Das Schweigen der Männer

Paarkrisen / September 2001, "Wir Eltern"

Symbolbild Thema Männer

Rolf K. ist ein treuer Mann, zuverlässig auch und dazu ein liebevoller Vater. Verglichen mit anderen Männern, sagt Renate K., sei er ein guter Partner. Abmachungen halte er ein, sei grosszügig, lasse sie auch einmal allein mit einer Freundin und den Kindern in die Ferien fahren. Trotzdem hat die 37jährige Frau ihrem Ehemann vor einiger Zeit mit der Scheidung gedroht: "Ich halte sein ewiges Schweigen einfach nicht mehr aus", seufzt sie. Es zermürbe sie, ständig an eine Wand zu reden; sie fühle sich nicht ernst genommen, wenn all ihre Bemühungen um ein Gespräch im Sand verliefen.

Das Muster sei jedesmal gleich. Sie bitte um eine Aussprache. Er blicke kurz von der Zeitung auf und brumme: ""Aber Renate, nicht schon wieder." Sie: "Doch, es ist wichtig für mich." Er: "Wozu müssen wir denn dauernd in der Vergangenheit wühlen?" Sie: "Darum geht es doch gar nicht." Er: "Schatz, sei so gut und lass mich jetzt die Zeitung lesen." Nicht selten explodiere sie dann, werde in ihrer Verzweiflung laut und ausfällig. Die Zeiten, in denen sie Teller und Tassen gegen die Wand geschmissen habe, seien inzwischen, Gott sei Dank, vorbei. Heute ziehe sie sich verstört und unglücklich in ihr Zimmer zurück, alleingelassen mit ihren Bedürfnissen und Empfindungen. Der Satz ihrer älteren Tochter: "Mami, warum musst du denn den Papi immer so schlecht behandeln?" klinge ihr jeweils lange nach und mache alles nur noch schlimmer für sie.

Alles in sich hineinfressen

Renate K. ist kein Einzelfall. Viele Frauen klagen darüber, dass sich ihre Partner weigern, mit ihnen zu reden. Männer schweigen, statt dass sie Konflikte offen austragen. Sie geben ihre Gefühle nicht preis und fressen alles in sich hinein, in der Hoffnung, eine Missstimmung löse sich mit der Zeit von alleine auf. Männer tun sich insbesondere auch schwer damit, der Wertschätzung ihrer Partnerin einmal Ausdruck zu geben. Der Blumenstrauss zum Muttertag und ein nettes Geburtstagsgeschenk, meinen viele, seien ja wohl Anerkennung genug. "Sie weiss doch, dass ich sie liebe", gehört zum Standardrepertoire der Männermehrheit.

Doch Frauen brauchen ein Gegenüber, mit dem sie sich austauschen können. Täglich, immer wieder, mitunter nur über Belanglosigkeiten, manchmal auch über grosse Probleme. Oft genügt ihnen ein liebevolles Wort als Zeichen, dass ihr Partner sie überhaupt noch zur Kenntnis nimmt.

Hanni T. rannte ihrem Mann jahrelang bis auf die Toilette, in den Keller oder Garten hinterher und flehte ihn an: "Jürg, rede mit mir." Sie sei an seinem Schweigen fast erstickt. Dass er in seiner Jugend nicht gelernt habe, wie man sich anderen Menschen mitteile, habe ihr mit der Zeit nicht mehr als Ausrede gereicht.

Auf dem Hintergrund solcher Kommunikationsmuster bilden sich dann oft Rollen heraus, die sich nur noch schwer verändern lassen. Sie meckert und motzt, macht ihm Vorwürfe und wird immer mehr zur unausstehlichen Xanthippe. Er fühlt sich belästigt, grollt und zieht sich noch tiefer in sein Schneckenhaus zurück. Das Unverständnis zwischen den beiden wächst; von partnerschaftlichem Wohlwollen kann keine Rede mehr sein. Die 34jährige Anna-Lena W. erzählt: "Immer bin ich die Böse und muss Bernd wie eine Mutter sagen, was er zu tun hat." Das mache er dann auch meistens "brav wie ein Kind", um beim nächstenmal wieder in sein altes Muster von Gleichgültigkeit und Passivität zurückzufallen. Anna-Lena: "Bernd muss endlich lernen, Verantwortung für unsere Partnerschaft und Familie zu übernehmen." Bernd: "Wenn Anna-Lena nicht ständig etwas zu beanstanden hätte, wäre unsere Beziehung wunderbar." - die zwei Seiten einer Ehe.

