Unterwegs mit Roger Schawinski und Töchterchen Lea

Praktizierender Vater / 9. Juni 2000, "Annabelle"

Symbolbild Thema Porträts

So frisch und klar, wie sich dieser sonnige Aprilmorgen präsentiert, tritt uns um Punkt zehn Uhr auch Roger Schawinski an der Eingangstür seines mächtigen Hauses oberhalb des Zürcher Klusplatzes entgegen. Seine helle Jeansjacke strahlt mit seiner gleichfarbigen Hose, deren Bügelfalte besticht, um die Wette. Scharf kontrastierend hebt sich das satte Schwarz der Lederslippers ab, das mit dem ebenso dunklen Haupthaar auf gebräuntem Kopf korrespondiert. Eine sportliche Erscheinung, der man ihre 55 Jahre nicht geben würde. Wir sind gespannt, auf welchen Weg uns der vielbeschäftigte Medienunternehmer, dem wir erst nach etlichen vergeblichen Versuchen zwei Stunden seiner kostbaren Zeit abringen konnten, führen wird. Doch als er den Assistenten unseres Fotografen erblickt, hält er brüsk inne und mustert den unbekannten Dritten kritisch: "Wer ist denn das?" Kein Grund zur Aufregung. Schliesslich kommt auch Schawinski entgegen unserer Abmachung nicht allein, sondern in Begleitung seines zweieinhalbjährigen Töchterchens Lea.

Lea ist denn auch der Grund, warum Roger Schawinski trotz casual Outfit zunächst alles andere als locker ist. Offenbar - so erfahren wir später - hat ihm seine Ehefrau Gabriella erst in der letzten Minute mitgeteilt, dass er am heutigen Vormittag, Interview hin oder her, seine Tochter zu betreuen habe. Man stelle sich den Stress vor: Windeln und etwas zu essen einpacken, Lea anziehen und in ihren Buggy setzen, dann Gabriella, die auf dem Sprung zu Tele24 ist, wo sie zwei Wochen als Produzentin arbeitet, bei der Suche nach ihrem Autoschlüssel helfen - und nun auch noch die "Annabelle".

Aller Anfang ist schwer

Wir setzen uns in Bewegung. Papa Schawinski, inzwischen verkabelt und mit unserem Aufnahmegerät in der Jackentasche, stösst energisch den Wagen. Ungewiss, ob unser Interviewpartner bereits gesprächsbereit ist, wagen wir dennoch die erste Frage: Welche Bedeutung hat der Weg, den Sie für unseren Spaziergang ausgewählt haben? Statt einer Antwort erfolgt zunächst ein unartikulierter Zwischenruf von Lea Schawinski: Offenbar blendet sie die Sonne. Der Papi zerrt, sichtlich gestresst, an dem schattenspendenden Wagendach. Das kann ja heiter werden.

Doch wir haben Glück. Lea gibt vorderhand Ruhe, und die eingeschlagene Route führt uns direkt zu einem von Schawinskis Lieblingsthemen, seiner Jogging-Leidenschaft. Drei- bis viermal pro Woche legt er nämlich jene Strecke zwischen seinem Domizil und dem Adlisberg rennend zurück, die wir an diesem Mittwochmorgen nun auch unter die Füsse nehmen. Er sei einfach glücklich, schwärmt er mit deutlich gesteigerter Präsenz, wenn er an einem schönen Tag in den Wald gehen, nach zwanzig bis dreissig Minuten seinen Laufrhythmus finden könne und dabei nahezu in Trance gerate. Das sei für ihn wie Meditation. Ein, zwei, wenn er Zeit habe, auch zweieinhalb Stunden versenke er sich in seine Gedanken und im Nu, ohne das Gefühl von Arbeit zu empfinden, entwerfe er dann den abendlichen Talk Täglich, seine Interviewshow bei Tele24.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Roger Schawinski bestreitet seit einigen Jahren Marathonläufe, auf die er sich topseriös vorbereitet. Seine persönliche Bestzeit beträgt 3 Stunden 32 Minuten: "Das ist eine ordentliche Leistung", konstatiert er nicht ohne Stolz, und dafür müsse man viel trainieren. Dreimal hat er bereits am New York Marathon teilgenommen; den London-Marathon musste er dieses Jahr ausfallen lassen, weil ihn eine schwere Bronchitis mit vierzig Grad Fieber kurz vor der Abreise ins Bett zwang: "System down. Da bin ich an meine Grenzen gestossen."

Mystischer Marathon

Warum tun Sie sich überhaupt einen solchen Stress an? Statt 42 Kilometer würde es doch auch eine kürzere Distanz tun.

