Unterwegs mit dem Löffelbieger Uri Geller

Höhere Mächte / Februar 2002, "Annabelle"

Symbolbild Thema Porträts

Uri Geller ist der Star. Da mag ein junger schwedischer Wunderheiler, der wie Jesus Christus aussieht, die Zuschauermassen an den Basler Psi-Tagen zum Kollektivbewusstsein führen, ein Schamane aus Hawaii, der an einen alternden Hippie erinnert, «Aloha» rufen und eine indische Ärztin in wallenden Gewändern ein Mantra singen. Doch erst als Uri Geller in Begleitung seines Sohnes Daniel die Bühne betritt, geraten die mehr als tausend Frauen und Männer im Publikum wirklich in Schwingung. Und das, obwohl der 54-Jährige unter einigen irdischen Unzulänglichkeiten leidet: Er ist an diesem Sonntagmorgen blass, sein schwarzes Haupthaar wirkt unvorteilhaft aufgetürmt, und seine Schlabberhose und der bunt gewürfelte Wollpullover sind auch nicht gerade der letzte Schrei.

Who cares? Uri ist der Löffelbieger, der Magier, der in den Siebzigerjahren durch die Samstagabendsendungen unserer Kindheit und Jugend geisterte, der Gedankenleser, der dem amerikanischen Geheimdienst gratis und franko seine ausserirdischen Kräfte zur Verfügung stellte, um Frieden zu stiften. Ein Unikum. Eine Ikone. Kult. Vielleicht auch nur Humbug und Hokuspokus. Egal, auf jeden Fall der Aufmerksamkeit wert.

Mit sanfter Stimme, klar artikuliert und bedächtig im Tempo, bedankt er sich bei den Anwesenden für ihre Liebe und Wärme und den reissenden Absatz seiner Bücher. Er predigt Glauben, die heilsame Kraft des Geistes und die Liebe zu sich selber: «Kümmern Sie sich um sich selber! Sprechen Sie mit sich selber! Nehmen Sie Ihr Leben in die eigenen Hände!» Er will gegen die bösen Mächte antreten, die Krieg und Zerstörung mit sich bringen; er ist traurig, weil Kinder krank sind, Flüchtlinge obdachlos und Männer und Frauen hungers sterben.

Gebet für den Weltfrieden

Die Verlautbarung seiner Mission läuft wie am Schnürchen, Floskel reiht sich an Floskel. Und sein Sohn Daniel, dieser reizende Twen, fügt sich nahtlos ein: «Ich bin sicher, dass aus Schlechtem Gutes entsteht. Es ist fantastisch, hier zu sein.» Einzig der fiepende Summton, der ungebeten aus der Lautsprecheranlage dringt, sorgt für eine unerwartet heitere Note. «Ob das wohl meine verstorbenen Verwandten sind», fragt Uri Geller, «die mir ein Zeichen senden?»

Punkt elf Uhr lädt er das Auditorium zu einem elf Sekunden langen Gebet für den Weltfrieden ein. Elf ist seine Zahl, der er eine überwältigende Bedeutung beimisst. Und so überrascht es denn nicht, dass der 11. September und die Terrorangriffe auf New York und Washington für ihn einen Einschnitt darstellen, den er nebst allem Horror für einen letztlich heilsamen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit hält. Alle beten. Dann bedankt sich der Meister, erinnert nochmals an seine Bücher und versichert das Publikum seiner innigen Liebe: «Sie sind eine grosse Familie.»

Spätestens im Zimmer 373 des Basler Swissôtels, in dem Uri Geller logiert, ist die Frieden stiftende Kraft der grossen Worte fürs Erste erloschen. Journalisten rangeln sich um Interviews. Jemand packt eine riesige Trommel aus und präsentiert deren Klangvolumen voller Stolz. Ehefrau Hannah steht im Weg. Uri Geller trinkt Mineralwasser, verabschiedet einen Freund, bittet den Room Service, doch etwas später zu kommen, Hannah Geller verdrückt sich ins Nebenzimmer, der Medientross zieht ab. Plötzlich herrscht Ruhe. Es ist Zeit zum Reden, Löffelbiegen und Gedankenlesen.