Der Holzhammer hilft (manchmal)

"Leider verändern sich Männer oft erst, wenn ihre Frauen den Holzhammer hervorholen und sie ernsthaft unter Druck setzen", konstatiert die Berner Paar- und Familientherapeutin Ruth Schneider Rogger. Das ewige Reden nutze sich eines Tages ab und verpuffe wirkungslos. Irgendwann seien Handlungen gefragt: Der Gang zu einer Eheberatung zum Beispiel, vielleicht auch der Beizug einer Scheidungsanwältin.

Auch Renate K. staunte, wie gut Rolf auf einmal mit ihr reden konnte, als sie ihm die Koffer gepackt und mit dem endgültigen Aus ihrer Beziehung gedroht hatte, falls er nicht in eine Ehetherapie einwillige. Hanni T. erreichte jeweils schon viel, wenn sie in Krisenzeiten ihr Kissen und ihre Decke packte und das eheliche Bett ostentativ verliess, um im Wohnzimmer zu übernachten: "Nachher gab sich Jürg mindestens vorübergehend echt Mühe, mir mit mehr Aufmerksamkeit zu begegnen und seinen Egoismus zu zügeln." Eine nachhaltige Veränderung ihrer Partnerschaft aber trat erst ein, als die inzwischen 40jährige Frau und Mutter zweier Kinder einen Nervenzusammenbruch erlitt. Die Tochter war zwei Jahre alt, der Sohn vier Monate. Nacht für Nacht stand Hanni T. an die zehnmal auf, um das Baby zu trösten. Gleichzeitig musste der Umzug der Familie in eine grössere Wohnung vorbereitet werden. Als dann auch noch ihre Mutter erkrankte, klappte Hanni T. zusammen: "Damals war für einmal ich diejenige, die verstummte. Ich forderte nichts mehr, ich schimpfte nicht mehr, ich war einfach erledigt, und Jürg realisierte erschrocken, dass es nun an ihm war, zu reagieren."

Ballungen mehrerer Probleme führen nach Aussagen von Rogger Schneider tatsächlich häufig zu Paarkrisen. Das zweite Kind wird geboren, eine berufliche Veränderung des Mannes steht an, verbunden womöglich mit einem Wohnortwechsel und der sozialen Entwurzelung von Frau und Kindern. Die Sexualität des Paares leidet, er will, sie nicht, er ist beleidigt, sie reagiert mit Wut oder Depressionen, und die Krise eskaliert.

Gemeinsame Therapie als Ausweg

Immer mehr Paare entscheiden sich in solchen Situationen der heillosen Verstrickung und Überforderung dazu, gemeinsam eine Therapie zu machen. Die Zürcher Ehe- und Familientherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin ist überzeugt, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung inzwischen "salonfähig" geworden ist, sich professionelle Hilfe zu holen. Erstaunlich oft seien es heute sogar Männer, die den Beizug einer Fachkraft anregen würden: "Es berührt mich stark", sagt Welter-Enderlin, "wie sehr sich die Männer in diesen Gesprächen öffnen." Offenbar sei auch bei ihnen das Bedürfnis gewachsen, sich ihren Gefühlen zu stellen und diese nicht ganz in der Kälte und Hektik des Berufsalltags preiszugeben.

Neun von zehn Paaren, die in der Praxis der Spezialistin Rat suchen, schildern ihr ein- und dasselbe Krisenszenario: Bevor die Kinder auf der Welt waren, war man fest entschlossen, sich die Haus- und Familienarbeit gerecht und partnerschaftlich zu teilen. Spätestens mit der Geburt des zweiten Kindes sah dann allerdings alles ganz anders aus. Der Stress nahm zu; sie bekam den Spagat zwischen Kindern und Beruf nicht länger hin und gab ihren Job auf. Glücklich wurde sie dabei nicht. Sie entfremdete sich von ihrem Partner, litt unter Gefühlen von Isolation, aber auch Minderwertigkeit, fühlte sich finanziell abhängig und war eines Tages erfüllt von Ressentiments gegen den Mann, den sie doch eigentlich liebte. Wegen jeder Kleinigkeit geriet das Paar aneinander. Er verkroch sich immer mehr in seine Arbeit, litt unter Schuldgefühlen und verstummte daheim endgültig. Sie fühlte sich für dumm verkauft: Ihre ursprünglichen Ideale waren längst in Vergessenheit geraten; ihre Ausbildung nutzte sie auch nicht aus - die Frustration stand ihr im Gesicht geschrieben.

