«Das Radio ist meine grosse Leidenschaft»

Starmoderator Kilchsperger / 8. Juni 2005, "Annabelle"

Symbolbild Thema Porträts

Roman Kilchsperger sieht wieder mal klasse aus: frisch rasiert, tiptop gelierte Haare, modische Jeans mit einem Riss am Gesäss und ein satt sitzendes T-Shirt, das seinen gut geformten Oberkörper optimal zur Geltung bringt. Er lacht einladend und blickt aus freundlichen Augen aufmerksam in die Welt.

Dabei ist es kurz nach vier; ein kalter, schwarzer, stiller Morgen. Nur Kilchsperger ist schon voll auf Speed. Seinen Gast begrüsst er in den Redaktionsräumen des Zürcher Lokalradios Energy so aufgeräumt, als sei er bereits auf Sendung, und ist gleich per Du: "Fühl' dich wie zuhause. Nimm dir Kaffee oder Cola, lies den neuen Tagi oder die NZZ. Lauf herum, guck dir an, was dich interessiert. Hauptsache, du langweilst dich nicht."

In dieser Nacht hat er zwei Stunden geschlafen. Das ist selbst für ihn etwas wenig, der unter der Woche "mindestens drei bis vier Stunden" braucht. Doch die Vorbereitungen für die um fünf beginnende Morgenshow treiben seinen Adrenalinpegel hoch. Er tigert zwischen Studio Eins und Zwei hin und her, bespricht kurz etwas mit dem Nachrichtenredaktor, wirft immer wieder einen Blick auf die Uhr. In der Cafeteria zündet er sich eine Zigarette an, leert einen Becher mit schwarzem Kaffee und blättert fahrig ein Exemplar des Gratisblatts "20 Minuten" durch: "Nichts Gescheites", murrt er und zupft sein T-Shirt zurecht. Sein Körper vibriert vor Anspannung und wird in den nächsten fünf Stunden keinen Moment zur Ruhe kommen. Mit der linken Hand fährt er sich wiederholt über den Nacken und lässt seinen Kopf kreisen. Das sieht nach Schmerzen aus. Er nickt: "Sollte längstens zum Arzt gehen oder mindestens ein paar Übungen machen. Aber dazu habe ich weder Zeit noch Lust."

Zigi, Kafi, alles gleichzeitig

Jetzt sowieso nicht. Punkt fünf Uhr steht er am Sendepult, vor sich drei ildschirme, die eine Hand an der Maus, die andere an den Reglern, Kopfhörer über beiden Ohren und das Mikrofon vor der Nase. "Einen wunderschönen guten Morgen" wünscht er allseits und freut sich mit seinen Hörern auf einen sonnigen Frühlingstag, spielt einen Kurzbeitrag über die Feier zum 150 Jahr-Jubiläum der Zürcher ETH ein, dann Musik, Werbung, Prognosen zum Fussball-Wochenende mit "Herrn Kleinköbi", Hinweise auf eine Camping-Ausstellung. Das geht Schlag auf Schlag, wenn's hoch kommt im Sekundentakt.

In einer "Pause" hastet er ins gegenüberliegende Studio, führt ein Gespräch mit einer Hörerin, schneidet es am Computer und jagt es gleich über den Sender. Er hetzt in die Cafeteria, Zigi, Kafi. Bei Sendeschluss wird er von beidem annähernd zwanzig intus haben, viel zu viel auf jeden Fall: "Ich betreibe Raubbau an meinem Körper", räumt er ein, "Schlafmangel, Stress, Nikotin, Koffein - und das seit mehr als zehn Jahren."

Nötig hätte er das längst nicht mehr, denn inzwischen ist der Radiomoderator Kilchsperger auch ein TV-Star, ausgezeichnet mit dem Telepreis und dem Prix Walo, umworben vom Ausland; gerade eben hat auch Roger Schawinski von Sat 1 seine Fühler ausgestreckt. Nach der hochgelobten Moderation von "MusicStar" hat er bei SF DRS seine eigene Sendung bekommen. "Deal or No Deal" lockt jeden Mittwochabend gegen 800'000 Menschen vor den Bildschirm.

