freut mich meine Popularität sehr, denn sie nützt meinen politischen Absichten. Ich möchte alle Frauen erreichen, denn Frauen haben - unabhängig von Privilegien, Bildung, Bewusstsein und Alter - mehr Gemeinsamkeiten, als es ihnen selbst lieb sein kann.

Haben Sie damals, als Joachim Fuchsberger Sie um Ihre Teilnahme an dem TV-Ratespiel «Ja oder nein» bat, sofort begeistert zugestimmt?

Nein. Zuerst habe ich abgelehnt. So ein TV-Quiz schien mir doch etwas abwegig. Dann insistierte Fuchsberger, und plötzlich dachte ich: Warum eigentlich nicht? Warum soll ich mir zu fein sein, um an gutgemachter Fernsehunterhaltung mitzuwirken? Ehrlich gesagt, habe ich auch aus einer gehörigen Portion Provokationslust und Widerborstigkeit zugestimmt.

Gegenüber wem?

Gegenüber dem deutschen Schubladendenken. Ich finde diese Kästchen, in die gerade hierzulande eine jede und ein jeder gesteckt wird, langweilig und unkreativ. Für mich gibt es nicht oben die hehren Intellektuellen und die Politik und unten das niedere Volk und die Unterhaltung. Ich finde auch Popularität nicht an sich verdächtig. Und das Wissen, dass ich für solche Auftritte hämische Kommentare in der pseudolinken «taz» und im «Spiegel» kriege, beflügelt mich eher. Diese Art von Provokation macht mir Spass.

Und die hämischen Reaktionen liessen ja auch nicht auf sich warten.

Ja, klar. Nun hatten aber diese paar Fernsehauftritte - das waren mit «Ja oder nein» ja nicht mehr als ein Dutzend pro Jahr - allerdings auch einen irrsinnig positiven Effekt. Plötzlich entdeckten nicht nur der gernzitierte «kleine Mann von der Strasse», sondern auch die klugen Medien, dass Schwarzer ja «ganz anders ist». War da vorher dieses gewaltige Wesen, dieses kastrierende Monster, das alle abschreckte, hiess es nun: Sie kann ja auch lachen, sie isst ganz gern, sie hat sogar eine Katze und Freunde - kurzum, die Schwarzer ist ein Mensch. Na wunderbar.

Sie haben also Ihre Teilnahme an den TV-Ratespielen nicht bereut?

Im Gegenteil. Ich gratuliere mir noch heute dazu, denn sie hatte einen ganz ungeheuren Entdämonisierungs-Effekt. Später gab es ja dann übrigens einen regelrechten Run der Intellektuellen aufs Fernsehen; da sassen plötzlich alle in irgendwelchen Spiel- und Rateshows.

Anlass zu Ihrer Dämonisierung war Ihr Buch «Der kleine Unterschied und seine grossen Folgen», erschienen 1975, in dem Sie die Sexualität zwischen Mann und Frau als «Instrument zur Erniedrigung von Frauen» beschrieben. Hatten Sie damals mit derart heftigen Reaktionen gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Die Reaktionen haben mich total überrumpelt und auch leicht verschreckt.

Angesichts der Brisanz Ihres Buches, in dem Sie unter anderem den Begriff von der weiblichen «Orgasmuslüge» prägten, hätten Sie doch auf einiges gefasst sein müssen.

Sicher wusste ich um die Brisanz des Inhalts. Aber es ist ja auch nur in einem bestimmten historischen Moment möglich, dass ein Buch zum Symbol für die Sache wird und Hunderttausende von Paaren anfangen, darüber zu streiten - manche sogar bis hin zur Scheidung. Andere aber haben dank des «Kleinen Unterschieds» überhaupt erst angefangen, einmal ernsthaft miteinander zu reden.

Wie oft wurde der «Kleine Unterschied» verkauft?

So eine halbe millionmal. Und es verkauft sich weiter.

Und mit diesem Buch wurde Alice Schwarzer zur öffentlichen Person.