Uri Geller, Sie wurden mit vier Jahren erleuchtet und haben nun fünfzig Jahre eines Lebens hinter sich, das im Banne übernatürlicher Kräfte steht. Wie fühlt sich ein solches Leben an?

«Auf jeden Fall niemals langweilig. Es war ein Leben der Höhen und Tiefen, ein Leben voller Geheimnisse, Kontroversen und Intrigen, der Verwirrung und des Erstaunens. Ich musste viel kämpfen und habe viel Glück erfahren. Momentan glaube ich, am richtigen Ort zu sein. Ich bin gesund, habe meine Familie und meine Freunde um mich herum, ich habe genügend Geld und ein schönes Haus. Was kann ich mehr verlangen?»

Sie sind seit dreissig Jahren mit Ihrer Frau Hannah verheiratet. Wie muss man sich die Ehe mit einem paranormalen Wesen wie Ihnen vorstellen?

«Wie jede andere Ehe auch. Klar passieren bei uns daheim manchmal merkwürdige Sachen. Dinge fliegen herum, Gegenstände verbiegen sich. Aber meine Familie ist daran gewöhnt, und wenn sich der Toaster verschiebt, stellen wir ihn einfach wieder an seinen Platz zurück.»

Wie erklären Sie einem Kind, warum gerade Sie solche Talente haben?

«Das ist auch für mich ein grosses Rätsel. Letztlich halte ich es für ein Geschenk Gottes. Das ist ja im Grunde genommen bei allen Menschen so, die über spezielle Begabungen verfügen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich als bizarr wahrgenommen werde. Ein wundervoller Pianist? Eine grossartige Sängerin? Akzeptiert. Aber Telepathie? Kaputte Uhren zum Laufen bringen? Löffel biegen? Das ist und bleibt seltsam.»

Der Verdacht: alles fauler Zauber

Dieser Stachel sitzt tief. Da mag er Geld wie Heu verdient, weltweite Prominenz und Popularität errungen und Freundschaften mit Showgrössen wie John Lennon, Elvis Presley, Barbra Streisand und Michael Jackson geschlossen haben. Da mag er selbst vom ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore oder der einstigen Premierministerin Israels Golda Meir empfangen und vom CIA für Spezialaufträge rekrutiert worden sein. Er mag hundertmal erzählen, dass er einst in Genf an den Abrüstungsverhandlungen zwischen einer amerikanischen und einer sowjetischen Delegation teilgenommen und dank seiner telepathischen Kräfte einen wichtigen Beitrag zum Vertragsabschluss geleistet habe. Trotz alledem bleiben jene Skeptiker, die ihn des faulen Zaubers bezichtigen, jene Kritikerinnen, die ihn auslachen oder der Volksverdummung beschuldigen. Verhasste Stimmen, die ihn im Kern treffen und die er nie ganz zum Verstummen bringen konnte. Um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat er sich eine Website geschaffen, auf der er sein Publikum mit illustren Namen fast erschlägt. Berühmte Wissenschaftler wie der Raumfahrtexperte Wernher von Braun, Popgrössen wie Elton John und die Bee Gees, international anerkannte Magazine wie «The Herald Tribune» oder «The Wall Street Journal» werden da wie Perlen an einer Schnur aufgezogen, allesamt Referenzen, die belegen sollen: Uri Geller ist ein seriöser Zeitgenosse, der zu überzeugen vermag.

Stehen Sie unter Legitimationszwang?