Shootingstar? Ein Witz!

Roman Kilchsperger, du bist der Shootingstar des Jahres und wirst als kommender Mann der Schweizer TV-Unterhaltung gehandelt...

Kilchsperger: ... das ist doch ein Witz. Da habe ich zweimal ohne Versprecher Carmen Fenk angesagt und soll schon der grosse TV-Star sein? Ich habe zu wenig geleistet, um dermassen ins Rampenlicht gestellt zu werden. Dieser Medienhype um meine Person ist mir unheimlich. Manchmal frage ich mich angesichts des Theaters, was einer wie Beni Thurnherr darüber denkt, der wirklich über Jahrzehnte Grosses geleistet hat.

So bescheiden? Du kokettierst.

Überhaupt nicht. Ich stelle mein Licht nicht unter den Scheffel und weiss, was ich kann. Ich bin ein Schnelldenker, kann Dinge gut miteinander verknüpfen und neue Assoziationen herstellen, habe auch an unheimlich vielem Interesse, lese viel, bin belastbar. Mir fehlt es keineswegs an Selbstbewusstsein.

Um so erstaunlicher, dass Du einem Lokalradio die Treue hältst, wo dir die nationale Bühne offensteht.

Ich kann nicht anders. Das Radio ist meine grosse Leidenschaft, die Erfüllung eines Bubentraums. Hier bin ich in meinem Element, kann meine Spontaneität und meine Liebe zur Aktualität voll ausspielen. Ein Wort gibt das andere. Fällt mir was Lustiges ein, mach ich den Hebel auf und raus damit. Beim Fernsehen ist alles viel schwerfälliger. Bevor ich da einen Satz sagen kann, muss ich mich mit x Leuten absprechen, Regisseur, Kameramann, Tönler - das ist ein Korsett, das eigentlich nicht meinem Naturell entspricht. Als Radiomann weiss ich, was ich zu bieten habe, kenne alle Leute, mag sie und fühle mich sauwohl.

Lausbubencharme bis 50?

Trotzdem steckt er in einem Dilemma. Radio Energy ist ein Sender für die Jungen, die alles "megageil", "cool" und "uh lässig" finden, sich an Scherzen und ulkigen Hörerspielen freuen und "ihren" Roman für seine frechen, direkten Sprüche lieben. Nun ist er aber bereits 35 Jahre alt, auch wenn er aussieht wie 25, und ahnt zumindest, dass er mit seinem Lausbubencharme nicht bis 50 durchkommen wird. Er spürt je länger je mehr, dass sein Körper etwas Schonung bräuchte, und dass es Zeit für eine berufliche Veränderung wäre.

Aber Kilchsperger ist eine treue Seele, die sich schwer damit tut, Abschied zu nehmen. Er sagt: "Wenn man mich einmal hat, hat man mich und muss schon sehr dumm tun, um es sich mit mir zu verderben." Er trenne sich äusserst ungern von den Menschen, die er lieb habe, und bekomme nur schon beim Gedanken an Grenzen und Passkontrollen mulmige Gefühle.

Der Mann ist eine Mogelpackung. Da hatte man sich auf jemanden eingestellt, der bekannt ist für schnoddrige, saloppe Kommentare, der unentwegt grinst wie ein Schelm und Frechheiten raushaut, an denen seine Gegenüber arg zu kauen haben. Unvergessen ist sein Auftritt an der letztjährigen Miss Schweiz-Wahl, wo er einzelne Kandidatinnen richtiggehend brüskierte. Einen professionellen Luftibus hatte man also erwartet, dessen Schlitzohrigkeit alle einnimmt.