So war es. Mein Name trat immer mehr in den Vordergrund, und da es die deutsche Frauenbewegung ansonsten ja nicht vor Originalität zerriss, wurde der Name Schwarzer grösser und grösser und immer interessanter für die Medien. Das war schon ein Problem für mich.

Aber Sie haben Ihre wachsende Prominenz doch sicherlich auch genossen.

Natürlich machte es mir Spass, dass mein Buch von so vielen gelesen wurde und soviel auslöste. Und es machte Spass, dass meine Diskussionsveranstaltungen von so vielen besucht wurden. Die Säle waren damals ja brechend voll, und ein paar hundert mussten jedesmal draussen bleiben. Und so ist es ja bis heute geblieben. Aber Sie dürfen nicht vergessen, welchen Preis ich eben auch zahlen musste. Damals begann ja der Versuch, mich als Frau herabzuwürdigen - so in dem Stil: «Die Hexe mit dem stechenden Blick», die «Zicke, die den Sex einer Strassenlaterne» hat, «Schwanz-ab-Schwarzer». Riesige Schlagzeilen verkündeten, dass ich scheusslich aussähe und nur Feministin sei, weil ich keinen Mann abgekriegt hätte. Damit muss man auch erst einmal klarkommen. Gott sei Dank war ich schon über dreissig und hatte bereits einiges an Lebenserfahrungen gesammelt.

Und das allein bewahrte Sie vor dem Zusammenbruch?

Schauen Sie, ich hatte noch nie Probleme mit meiner weiblichen Identität. Und ich hatte auch nie Probleme mit dem Begehrtwerden. Menschen, die mich interessierten, haben sich in der Regel auch für mich interessiert. Und so ist es auch heute. Also ich war und bin keineswegs vergrämt, sondern - im Gegenteil - mir meines Frauseins auf eine gelassene Art und Weise sicher. Punkt eins. Punkt zwei: Ich hatte damals schon ein paar Jahre Feminismus hinter mir und wusste - zumindest theoretisch - um den Mechanismus, dass man mit einer Feministin nicht über Argumente streitet, sondern sie als Person zu diffamieren versucht. Und drittens hatte ich in meinen Jahren in Paris, wo ich den Aufbruch der Frauenbewegung miterlebt habe, viel Spass gehabt und Bewusstsein und Durchblick gekriegt. All das hat mich vor einem Zusammenbruch bewahrt.

Haben Sie sich nie gewünscht, Sie könnten die Geister, die Sie damals gerufen haben, verscheuchen und wieder zur unbekannten Privatperson werden?

Nein. Man kann nicht hinter sich selbst zurückfallen. Ich bin seit jeher ein politischer Mensch, und es ist für mich eine absolute Selbstverständlichkeit, dass ich hingucke und mich einmische, wenn irgendwo Unrecht herrscht. Ich war gerade in New York. Auch da kann ich nicht weggucken, wenn die Leute auf der Strasse liegen, und fange an, ein bisschen was zu verteilen. Würde ich dort leben, würde ich etwas unternehmen. All das gehört zu meiner Person. Was mich allerdings wesentlich mehr an meinem Prominentsein strapaziert, ist das Reduziertwerden auf das Klischee. Wenn mir Menschen begegnen, nehmen sie ja zunächst nicht mich als Person wahr, sondern sie stülpen mir ihre Projektionen über, in der Regel hochemotionalisiert - und zwar sowohl im Positiven wie im Negativen. Und da muss ich immer gegenhalten.

Anlässlich des 8. März, des Internationalen Tags der Frauen, publizierte die linke «taz» aus Berlin dieses Jahr ein Porträt von Ihnen, in dem hart mit Ihrer Person ins Gericht gegangen wird. «Retten Sie sich vor Alice!» heisst der Text, den eine Redakteurin verfasst hat, die 1994 unter anderem auch von Ihnen mit dem Emma-Journalistinnen-Preis ausgezeichnet wurde. Sie beschreibt Sie als skrupellos, egozentrisch, kritikunfähig und frauenfeindlich. Wie haben Sie auf diesen Artikel reagiert?