Schawinski: Der Marathonlauf hat etwas Mystisches. Das ist die Königsdisziplin, etwas Echtes, Ursprüngliches, auch Einsames, bei dem ich - anders als in allen anderen Lebenssituationen - ganz auf mich allein gestellt bin.

Das klingt nach dem letzten Helden, der sich aus eigener Kraft gegen die feindliche Umwelt durchsetzt?

Schawinski: Es ist mit Sicherheit eine enorme Herausforderung, die ich aber mit mir selber und nicht gegen einen anderen bestreite. An einem internationalen Marathon belege ich Platz 3000; da spielt das Gewinnen oder Verlieren für mich überhaupt keine Rolle.

Na sowas. Gilt Schawinski doch als ausgesprochen ehrgeiziger Sportsmann, der bei Fussballspielen oder an Tennisturnieren mit äusserster Verbissenheit um jeden Ball beziehungsweise Punkt ringt. Unvergessen auch seine Reaktion, als er nach einem Jogging-Lauf gegen den deutschen Aussenminister Joschka Fischer im "Tages-Anzeiger" lesen musste, dass ihn Fischer um Längen distanziert habe. Daraufhin setzte er alle Hebel in Bewegung und gelangte bis zur Chefredaktion, um eine Richtigstellung ins Blatt zu rücken: Abgehängt habe Herr Fischer ihn nicht.

Roger Schawinski, sind Sie ein schlechter Verlierer?

Schawinski: Keineswegs. Was ich aber nicht akzeptiere, sind nachweisbare Fehler. Ich wurde nicht abgehängt von Fischer, also kann man das auch nicht schreiben. Bei der ganzen Sache ging es gewissen Journalisten doch einmal mehr nur darum, mich in die Pfanne zu hauen: Schawinski - Schlappschwanz. Man kann mich ja jederzeit kritisieren, aber dann müssen die Fakten stimmen.

Das Duell mit Joschka Fischer

Lea muss "Gaggi" machen. Der Vater reagiert prompt. Auf dem Waldboden knieend, montiert er ihr eine Windel und setzt sie, seufzend und schweissgebadet, in ihren Wagen zurück, auf dass sein Töchterchen ihr Geschäft verichte.

Joschka Fischer lässt ihn nicht los. Es habe ihn übrigens enorm gefreut, grinst er triumphierend, dass er den deutschen Aussenminister am letzten New York Marathon um 24 Minuten geschlagen habe. Damit sei der endgültige Beweis erbracht, dass die Berichterstattung des "Tages-Anzeigers" falsch gewesen sei.

Auch wenn diese Logik keineswegs überzeugt, zeigt sie immerhin mit verblüffender Deutlichkeit, wie sehr sich Schawinski in Rivalitäten mit gewissen Männern verbeissen kann. Fischer, der ihn während des gemeinsamen Laufs mit Sprüchen wie "Nur kein falscher Ehrgeiz, Herr Schawinski" zu demoralisieren versuchte, gehört in diese Kategorie. Der deutsche Schauspieler Götz George ebenfalls. Gemäss einer Sequenz aus Schawinskis kürzlich erschienener Biographie "Einer gegen alle" muss George alias Schimanski ihn einst dermassen gereizt haben, dass er sich sogar auf "ein Armdrücken und Wettsaufen" mit ihm eingelassen haben. Das sei vor fünfzehn Jahren gewesen, winkt Schawinski ab, solche Machoallüren habe er heute nicht mehr drauf.

Wir nehmen auf einer Bank am Waldrand Platz. Lea will von ihrer dreckigen Windel befreit werden. Routiniert und gelassen, obwohl er nur ein Papiertaschentuch zur Hand hat, kommt der Papi ihrem Wunsch nach. Lea strahlt zufrieden, sucht Stöckchen und Steine und planscht, liebevoll betreut von Tobias, dem Assistenten unseres Fotografen, in einem Brunnen. "Ist sie nicht süss", jubiliert der stolze Vater aus heiterem Himmel. Mit verzücktem Gesichtsausdruck blickt er ihr nach, sorgsam darauf bedacht, dass sie nicht auf die nahe Strasse läuft: "Achtung, Autos". Einmal übermannt ihn die väterliche Sorge, und er hechtet der Kleinen, die zielstrebig in die falsche Richtung marschiert, hinterher. Lea sei sein ganz grosses Glück, seufzt er. Nicht zuletzt wegen ihr müsse er sich fit halten: "Ich kann doch nicht einfach absacken und sagen adios. Da warten noch etliche Aufgaben auf mich."