Und nun kommt ein Mensch mit vielen andern Facetten zum Vorschein. Einer, der sich Sorgen um seine berufliche Zukunft macht. Der sagt: "Ich sehe es als meine momentane Lebensaufgabe an, endlich einmal zu lernen, wie ich besser mit Trennungen klarkomme. Die Angst vor dem Abschiednehmen frisst mich viel zu sehr auf." Der sich schon heute fragt, wie er eines Tages damit fertig wird, wenn junge Talente nachrücken und ihn ablösen werden. Dabei hat seine nationale Karriere gerade eben erst begonnen.

Auch zu seinem Prominentenstatus hat er ein ambivalentes Verhältnis. Zum einen geniesst er es, bekannt wie ein bunter Hund zu sein. Das hilft schon mal, Tickets für ein U2-Konzert zu bekommen, das eigentlich längst ausverkauft ist. Anderseits sagt er mit erstaunlichem Ernst: "Ich bereite mich jetzt schon im Stillen darauf vor, dass ich nicht ewig prominent sein werde, damit es mich nicht so hart trifft, wenn sich eines Tages keine Sau mehr für mich interessiert." Die Vorstellung, er könne ein abgetakelter Alt-Star werden, der bei den Zeitungen anruft und sagt: "Ich habe ein neues Büsi gekauft. Wollt ihr nicht mal vorbeikommen?" sei ihm ein Graus.

Die Zeit im Radiostudio rast. Alle halben Stunde Nachrichten, Wetter und Verkehrsdurchsagen. Zwischendurch ein Telefoninterview mit dem Direktor des Zürcher Zoos - das ersehnte Elefantenbaby lässt noch auf sich warten. Hörerspiele, Nonsense, hier ein Joke, da ein träfer Spruch. Herbert Grönemeyers "Mensch" animiert ihn ebenso zum Mitsingen wie Bon Jovis "It's my Life". Dann wieder eine Anzüglichkeit über das tiefe Decolleté seiner Redaktionskollegin oder irgendeinen Silikonbusen irgendeines Starlets. Das muss offenbar sein. Fragt man ihn, ob er Lust hätte, eines Tages Talkmaster zu werden wie Johannes B. Kerner, sein grosses Vorbild unter den TV-Moderatoren, winkt er ab. Er sei mehr der Mann für den Fast-Food, der Surfer an der Oberfläche, der nicht gern in die Tiefe grabe.

Augenringe, schmerzender Rücken

Kurz vor 10 Uhr - die Sonne scheint von einem wolkenlosen Frühlingshimmel - ist die Arbeit getan. Kilchsperger setzt sich zum ersten Mal an diesem Tag für ein paar Minuten hin und sieht müde aus: Dunkle Ringe unter den Augen, glasiger Blick, die Haare flach am Kopf, in der Hand eine leere Pet-Flasche, mit der er sich nervös auf den Schenkel schlägt. Wer ist dieser Kilchsperger wirklich?

Kilchsperger: Tja, wer bin ich? (Schweigen) Da muss ich nachdenken. Läck - isch das e schwirigi Fraag.

Er fasst sich wieder in den schmerzenden Nacken und streckt seinen Rücken. Als seinem Gegenüber der Deckel der Cola-Flasche runterfällt und davonrollt, springt er auf. Fürwahr ein Mann von ausgesuchter Höflichkeit.

Kilchsperger: Sagen wir mal: ich bin ein junggebliebener 35-Jähriger auf der Suche nach sich selber. Ein ganz normaler Mensch also, der einerseits mit sich und seiner Arbeit zufrieden ist, sich aber immer wieder auch unter Druck setzt, um noch besser zu werden.

Tust Du Dich schwer mit Kritik?

Zum einen kann mich Kritik, die ich für unberechtigt halte, sehr verletzen. Zum anderen aber fand ich es richtig super, dass mich die Medien nach der Moderation der Miss Schweiz-Wahl ins Pfefferland wünschten. Endlich mal was anderes als "Roman hat es allen gezeigt". Immer nur Streicheln und Schulterklopfen kann es ja auch nicht sein.

Was raubt dir den Schlaf?