Dem 42jährigen Architekten Jonas G. und seiner 40jährigen Frau Madeleine, ausgebildete Gymnasiallehrerin, widerfuhr genau dieses Schicksal. Obwohl beide gleich gut qualifiziert sind, hat sie nach etlichen Jahren partnerschaftlicher Rollenteilung ihre Karriere an den Nagel gehängt und widmet sich vollumfänglich der Familienarbeit. Seither führen regelmässig "Lappalien", wie Jonas G. sagt, zu Reibereien zwischen ihnen, die im schlimmsten Fall mehrwöchige Verstimmungen nach sich ziehen. Er sei mitunter verzweifelt angesichts des Ritual-Charakters dieser scheinbar unvermeidbaren Konflikte: "Sie kommen und gehen wie das Amen in der Kirche." Je länger je mehr gewinne er den Eindruck, dass diese Streitereien stellvertretend für das tieferliegende Problem stünden, dass Madeleine mit ihrem Lebensalltag lange Zeit nicht zufrieden gewesen sei. Eine Ehetherapie habe ihnen denn auch nur punktuell und vorübergehend eine gewisse Erleichterung verschafft. Eine echte Verbesserung ihrer Beziehung verspricht sich Jonas G. aber davon, dass seine Frau seit einem knappen Jahr einer Teilzeitstelle nachgeht, die ihr sehr viel Freude macht.

Mutlosigkeit und Feigheit

An eine Trennung hat er nie gedacht: "Die Schwierigkeiten, die wir haben, wurden für mich immer aufgewogen durch die vielen Gemeinsamkeiten, die uns sowohl emotional, wie körperlich und intellektuell verbinden. Für mich gehört das Meistern von Problemen zu einer lebendigen Ehe dazu."

Frauen halten an schwierigen Beziehungen fest, weil sie ihre Kinder vor der Erfahrung einer Scheidung bewahren wollen. Mitunter ist es aber auch Mutlosigkeit und Feigheit, wie sie offen zugeben, die sie daran hindern, einen Schlussstrich zu ziehen. Ausserdem erfahren sie in den Gesprächen mit ihren Freundinnen, dass deren Männer auch nicht pflegeleichter sind. Wozu also eine Trennung herbeiführen, fragen sie resigniert, Max ist wenigstens ein guter Vater und ein sparsamer Ehemann.

Karoline H. reagierte aufmüpfiger. Josef trieb es allerdings auch so bunt, dass sie gezwungen war zu handeln. Wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes übernahm er ohne Rücksprache mit ihr eine Führungsfunktion, die ihn zeitlich dermassen mit Beschlag belegte, dass nichts mehr für die Familie übrig blieb. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Karoline ihre 80 Prozent-Stelle aufgeben sollen. Als sie sich weigerte, begann er eine Affäre mit einer jungen alleinerziehenden Mutter, die bereit war, ihm den Rücken freizuhalten. Karoline fühlte sich zwar verletzt und gedemütigt, war dank ihrer beruflichen und finanziellen Unabhängigkeit aber stark genug, einen selbstbewussten Entscheid zu fällen: "Ich wollte mir weiterhin ins Gesicht gucken können und habe mich nach kurzer Zeit von Josef getrennt."

Auch Anna-Lena hat sich inzwischen von Bernd scheiden lassen. Nachdem sie im Verlauf einer Ehetherapie zunächst sehr zuversichtlich war und an eine gemeinsame Zukunft glaubte, reagierte sie um so enttäuschter, als ihr Partner wenige Monate später im alten Stil weitermachte: desinteressiert und gleichgültig gegenüber familiären Angelegenheiten, dafür um so stärker darauf bedacht, seine Hobbys zu pflegen. In einigen zusätzlichen Therapiesitzungen war Anna-Lena nur noch daran interessiert, eine Trennung in Würde und Anstand, insbesondere auch zum Schutz ihrer drei Kinder über die Bühne zu bringen.