«Absolut. Das gebe ich frank und frei zu. Es ist sehr hart, immer wieder als Scharlatan gebrandmarkt zu werden. Schauen Sie, wenn ein Popstar eine neue CD herausbringt, wird sie womöglich auch kritisiert oder gar verrissen. Wenn ich ein neues Buch publiziere, zielt die Kritik jeweils gegen mich als Person. Meine Integrität wird verletzt, meine Identität angegriffen. Das setzt einem zu. Dank dieser langen Referenzliste auf meiner Website, die übrigens rund eine Million Mal pro Tag angeklickt wird, kann ich nun der ganzen Welt beweisen, dass ich einer seriösen Tätigkeit nachgehe. Wie viele Leute können schon von sich behaupten, von der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa oder vom Max-Planck-Institut auf Herz und Nieren getestet und für glaubwürdig befunden worden zu sein?»

Selbstheilende Kräfte

Letztlich hat Geller allen Anfeindungen zum Trotz immer Oberwasser behalten. Das war Anfang der Achtzigerjahre so, als er nach einem ersten Höhenflug in seine wohl tiefste Krise stürzte - Angstzustände quälten ihn, und er litt an einer schweren Magersucht. Als er nur noch Haut und Knochen war und fürchtete, sterben zu müssen, entdeckte er mitten auf der First Avenue in Manhattan die selbstheilende Kraft seines Geistes: «Ich habe bis drei gezählt und mir gesagt, Uri Geller, jetzt wird diese Krankheit gestoppt. Und wirklich, in diesem Moment war sie beendet.»

«Mind Medicine» nennt er dieses Phänomen, dem er auch sein neuestes, gleichnamiges Buch gewidmet hat. War das Löffelbiegen vor allem eine amüsante Einlage, mit der er auf den Bühnen des Showbusiness brillieren konnte, ist die Mind Medicine sein aktueller Beitrag, um der Menschheit zu helfen.

Sind Sie vom Löffelbieger zum Wunderheiler geworden?

(Mit Nachdruck): «Ich bin kein Wunder- und kein Geistheiler, ich bin auch kein Zauberer - nichts von alledem. Ich bin ein Motivator und Katalysator, der den Leuten ermöglicht, den Zugang zu den heilsamen Kräften ihres Geistes zu finden. Dass meine Methode Erfolg hat, sehe ich an den rund 600 E-Mails, die ich Tag für Tag aus der ganzen Welt erhalte. Darin schildern mir Männer und Frauen, auch viele Kinder und Jugendliche, welche Veränderungen meine Empfehlungen bei ihnen ausgelöst haben.»

Was kann denn die Mind Medicine?

«Lassen Sie mich vorausschicken, dass ich der Schulmedizin nach wie vor den Vorrang gebe. Sie ist die Nummer eins, keine Frage. Aber parallel dazu existiert jene Kraft des Geistes, die Wunder vollbringen kann. So gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Indizien dafür, dass positives Denken auch Krebszellen zerstören kann. Optimismus und Zuversicht sind mächtige Heiler. Entspannungsübungen, Mantras, Meditationen und vor allem Gebete lassen die Menschen länger leben. Wer zur Kirche, in die Synagoge oder Moschee geht, ist ein glücklicherer und damit gesünderer Mensch. Ich glaube an Gott und die heilsame Kraft des Gebets.»

Konflikt mit Gott

Angesichts der aktuellen Weltlage ist das so eine Sache mit Gott, seiner Güte und Hilfsbereitschaft. Geller ist sich dessen bewusst und legt die Stirn in tiefe Falten. Ja, er habe tatsächlich einen Konflikt mit Gott, einen grossen sogar. Warum lässt er alle drei Sekunden ein Baby sterben? Warum lässt er die Amerikaner Afghanistan bombardieren? Warum liess er den 11. September zu? Auf diese Fragen sei ihm Gott die Antwort bisher schuldig geblieben. Derart ratlos und allein gelassen, hat Geller zur Selbsthilfe gegriffen: «Meine persönliche Theorie lautet, dass Gott die vielen Opfer zugelassen hat, weil er neue Engel brauchte.» Das glaubt er wirklich? Er nickt mit dem Kopf und lässt keinen weiteren Zweifel zu.