Wenn es Menschen, die mir nahe stehen, elend geht. Schlecht schlafe ich auch, wenn ich eine Lüge oder Schummelei am Laufen habe, die ich noch nicht ausgeräumt oder entschuldigt habe. Ich bin ein Mensch mit einem hundertprozentigen Fairplay-Gedanken und hasse mich für unehrliches Verhalten.

Wie stark belastet dich deine berufliche Situation?

Kilchsperger seufzt. Er weiss natürlich, dass er der Star, das Aushängeschild von Radio Energy ist. Die Werbeplakate mit seinen riesengrossen Konterfeis an den Wänden der Redaktionsräume machen mehr als alles andere deutlich, welche Lücke er beim Lokalsender hinterlassen würde. Seine Unentschiedenheit, wie es mit dem Radio weitergehen soll, beschäftige ihn sehr. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare und grüsst flüchtig einen Kollegen, der die Cafeteria betritt.

Weiter mit den Deals

Dem Fernsehen steht er freier und unbeschwerter gegenüber. Nach "MusicStar 2" sei ihm die Lust an der Castingshow vergangen, konstatiert er ungerührt. Die Chemie innerhalb des Teams sei einfach nicht mehr dieselbe wie bei der ersten Staffel gewesen, und er hatte Mühe, sich zu motivieren. Wenn überhaupt, könne er sich nur noch eine reine Schlager-Show vorstellen. Das klingt nicht besonders euphorisch.

Dafür hat er aber seinen Vertrag für "Deal or No Deal" um ein weiteres Jahr verlängert. Es sei zwar auch nicht seine absolute Traumsendung, aber er zocke selber gern und könne sich gut mit dem Konzept identifizieren: "Hier geht es um Gier, Geld, Gewinn und Risiko - mehr nicht. Aber das ist okay so."

Liesse man ihm freie Hand bei SF 1, würde er "Radio am Fernsehen" machen, also eine Sendung produzieren, die vom Moment lebt, auf die Spontaneität und Schlagfertigkeit ihrer Teilnehmer vertraut, statt durchprogrammierte Perfektion anzustreben, und die jedes Mal anders, überraschend daherkäme: "Das wäre eine Spielwiese, auf der ich mich austoben könnte."

Gegen 11 Uhr hat er genug. Das Gespräch war für seinen Geschmack etwas lang. Sein Körper signalisiert Aufbruch. Jetzt will er weiter. Seinen Hund bei der Ex-Freundin abholen, spazieren gehen, ein wenig relaxen, und am Abend in die Fernsehsendung "Quer", um seinem Kollegen Patrick Rohr ein Interview zu geben - rennend auf einem Laufband.

Roman Kilchsperger wurde am 21. März 1970 in Zürich geboren. Sein Vater, ein gelernter Schriftsetzer, arbeitet heute in der Werbung. Seine Mutter ist als kaufmännische Angestellte tätig. Bereits als Achtjähriger wollte der kleine Roman Radioreporter werden und führte vor der Migros seines Wohnorts Interviews, die er mit einem Kinder-Kassettenrekorder aufnahm. Nachdem er die Handelsmatura gemacht hatte, fand er 1988 eine Stelle beim Lokalsender Radio Zürisee in Stäfa. 1991 wechselte er als Moderator zu Radio 24, wo er "unglaublich viel von Roger Schawinski lernte". Seit 2003 ist er das Aushängeschild des Zürcher Lokalradios "Energy" - auch "NRJ" abgekürzt - und moderiert vier- bis fünfmal pro Woche die Sendung "Mein Morgen mit Roman Kilchsperger" von 5 bis 10 Uhr. Nationale Prominenz gewann er als Moderator der TV-Castingshow MusicStar 2003 und '04. Seit letztem September führt er durch die Zockershow "Deal or No Deal" auf SF 1. Er ist seit einem knappen Jahr mit der 24jährigen Schauspielerin Viola Tami liiert, die auch als Moderatorin bei Radio "Energy" arbeitet.

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© Barbara Lukesch