Ich war schockiert, habe aber von der «taz» eigentlich nichts anderes erwartet, da ich aus dieser Ecke noch nie etwas anderes als krudeste Häme und unvorstellbare Polemik erlebt habe. Ich werde in diesem Porträt zwar als Person diffamiert, aber im Grunde genommen zielt dieser Angriff gegen meine Rolle als unabhängige Feministin, die sich nie gescheut hat, auch die Linke zu kritisieren. Von der konservativ-liberalen Presse bin ich übrigens noch nie so niedrig attackiert worden.

Hat es Sie nicht besonders geschmerzt, dass eine Frau Sie dermassen negativ zeichnet?

Nicht mehr. Das ist ja alt, dass die Männer die Frauen auf die Frauen hetzen. Die sollen sich gegenseitig die Augen auskratzen. In Deutschland wäre sich jeder gute Journalist zu schade, so einen Artikel wie den von der «taz»-Frau zu schreiben. Damit machen die Jungs sich nicht mehr die Finger dreckig, dafür haben sie ihre Mädels.

Warum sind Sie gegen dieses «taz»-Porträt nicht juristisch vorgegangen? Die Härte der Vorwürfe hätte einen solchen Schritt doch nahegelegt.

Ich habe noch nie gegen einen Text geklagt, auch wenn er eindeutig falsche Fakten enthalten hat. Das hätte mich viel zu viel Lebenszeit gekostet. Ich investiere lieber ins Positive, ins Weitergehen, statt zurückzublicken. Ausserdem lassen sich all die subtilen Degradierungen, die Herabwürdigungen, ja das Atmosphärische eines Artikels gar nicht einklagen. Von Diffamationen bleibt so oder so immer etwas hängen; dessen bin ich mir sehr bewusst. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer ...

Einer der Vorwürfe der «taz», der auch andernorts immer wieder zu hören ist, lautet, Sie seien autoritär. Wie schätzen Sie sich selber diesbezüglich ein?

Es ist für mich sehr ermüdend, immer wieder auf diese albernen Fragen antworten zu müssen. Warum fragt eigentlich nie jemand meine Kolleginnen, wie ich bin? Also: Ich habe vermutlich Schwächen, wie jeder Mensch. Nur: autoritär bin ich nun mal gar nicht - eher zutiefst antiautoritär und anarchistisch. Vielleicht verwechseln Sie und all die anderen bei einer Frau Stärke und Durchsetzungsfähigkeit mit autoritärem Gehabe.

Zurück nochmals zu Emma, dem Geburtstagskind. Vor einiger Zeit haben Sie Ihr «Magazin für Frauen» in ein «Magazin für Menschen» umgetauft. Animiert der neue Untertitel viel mehr Männer als vorher zum Kauf von Emma?

Ich weiss nicht. Bei diesem neuen Untertitel ging es auch eher um ein selbstironisches Augenzwinkern. Und ein Gegen-das-Klischee-Halten: dieses dumpfe Klischee von den männerhassenden Feministinnen. Es gibt eben auch Männer, die Menschen sind - und Frauen, die unmenschlich sind. Alles eine Frage der Macht.

Hat es im Verlaufe von zwanzig Jahren Emma auch «Ausrutscher» gegeben, das heisst Kampagnen, Dossiers oder Titelgeschichten, die Sie im nachhinein bedauern und heute anders machen würden?

Da fällt mir zunächst ein verlegerischer «Ausrutscher» ein. Ich bedaure, dass ich eine Ende der siebziger Jahre bereits gebuchte Anzeigenkampagne von Marlboro storniert habe. Doch nachdem der Marlboro-Cowboy einmal auf der Rückseite von Emma erschienen war, gab es ein solches Aufjaulen bei einigen Leserinnen und Redakteurinnen, dass ich dem Druck nachgegeben habe. Ich selber hätte angesichts der rigorosen Trennung von Anzeigen- und redaktionellem Teil, die bei Emma seit jeher bestanden hat, gut mit dieser Kampagne leben können.

Woran hat sich der Protest entzündet - am Produkt Zigarette oder am Werbeträger Mann?