Erwartungen frühzeitig formulieren

Damit es gar nicht erst zu soviel gegenseitigem Unverständnis, später dann Eskalationen und zuletzt einer Trennung kommen muss, rät die Expertin Welter-Enderlin Paaren, dass sie vor der Familiengründung ihre gegenseitigen Erwartungen formulieren und mögliche Gefahren besprechen sollten: "Auch wenn es unromantisch klingt", gibt sie zu bedenken, "sollten Männer und Frauen in aller Ruhe und Sachlichkeit über ihre künftige Lebensgestaltung verhandeln." Dabei müssten Fragen wie die folgenden geklärt werden: Gibt sie ihren Job auf oder behält sie zumindest einen Fuss in der Erwerbswelt? Welchen Anteil an der Hausarbeit übernimmt er? Auf welche Art werden die Finanzen des Paares geregelt? Wie gelingt es den beiden, auch mit einem Kind genügend Zeit für ihre Partnerschaft zu reservieren?

"Paare, die nichts planen und sich darauf verlassen, dass mit dem Eintreffen des ersehnten Nachwuchses auch das Paarglück frei Haus mitgeliefert wird, laufen", so Welter-Enderlin, "mit Sicherheit in die Wüste."


"Töchter und Söhne mit einbeziehen

Interview mit der Zürcher Paar- und Familientherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin zum Thema Paarkrisen und Auswege

Frau Enderlin, merken Kinder, wenn Ihre Eltern in einer Krise stecken?

Auf jeden Fall. Sogar wenn sich die Eltern in Gegenwart ihrer Kinder verstellen und ihre Konflikte erst dann austragen, wenn die Kinder im Bett sind, spüren Kinder, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie haben ein sehr feines Gespür für die Stimmungen und Launen ihrer Eltern, weil sie ja in so hohem Mass von ihnen abhängig sind.

Welche Art von Krisen sind am belastendsten für Knaben und Mädchen?

Sie leiden am meisten, wenn zwischen ihren Eltern eine permanente Hochspannung herrscht, die sich nie auflöst. Scheusslich für Kinder ist zudem das Erlebnis einer Kampfscheidung, in deren Verlauf sie in Loyalitätskonflikte zwischen Vater und Mutter geraten.

Wie offen sollten Eltern vor ihren Kindern streiten?

Man kann problemlos vor Kindern streiten, wenn eine gute Basis vorhanden ist und die Kinder wissen: Mutter und Vater fetzen sich jetzt, aber letztlich gehören sie zusammen und vertragen sich wieder. Unter diesen Bedingungen lernen Kinder, dass ein Streit in einer Beziehung so heilsam sein kann wie ein reinigendes Gewitter. Verheerend hingegen sind Konflikte, in deren Verlauf es zu unabsehbaren Eskalationen kommt. Aus einer Bagatelle kann im schlimmsten Fall eine Katastrophe werden. Die Mutter bricht in Tränen aus, der Vater schreit herum, schlägt womöglich gar zu oder zieht sich grollend und unversöhnlich in sein Zimmer zurück. Solche Erlebnisse sind äusserst bedrohlich für Knaben und Mädchen.

Wie reagieren Kinder, wenn sich ihre Eltern in einer Krise befinden?

Sie leiden häufig unter diffusen Ängsten, ohne allerdings deren Ursache genau benennen zu können. Knaben zeigen oft Stresssymptome wie Schlaflosigkeit oder Einnnässen. Mädchen suchen eher das Gespräch und wollen wissen, was vor sich geht. Gemäss einer Untersuchung aus den USA zahlen Frauen, die in ihrer Kindheit eine Kampfscheidung ihrer Eltern erlebt haben, aber durchaus auch einen Preis, und zwar oft in Form von langfristigen Bindungs- und Beziehungsstörungen.

In welchem Moment einer Paarkrise sollte man die Kinder miteinbeziehen?

In dem Moment, in dem die Eltern Klarheit darüber gewonnen haben, welchen Weg sie einschlagen werden. Dann sollte gemeinsam über die Zukunft gesprochen werden, und zwar offen und ehrlich. Wenn Kinder dann erfahren, dass sich ihre Eltern trennen, sind sie oft furchtbar traurig und müssen richtig schluchzen. Aber es ist in jedem Fall besser, dass sie ihre Gefühle zeigen, statt alles in sich hineinzufressen.

Tut es nicht auch den Eltern gut, zu realisieren, dass ihre Trennung auch für ihren Nachwuchs eine sehr dramatische Entwicklung darstellt?

Absolut. Oft sind Eltern in Krisen nämlich dermassen fixiert auf sich und ihre Gefühle, dass sie gar nicht wahrnehmen, wie sehr die familiäre Situation auch ihre Kinder belastet. In dem Moment, in dem sie ihre Töchter und Söhne einbeziehen, merken diese, dass auch ihre Bedürfnisse wahr- und ernstgenommen werden.

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© Barbara Lukesch