Die Zeit läuft davon, und noch ist kein einziger Löffel krumm. Gellers wollen noch einen Bummel durch das vorweihnächtliche Basel machen, bevor sie gegen Abend nach London zurückfliegen. Jetzt springt der bis anhin überaus höfliche, sehr zuvorkommende Interviewpartner mitten im Satz auf und macht Druck: «Erledigen wir noch die Fotos.»

Auf dem Dach des Hotels ist Fototermin. Unentwegt wechselt Geller die Stellung, zeigt sich von vorn, von der Seite, macht einen Schritt nach links, dann nach rechts, lächelt professionell und erinnert die Anwesenden daran, dass er während etlicher Jahre auch als Model tätig war: ein gross gewachsenes, schlankes, fast asketisch wirkendes Männermodel, das auch mit 54 Jahren und pechschwarzen Haaren einen beeindruckenden Auftritt hinzulegen vermag.

Doch nun müssen noch die Löffel dran glauben. Geller hat im Verlauf seines Lebens bereits Tausende gebogen. Allein 5000 von ihm verformte Exemplare liess er auf die Karosserie eines alten schwarzen Cadillacs montieren, dessen Kühlerhaube von einer kristallenen Kugel, kreiert von seinem Freund Andy Warhol, geschmückt wird. Dieses Kultobjekt wird heute in verschiedenen grossen Museen auf der ganzen Welt präsentiert. Geller ist ein echter Profi, der weiss, was er seinem Publikum schuldig ist. Entgegen früherer Verlautbarungen, dass er die Rolle des ewigen Löffelbiegers satt habe, nimmt er den schweren, stabilen Hotel-Löffel mit freudiger Erregung in die Hand. Sanft fährt er mit dem Zeigefinger ein-, zweimal über den Griff, um ihn dann mit grimmiger Konzentriertheit ins Visier zu nehmen. Und siehe da, innert Sekunden verbiegt sich der Löffel unter seinem Blick, gut nachvollziehbar für alle Anwesenden. Als das Metallteil, zusammengekrümmt wie ein Häufchen Elend, auf Gellers Hand zur Ruhe kommt, fragt dieser beiläufig: «Wessen Löffel war das?» Als er den Namen Swissair hört, muss er laut lachen: «Mein Gott, haben die nicht schon genug Schwierigkeiten?» Der Löffel wird noch mit einem Autogramm versehen, die letzten Bilder sind im Kasten. Uri Geller lädt alle nach London, in sein grosses Haus, ein. Bye, bye, thanks a lot. Nice to meet you.

Auf der Zugfahrt zurück nach Zürich spürt die Schreiberin leise Irritation. Wie ausheiterem Himmel kippt der Kaffeebecher um, und der Inhalt ergiesst sich über ihren Jupe: Uri!

Uri Geller ist 54 Jahre alt und stammt aus Israel. Während der Siebzigerjahre hatte er als Löffelbieger und Gedankenleser internationalen Ruhm und Reichtum erlangt. Eine schwere Krise zwang ihn Anfang der Achtzigerjahre dazu, seinem Leben eine neue Ausrichtung zu geben. Geller wählte Japan, um sich, fernab der Zivilisation, auf seine wahre Bestimmung zu besinnen. Hier lebte er mit seiner Familie ein Jahr lang in einer Hütte am Fuss des Mount Fuji. Nach seinerGenesung zog er 1984 mit seiner Frau Hannah, seinen beiden Kindern Daniel (21) und Nathalie (19), seinem Schwager und Manager und seiner Mutter in ein Haus in der Nähe von London. Seither arbeitet Geller als Autor von Sachbüchern und Romanen, er malt und töpfert und zeigt seine Kunstwerke in internationalen Ausstellungen. Als Motivator versucht er, die Menschen von der heilsamen Kraft des Geistes zu überzeugen. Das tut er mit seinem Buch «Mind Medicine» und via Internet (www.uri-geller.com).

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

© Barbara Lukesch