Nur am Mann. Diesbezüglich sind die Emma-Leserinnen ja auch ganz komisch. Die meisten haben zwar auch ihren Mann zu Hause und im Bett. Aber ihre Emma muss «sauber» sein; da wollen sie keinen Kerl sehen, und schon gar nicht so einen He-Man.

Fallen Ihnen noch andere «Ausrutscher» ein?

Ich wollte einmal eine ganze Emma nur von Männern schreiben lassen. Das war auch so um 1978 oder 79. Das fand ich witzig und provokant, und die ersten Beiträge lagen schon auf der Redaktion. Doch der Protest war wiederum so gewaltig, dass ich zurückgewichen bin. Vielleicht war das eine Schwäche: dass ich mich zwar weniger als viele andere, aber dennoch auch manchmal diesem rigiden deutschen Dogmatismus gebeugt habe. Erst zehn Jahre später habe ich es dann gewagt, mindestens eine halbe Emma von Männern schreiben zu lassen. Was sehr witzig war.

Eine Emma-Ausgabe, die viel zu reden gab, war jene, in der Sie sich dem Tierschutz gewidmet haben. Würden Sie diese Nummer nochmals gleich gestalten?

Aber sofort!

Sie hat Ihnen aber enorm viel Spott und Geringschätzung eingetragen.

Ja klar. Tiere sind eben etwas noch Geringschätzigeres als Frauen. Es reicht schon, dass diese Weiber sich für andere Weiber einsetzen - und jetzt auch noch Tiere. Dabei ist die Hackordnung doch klar: Ganz oben der weisse Mann, darunter der farbige/andere Mann, darunter die weisse Frau, darunter die farbige/andere Frau, darunter die Kinder - und ganz unten die Tiere. Für die konsequentesten unter den Feministinnen war es schon immer klar, dass die- ses gesamte Machtgefüge in Frage gestellt werden muss. Niemand soll sich über niemanden erheben können, auch nicht der Mensch über das Tier.

Zuweilen hat man den Eindruck, Emma sei etwas ausgebrannt. Einmal werden Autorennfahrerinnen gefeiert, dann treten Zauberinnen gross in Erscheinung. Das Motto «Egal was - Hauptsache Frau» weckt mitunter Zweifel und Skepsis.

Das verstehe ich nun gar nicht. Denn die beiden von Ihnen genannten Themen liegen im Zentrum unseres Interesses. Da geht es doch um den Rollenbruch, etwas vom Faszinierendsten, was es gibt. Schauen Sie, ich gebe Ihnen noch ein drittes, sogar noch heikleres Beispiel: Die spanische Stierkämpferin Sanchez. Würde ich die Emma in Spanien machen, würde ich eine grosse Titelgeschichte über Sanchez bringen - egal, wie viele Abos mich das kosten würde.

Das sagen ausgerechnet Sie, die sich für den Tierschutz einsetzt.

Ganz genau. Ich halte einen Stierkampf tatsächlich für etwas sehr Grausames und finde es äusserst beklagenswert, dass Frau Sanchez Stiere umbringt. Gleichzeitig finde ich es aber feministisch höchst faszinierend, dass eine Frau es wagt, in einer solch machistischen Kultur wie der spanischen, in der der Stierkampf reine Männersache ist, in diese Domäne einzudringen. Hier handelt eine Frau wie ein Mann. Das Interessante daran ist, dass es eben keine biologische Frage ist, wie man sich verhält. Nein, das Geschlecht sitzt im Kopf und nicht zwischen den Beinen, wie man uns jahrhundertelang weisgemacht hat. Es ist alles eine Frage der Macht.

Was sind - gemäss Ihrer Einschätzung - die grossen feministischen Themen der Zukunft?

Das eine Thema ist die Sexualgewalt, die eher eskaliert und neue Formen der Propagierung - Stichwort Pornographie - findet. Das andere Thema ist der religiöse Fundamentalismus, der nicht zufällig als erstes immer auf die Entrechtung der Frauen zielt. Doch: inzwischen wissen alle, womit wir es beispielsweise in Algerien und Afghanistan zu tun haben; die Zeiten, in denen diese Ereignisse unter «andere Länder, andere Sitten» abgetan wurden, sind hoffentlich bald vorbei.