Bereits als Lea noch im Bauch ihrer Mutter war, wurde dem prominenten werdenden Vater zu Ehren ein Ziischtigsclub im Schweizer Fernsehen veranstaltet, der sich dem Thema der späten Väter annahm. Dort spuckte Roger Schawinski grosse Töne und kündigte an, dass er anders als bei seinen zwei inzwischen erwachsenen Kindern aus einer früheren Ehe diesmal mehr Verantwortung zu übernehmen und mehr Zeit zu investieren gedenke. Die Karriere sei gemacht, folglich liessen sich Beruf und Familie wesentlich besser vereinbaren. Absichtserklärungen sind eins, die Realität sieht dann oft anders aus.

Probe aufs Exempel

Wie zufrieden sind Sie mit sich als Vater?

Schawinski: Ich finde, ich schneide nicht schlecht ab. Natürlich macht jeder Vater immer zu wenig für sein Töchterchen. Vieles, was ich seinerzeit vorhatte, ist Illusion geblieben. Aber mein Herz ist weit offen für sie. Ich habe wirklich eine sehr enge Beziehung zu ihr und bin nicht nur der Mann, der hin und wieder auf Besuch kommt.

Machen wir die Probe auf`s Exempel: Wie heisst Leas beste Freundin?

Schawinski: Niza.

Was isst und trinkt sie am liebsten?

Schawinski: Nudeln, Butterbrot, Oliven und ihren Ovo-Schoppen.

Welche Kinderkrankheiten hatte sie schon?

Schawinski: Sie hatte einmal eine leichte Ohrenentzündung und einen Schnupfen, aber glücklicherweise noch nichts Ernsteres.

Handy-Anrufe in Serie

Nicht schlecht. Schawinski gehört offenbar nicht zu den Vätern, die nicht einmal wissen, wie alt ihre Kinder sind geschweige denn wie deren Freunde heissen. Dass auch er nicht "wahnsinnig viel Zeit" mit seiner Tochter verbringt, steht dennoch ausser Frage. Abends arbeitet er meistens und wenn er morgens eine halbe Stunde mit ihr spielt, hat Lea Glück gehabt. Häufig liest er dabei die Zeitung oder telefoniert in ihrer Gegenwart.

Davon werden auch wir nicht verschont. Je fortgeschrittener der Morgen, um so schneller jagen sich die Handy-Anrufe, die unseren Gesprächspartner zumindest gedanklich immer weiter aus dem hellbeschienenen Frühlingswald entführen und dem Arbeitstag entgegenlotsen. Nach und nach wird uns klar, dass Schawinski gegen 12 Uhr mittags noch keinen Gast für das Talk Täglich desselben Abends hat, dafür aber der deutsche Filmemacher Rosa von Praunheim und TV-Kabarettist Viktor Giaccobbo im Verlauf des Nachmittags auf die Aufzeichnung ihrer Interviews mit Schawinski warten - Interviews notabene, für die er sich überhaupt noch nicht vorbereitet hat. Unmenschlich sei es, stöhnt er zu recht, jeden Tag eine Sendung zu machen. Eine ginge ja noch.

Schawinski sagt, er habe langsam genug vom ständigen Kämpfen, einer Lebensform, von der er eindeutig eine Überdosis erwischt habe. Seit einiger Zeit denke er ernsthaft über seinen beruflichen Rückzug nach, nicht heute und morgen, geordnet und in für alle verträglichen Portionen, aber er sei tatsächlich dabei, einen Nachfolger für sich aufzubauen: "Schliesslich ist es ja wohl eine berechtigte Frage", stellt er mit Nachdruck fest, "ob ich dreissig bis vierzig Wochen am Bildschirm erscheinen muss oder ob es nicht auch zwanzig tun würden."

Schawinski im Ruhestand?

Einen Schawinski im Ruhestand kann man sich trotzdem nicht vorstellen. Viel vertrauter ist da jener Mann, der voller Genugtuung die Rückschläge seiner privaten TV-Konkurrenz kommentiert: " Da hiess es, jetzt kommen die Grossen und zeigen uns, wie man Privatfernsehen richtig macht. Und was ist passiert? (Hämisch grinsend/Pause) TV 3 hat ungeahnte Probleme und RTL/Pro Sieben ist bereits von der Bildfläche verschwunden. Manchmal denke ich: So gut bin ich doch gar nicht. Aber offenbar sind die anderen wahnsinnig schlecht."

Und so einer bereitet seine Pensionierung vor? Von wegen. Roger Schawinski rechnet in anderen Kategorien. Überzeugt davon, dass er mindestens achtzig wenn nicht neunzig Jahre alt wird, überlegt er zur Zeit intensiv, wie er die nächsten 25 Jahre mit sinnvollem, produktivem Tun füllen könne. Voller Ernst fragt er sich: "Wieso nicht noch ein ganz neues Kapitel aufschlagen?"

