Ein Tag im Leben der Zolliker Pfarrfrau Brigitte Gebs

Dorfleben / 6. November 2002, "Das Magazin"

Symbolbild Thema Porträts

Ich bin in Zollikon bekannt wie ein bunter Hund. Das hat mit meiner Direktheit zu tun. Es ist aber auch das Privileg einer Pfarrfrau, dass sich die Menschen ihr schnell anvertrauen und ihr ihre Geschichten erzählen, Seelsorger-Geschichten über Krankheiten, Erziehungsnöte oder Drogenprobleme der Kinder. Dazu führen wir ein offenes Haus. Da steht heute der Kosovar an der Tür und klagt: Frau Gebs, ich habe morgen eine Prüfung und kapier das mit dem Passé composé nicht. Und morgen wartet eine Frau an der Treppe, deren Sohn verprügelt worden ist. Gibt es alles, auch an der Goldküste. In den letzten fünf Jahren haben ausserdem zwölf Pflegekinder in Etappen bei uns gewohnt, Jugendliche aus zumeist sehr wohlhabenden Familien, deren Eltern uns ihr Kind auf die Schwelle gestellt haben: Hier, Frau Gebs, helfen Sie.

Ich bin gern Pfarrfrau und erfülle meine Rolle im klassischen Sinn: Die Frau Pfarrer macht Freiwilligenarbeit, gibt Sonntagsschule, lädt nach dem Gottesdienst zu einem Glas Weisswein ins Pfarrhaus ein. Das hatten etliche Zolliker nicht erwartet, als wir vor fünf Jahren hierher gezogen sind. Da habe ich einige mit meinem wilden Temperament, meiner Spontaneität und meiner Lebenslust erschreckt und manch einer hat hinter vorgehaltener Hand geschimpft: Ist die frech! Und wie die aussieht: Gefärbte Haare, Lederhosen.

Inzwischen mögen mich die Menschen, das spüre ich gut. Klar, ecke ich immer noch hin und wieder mit meinen kernigen Sprüchen über die Wohlstandsverwahrlosung an der Goldküste an. Das muss ich dann ausbügeln. Die Alten haben es gern, wenn ich mich am Sonntagmorgen während dem Gottesdienst unter sie mische. Die Jungen kenne ich natürlich durch unsere eigenen Kinder und durch meine Tätigkeit als Reallehrerin. Ich lasse mich gern auf meine Schüler ein, behandle im Biologieunterricht Themen wie Schönheitschirurgie und Abtreibung, Stoff halt, der sie interessiert, statt dass wir das menschliche Skelett durchnehmen. Wenn ein Schüler in die Physikstunde kommt und ich weiss, der hatte kürzlich einen Drogenabsturz, reden wir über Drogen, der Verbrennungsmotor kommt später dran. Das ist für mich auch christliches Leben, Nächstenliebe und Wertschätzung.

Der christliche Glaube ist erst spät in mein Leben getreten. Als ich mit 26 Jahren Religionsunterricht gegeben habe, sagte ein Mädchen zu mir: Frau Gebs, Sie können ja gar nicht beten. Stimmt, konnte ich nicht, hielt auch nicht viel davon. Diese Bemerkung brachte mich dazu, der Sache mit Gott auf den Grund zu gehen. Auf diesem Weg habe ich mich bewusst dafür entschieden, mit Gott zu leben. Nach zwei Lehr- und Wanderjahren in Ruanda, habe ich sieben Semester Theologie studiert. Beten kann ich inzwischen, mach' es aber immer noch viel zu selten. Am besten gelingt es mir beim Kartoffel- oder Rüeblirüsten. Vielleicht ist meine Gebetsstruktur ein wenig zu konsumorientiert; meistens wende ich mich erst dann an Gott, wenn's eng wird.

Doch damit lebe ich. Meine Tage sind nun mal lang und proppenvoll. Morgens um acht Uhr beginnt mein Unterricht, nachher rase ich heim, vielleicht noch ein Abstecher in die Migros und gucken, was Aktion ist. Bohnen und Speck? Also essen wir Bohnen und Speck. Unsere Mittagessen verlaufen traditionell: Alle am Tisch, üppige Mahlzeiten, viel Fleisch, ausgiebige Gespräche und dann ab ins Bett: Mama schläft jeden Mittag eine Stunde. Danach brauche ich einen Kaffee, blicke auf den See und überlege, was dran ist. Unsere Kinder? Glätten, der Garten, kirchlicher Unterricht? Um 18. 30 Uhr ist Nachtessen. Der Abend gehört mir. Dann bereite ich meine Lektionen vor, lerne für meine Psychologieausbildung oder telefoniere mit Menschen, die Rat suchen. Um 22 Uhr ist Schluss mit Arbeit, und mein Mann und ich beginnen zu zappen, eine Stunde, zwei Stunden, oder wir reden bei einem Dram Single Malt. Gegen Mitternacht gehe ich schlafen und freue mich, wenn ein Tag hinter mir liegt, an dem ich nicht nur etwas geleistet, sondern mir selber auch etwas gegönnt habe. Es ist das Schöne am Älterwerden, dass ich diese Balance immer besser hinkriege.

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© Barbara Lukesch