Wie schätzen Sie 1996 das Verhältnis der Geschlechter ein? Allerorten ist von Gewalt, aber auch sexueller Lustlosigkeit und vom Backlash, dem antifeministischen Rückschlag, die Rede.

Ich denke, dass wir momentan Fortschritt und Rückschritt zugleich beobachten können. Es gibt immer mehr Frauen, die die Männerherrschaft in Frage stellen und den aufrechten Gang gehen. Eine Antwort darauf ist die vermutlich steigende Sexualgewalt. Damit sollen Frauen erneut gebrochen werden. Nichtsdestotrotz belegt eine Allenspach-Untersuchung aus dem Jahr 1994, dass jede zehnte befragte Frau von sich sagt: Ich bin Feministin. Wenn man weiss, was für ein Schimpfwort «Feministin» in Deutschland ist, ist man begeistert und denkt: toll! Bei den unter 29jährigen Frauen wagen sogar 17 Prozent, sich dieses provokante Etikett selbst anzuheften. Das halte ich für Löwinnenmut. Andere Frauen haben ja nur schon Angst, sich die Emma am Kiosk zu kaufen, weil es vielerorts ein Spiessrutenlaufen ist.

Da dürften all jene, die Frauenkomödien à la «Das Superweib» von Hera Lind bevorzugen, weniger Probleme haben. Wie erklären Sie den gigantischen Erfolg solcher Romane?

Bücher wie «Das Superweib» suggerieren ja die Powerfrau, die alles kriegt und alles schafft. Es ist natürlich kein Wunder, dass viele Frauen von einem solch paradiesischen Zustand träumen: Karriere im Beruf machen, tolle Mutter und am Abend dann noch die rasante Geliebte im Bett sein. Nur angesichts solcher Erwartungen geraten die Frauen immer wieder unter Druck. Dann muss Emma wieder zur Spielverderberin werden und sagen: Mädels, seid so gut und guckt genau hin! Lasst euch von euren Träumen nicht in die Sackgasse locken. Denkt nach und trefft eure Wahl!

In welchen Lebensbereichen werden denn Frauen nach wie vor am meisten benachteiligt?

Frausein bedeutet in jeder Sekunde, eine andere Existenz zu haben als ein Mann. Frauen haben überall mit anderen Möglichkeiten, Erwartungen und einem anderen Blick zu tun. Das trifft auch mich als selbstbestimmte und selbstbewusste Frau. Davor ist keine Frau gefeit. Das sind die Folgen von 5000 Jahren Patriarchat, und das heisst letztlich nichts anderes als 5000 Jahre randständiger, relativer Existenz. Das schüttelt frau nicht so leicht ab.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Männern beschreiben?

Mein Verhältnis zu Männern ist, glaube ich, besonders gut und naiv. Ich wurde von einem Mann, meinem Grossvater, aufgezogen. Das musste ja Auswirkungen haben, insbesondere weil dieser Mann sehr fürsorglich, warmherzig, verspielt und humorvoll war. Ich denke, dass eine der entscheidenden Weichenstellungen in meinem Leben die frühe Erfahrung war, dass ein Mann nicht automatisch ein Unmensch sein muss. Gleichzeitig haben er und meine Grossmutter mir nie den Eindruck vermittelt, dass ich als Mädchen beziehungsweise Frau etwas Minderwertiges oder gar Verachtenswertes sei.

Wie haben Sie Ihre Grossmutter erlebt?

Meine Grossmutter war die Autorität in der Familie. Sie war eine hochinteressante Person, eine kluge, politisch ungeheuer mutige Frau, ohne Wenn und Aber gegen die Nazis, sehr risikobereit. Dank ihr habe ich erfahren, dass auch eine Frau denken, politisch handeln und Charakter haben kann. Dank meinem Grossvater weiss ich, dass auch ein Mann ein Mensch sein kann. Ich glaube, dass diese frühe Erfahrung die Hauptquelle meiner andauernden Empörung über das Verhalten der meisten Männer darstellt. Ich kann mich mit ihren Unmenschlichkeiten nicht abfinden, weil ich weiss, dass sie auch anders können.

