Was bei der Umsatzjagd verloren geht

Manager-Sexualität / 5. August 2008, "NZZ am Sonntag"

Symbolbild Thema Sexualität

Zehn Jahre nach ihrem Bestseller über Manager und Sex zieht Rotraud A. Perner Bilanz.

Als Rotraud A. Perner 1997 ihr Buch «Management macht impotent» veröffentlichte, war die erste Auflage in der Höhe von 3000 Exemplaren in Österreich innert Wochenfrist verkauft. Die Juristin, Psychoanalytikerin und Unternehmensberaterin konnte sich kaum retten vor Einladungen zu Podien, Talkshows und Lesungen. Perners schonungslose Analyse, wonach die sogenannten Manager-Tugenden wie Rücksichtslosigkeit, Gier, Aggressivität und Arbeitswut aus Menschen gefühlsarme, beziehungsunfähige und lustlose Zombies machen, traf einen ganzen Berufsstand im Kern. Das war der inzwischen 63-jährigen Wienerin nur recht: «Ich wollte die Manager zur Einsicht bringen, dass sie sich nicht länger von der Jagd nach Macht, Umsatz und Rendite auffressen lassen sollen - weil sie dabei ihre körperliche, seelische und sexuelle Gesundheit einbüssen.»

Ihr Urteil basiert auf Erfahrung: Während mehr als zehn Jahren beriet Perner die Führungskräfte der österreichischen Nationalbank und erlebte sie aus nächster Nähe. Gleichzeitig erlaubte ihr ein politisches Mandat einen intimen Einblick in die Welt der Spitzenpolitik. Dazu führt die Psychotherapeutin eine Praxis, in der sie Topleute aus Wirtschaft, Politik und Kultur, aber auch deren Ehefrauen coacht.

Rammeln wie die Hasen

Auf diesem Hintergrund kam Perner zum Schluss, dass der moderne Manager unter einem «generellen, aber auch spezifisch sexuellen Kraftverlust leidet». 1997 schrieb sie: «Die Manager schlafen zwar noch hin und wieder mit ihren Frauen, rammeln dabei aber eher wie die Hasen, als dass sie sich in einen seelischen Austausch einlassen. Sie erledigen Sex, vollziehen mechanisch eine kurze, beziehungslose Entladung. Von Hingabe kann keine Rede sein.» Andere nähmen sich eine Geliebte, hübsche Puppen, die sie nur für das schnelle Vergnügen benutzten, und hielten sich mit Geschenken oder Geld emotional auf Distanz.

Heute muss Perner ernüchtert einräumen, dass ihre Warnung nichts bewirkt hat: «Alles ist noch viel schlimmer geworden.» Die wirtschaftliche Situation habe sich verschärft, der zeitliche und psychische Druck auf die Spitzenkräfte sei durch die Internationalisierung massiv erhöht. 18-Stunden-Tage seien die Regel, Reisen in die neuen Wachstumsmärkte im Ostblock, in China oder Indien gehörten zum Business-Alltag. Die Existenzangst grassiere, geschürt durch Fusionen und feindliche Übernahmen.

In ihrer Praxis sieht Perner immer mehr Fälle von ausgebrannten Managern, die gereizt und aggressiv reagieren, wenn daheim ein Kind pieps macht oder sich die Gattin beklagt, dass sie seit Wochen nichts mehr mit ihrem Mann unternommen hat. Diese Männer würden emotional verrohen und hätten kein Gespür mehr für ihre Grenzen. An ein beglückendes eheliches Sexualleben, das Musse, Intimität, Austausch, liebevolle Blicke und zärtliche Worte voraussetzt, ist unter solchen Umständen überhaupt nicht mehr zu denken.