Nein, nicht noch einmal kämpfen und jagen. Diesmal möchte er in eine "höhere Sphäre" hinauf, will die Welt eher von oben betrachten, mit mehr Distanz zum Tagesgeschäft. Erste Schritte in diese Richtung hat er bereits unternommen. Anfangs Jahr hat er sich wieder einmal einen Workshop zur ganz persönlichen Seelenpflege in Kalifornien gegönnt. Dann hat er sich den Luxus geleistet und ist frei von allen journalistischen Pflichten eine Woche lang mit Bundesrat Deiss durch Syrien, Ägypten und den Libanon gereist, Länder, die er nicht kannte. Dabei hat er die Gelegenheit beim Schopf gepackt und ist mit dem Aussenminister gejoggt, diesmal in Beirut. Fragt man nach dem Ausgang des Rennens, wahrt Schawinski die Form und schweigt diskret. Was das wohl zu bedeuten hat? Im Monat Mai will er sich ausschliesslich seiner Frau Gabriella und Tochter Lea widmen, sagt er.

Aber nun muss er endlich ins Geschäft. Lea ist müde. Ein Anruf, noch einer. Lea zetert und jammert. Hunger. Roger Schawinski hebt sie sich auf die Schultern. Protest. Also auf den Arm. "Nein, Lea auf der Mauer laufen." Macht er das immer so, fragen wir uns staunend, oder ist das nur die Bühnennummer für die "Annabelle"?

Als wir uns um 12 Uhr vor seinem Haus verabschieden, stehen wir einem verschwitzten, erschöpften Mann mit dreckigen Hosen gegenüber. Mit der einen Hand stösst er Leas Kinderwagen, auf dem anderen Arm liegt schwer sein müdes Kind. In diesem Moment piepst sein Handy.

Roger Schawinski wird am 11. Juni 1945 als Sohn eines Hausierers und einer Hausfrau in Zürich geboren. Seine Matura macht er erst mit 21 Jahren auf dem zweiten Bildungsweg. Ein Jahr später beginnt er mit seinem Wirtschaftsstudium an der Hochschule in St. Gallen HSG, das er 1972 mit dem Dr. nat. oek abschliesst. In der Zwischenzeit hat er noch ein Volontariat bei der "Neuen Presse", einem Boulevardblatt in Zürich, und einen Studienaufenthalt in den USA absolviert. 1970 heiratet er zum ersten Mal.
In den siebziger Jahren folgen sich berufliche Höhenflüge, aber auch Abstürze Schlag auf Schlag. 1974 wird der "Kassensturz", Schawinskis Kind, erstmals ausgestrahlt. 1977 steht er als Chefredaktor der Migros-Zeitung "Tat" vor; 1978 wird er fristlos entlassen. 1979 sendet Radio 24, das von Schawinski gegründete erste Privatradio in der Schweiz, vom italienischen Pizzo Groppera in die Region Zürich.
1981 heiratet er zum zweitenmal, im selben Jahr wird sein Sohn Kevin, 1983 seine Tochter Joelle geboren. In den achtziger Jahren versucht sich Schawinski mit mässigem Erfolg als Filmproduzent. Er lanciert das Zürcher Stadtmagazin "Bonus", das sich bis 1996 halten kann.
Rastlos wie eh und je startet er auch in die neunziger Jahre. 1990 lässt er sich von seiner Frau Ina scheiden, die mit den beiden Kindern nach Deutschland zieht. 1991 startet er den Klassiksender Opus, den er schon 1992 mangels Bewilligung des Bundesrats wieder einstellen muss. 1994 geht Tele Züri auf Sendung, das von Schawinski lancierte erste private Regionalfernsehen der Schweiz. 1996 heiratet er seine jetzige Ehefrau Gabriella Sontheim; 1997 wird Tochter Lea geboren.
1998 wagt Schawinski im Alleingang den Start von Tele 24, dem ersten privaten Fernsehen in der Deutschschweiz. Im selben Jahr wird er mit dem Gottlieb-Duttweiler-Preis ausgezeichnet, nachdem er schon 1995 mit dem Tele-Preis und 1996 mit dem Zürcher Radio- und Fernsehpreis gewürdigt worden ist. 1999 beteiligt sich die Credit Suisse zu 40 Prozent an Schawinskis Belcom Holding AG und befreit ihn damit auf einen Schlag von seinen finanziellen Problemen.

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© Barbara Lukesch