Hatten Sie überhaupt keinen Kontakt zu Ihrer leiblichen Mutter?

Selbstverständlich. Aber mei-ne Mutter ist eher so etwas wie meine ältere Schwester. Ich bin unehelich geboren und bei den Grosseltern aufgewachsen, zu denen ich «Mama» und «Papa» gesagt habe.

Welche Frauen bewundern Sie?

Bewundern? Ich würde eher sagen, mir imponieren starke Frauen, Rollenbrecherinnen wie Gräfin Dönhoff ...

... über die Sie vor kurzem eine Biographie publiziert haben.

Mir imponieren aber auch Frauen beziehungsweise Menschen, die fähig sind zum Mitleiden, aber auch zur Selbstironie. Mit letzterem haben viele Männer ja eher Mühe. Sie neigen dazu, so wichtig zu tun. Sogar in ihrer Freizeit tun sie noch wichtig, Termine, Handy und so weiter. Das ist mir ganz fremd. Ich spiele nie wichtig und bilde mir auch auf meine sogenannte Berühmtheit überhaupt nichts ein. So etwas ist ja alles sehr relativ und vergänglich. Und letztendlich müssen Sie sich im Leben jeden Tag neu beweisen.

Gab es jemals eine Phase, in der Sie unter der Last der öffentlichen Ansprüche, Erwartungen, vielleicht auch Missverständnisse zu zerbrechen drohten?

Ja, diese Phase gab es. Um 1980. Da wollten sie wirklich meine Haut. Der Auslöser war interessant. Ich hatte laut über die Möglichkeit eines Wahlboykotts der Frauen nachgedacht, weil ich dazu beitragen wollte, das Potential der weiblichen Wählerstimmen in einen Machtfaktor umzumünzen. Das traf damals, vor der Existenz der Grünen, vor allem die SPD, die dank der «neuen Frauen» an die Macht gekommen war. Dann ging eine wahre Hetzjagd los, mit allen Mitteln und durch alle Medien ... Damals habe ich viel gelernt.

Ein Vierteljahrhundert später wird Alice Schwarzer auf Vorschlag des Bundespräsidenten Roman Herzog mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Wie haben Sie auf soviel vaterländischen Ruhm und die grosse Ehre reagiert?

Na ja, 15 Jahre später ... Herzogs Vorschlag erfolgte ein paar Monate nach seiner Erklärung, dass er künftig einen Drittel aller Ehrungen an Frauen verteilen wolle. Und da man ja nun von mir halten kann, was man will - eines ist der Nation klar: Alice Schwarzer ist die Frau der Frauen. Folglich war es strategisch geschickt vom Bundespräsidenten, in diesem Moment die Schwarzer auszuzeichnen.

War mit dieser Auszeichnung nicht auch der Versuch verbunden, Sie zu zähmen und zu besänftigen?

Vermutlich. Aber wissen Sie, so ein Bundesverdienstkreuz, und dann noch die zweitkleinste Stufe - na ja.

Wie sieht es denn aus?

Es ist so eine kleine Schleife, und es hängt, glaube ich, noch was dran. Ich müsste nochmals im Kästchen nachgucken. Schauen Sie, so ein Bundesverdienstkreuz wird Tausende Male im Jahr verliehen. Das ist Kikeriki - darauf brauche ich mir nun wirklich nichts einzubilden.

Zum Schluss noch ein Wort zur Schweiz. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an die Schweizerinnen denken?

Der Brunner-Effekt. Den fand ich enorm. Da machen diese Schweizerinnen, denen wir lange etwas gönnerhaft - von wegen Kanton Uri, Käse und Heidiland - begegnet sind, auf einmal einen gewaltigen Sprung nach vorn. Diese feministische Frische, der entschlossene Zorn der Basis, diese grosse Zahl öffentlich sichtbarer, hochqualifizierter Frauen - wirklich beeindruckend. Den Schweizerinnen hat es offenbar gereicht. Wenn man von weit her kommt, macht man manchmal grössere Schritte.

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© Barbara Lukesch