Stattdessen hört Perner in ihrer Praxis immer häufiger, dass Manager ins Bordell gehen, wo sie sich hinlegen und verwöhnen lassen: «Viele wollen nicht einmal mehr Sex», so die Fachfrau, «sondern haben nur noch das Bedürfnis, loszulassen und umsorgt zu werden, das mitunter schon befriedigt ist, wenn eine Prostituierte sie eincremt und massiert wie ein Baby.» Andere suchten sich in der Schwulenszene den schnellen, anonymen Kick. Wiederholt sei sie auch mit Fällen konfrontiert, wo der Vorgesetzte eine aufstrebende Kollegin sexuell nötige und diesen Missbrauch mit besonders männlicher Potenz verwechsle. Dazu kämen wohl viele, vermutet Perner, die ihre sexuellen Aktivitäten ganz eingestellt hätten: «Allen Angeboten einer überbordenden Sexindustrie zum Trotz sind die Menschen heute asexueller denn je.»

Auch Managerinnen sind betroffen

Vermehrt hat Perner heute auch mit weiblichen Spitzenkräften zu tun, die zugunsten ihrer Karriere auf eine befriedigende Partnerschaft verzichten: «Auch den Frauen fehlt es an Zeit, aber auch an der notwendigen Gestimmtheit für eine gelebte Sexualität.» Viele seien sowieso alleinstehend, andere arbeiteten im Ausland und hätten kaum noch Gelegenheit, mit ihren Partnern Gemeinsamkeiten zu pflegen. Anders als ihre männlichen Kollegen beuteten sie zwar keine Mitarbeiter sexuell aus und gingen auch nicht ins Bordell, aber vereinzelt forderten sie bei einem Escort-Service einen Begleiter an, von dem sie sich im besten Fall ein sexuelles Abenteuer erhofften.

Um aus dem Teufelskreis des «Immer mehr, immer schneller» auszubrechen, müssten sich laut der Expertin Paare Zeit nehmen, um zu besprechen, wie sie ihre Partnerschaft, die Familie und den Freundeskreis lustvoller gestalten können: «Der Manager braucht einen Ausgleich, ständige Anspannung führt ins Chaos.» Dazu müsse er sich auch die Frage stellen, wann er das letzte Mal, frei von einer geschäftlichen Verpflichtung, in der Oper gewesen sei oder mit seiner Frau an einem Fluss gesessen und den Fischen zugeschaut habe. Oder wie er mit seinem Körper umgehe, ob die Arbeit mit seinem Personal Trainer nur dazu diene, ihn seine Monstertage überstehen zu lassen, oder ob er dabei auch Freude verspüre. Perner ist selber ein Arbeitstier. Im Wissen um die Gefahren meditiert sie täglich, widmet ihrem Freundeskreis viel Zeit und schöpft Stärke aus der Beziehung zu einem Mann, den sie zwar selten sieht, an den sie aber «mindestens einmal täglich in der Früh mit zärtlichen Gefühlen denkt».

Zurzeit schreibt sie an einem Buch mit dem Titel «Heute schon geliebt?». Darin knüpft sie an ihren Bestseller «Management macht impotent» an. Auch wenn dessen Warnungen ihre Wirkung verfehlt haben, glaubt sie nach vor an die Kraft der Liebe und Erotik: «Nur wer liebt», sagt sie, «bewahrt sich seine Menschlichkeit.»

Die Wienerin Rotraud A. Perner, 63, ist promovierte Juristin, Psychoanalytikerin und Unternehmensberaterin. An der Donau-Universität Krems lehrt sie als Professorin für Gesundheitskommunikation, Kommunalprävention und Genderkompetenz. Dazu leitet sie das Institut für Stressprophylaxe und Salutogenese (ISS) in Matzen bei Wien. Sie hat mehr als 30 Bücher geschrieben, darunter «Management macht impotent», «Was wirklich stresst» oder «Wer den Himmel will, muss fliegen können - Erfolgsstrategien für Frauen». Ihre Vortrags- und Lehrtätigkeit führt sie regelmässig in die Schweiz. Perner ist Mutter zweier Söhne. (www.perner.info)

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© Barbara Lukesch