"Ich möchte Manager zur Selbstbesinnung bringen"

Sex als Verrichtung / Oktober 1997, "Bilanz"

Symbolbild Thema Sexualität

Gespräch mit Rotraud A. Perner*, Autorin des Buches "Management macht impotent"

Frau Perner, in Ihrem neuen Buch "Management macht impotent" räumen Sie auf mit dem Bild des potenten und starken Managers. Nach der Lektüre bleibt nicht mehr viel übrig vom Glanz der Spitzenkräfte. Haben Sie eine Polemik geschrieben?

Rotraud A. Perner: Nein. Ich würde eher sagen, eine Warnung. Es ist nicht mein Ziel, Manager zu attackieren und von ihrem Podest herunterzuholen. Ich möchte sie zur Selbstbesinnung bringen und zur Einsicht, dass sie sich nicht länger von äusseren Anforderungen auffressen lassen, die nichts als destruktiv sind, und zwar sowohl für ihre Gesundheit wie auch für ihre Leistungsfähigkeit. Sie müssen bei all ihrer Anspannung auch für den entsprechenden Ausgleich sorgen. Ich stelle allerdings fest, dass die meisten Führungskräfte glauben, darauf verzichten zu können.

Das klingt jetzt alles sehr moderat. In Ihrem Buch schreiben Sie immerhin von Zombies und charakterisieren den modernen Manager als monströses Wesen, das gierig, feige, aggressiv, begehrlich, eitel und konkurrenzgepeitscht ist.

Perner: Ich behaupte nicht, dass alle Manager diesem Bild entsprechen, sondern ich warne vor der Gefahr, dass sie so werden könnten. Viele - und davon bin ich überzeugt - sind tatsächlich schon zu solchen Zombies geworden, und viele andere schauen ihnen bewundernd zu und wünschen sich nichts mehr, als eines Tages selber so cool und tough, mit einem Wort frei von Mitgefühl, zu werden.

Wieso ist es für viele Männer so verlockend, sich emotional zu panzern?

Perner: Wer sein Mitgefühl, seine Ängste und Unsicherheiten abtötet, hat von dieser Seite her keine Störungen mehr zu befürchten. Er kann mindestens vorübergehend mit reibungslosem Funktionieren rechnen. Doch ich warne vor dieser Machbarkeitsideologie, die besagt: Streng dich an und du kommst ans Ziel. Sie führt zu Verspannung, Ausschüttung von Stresshormonen, zerstört mithin die menschliche Balance und bedeutet das Ende jeglicher Beziehungsfähigkeit.

Welchen Gewinn ziehen denn Manager aus ihrer Tätigkeit, dass sie all den Stress und all das Leiden auf sich nehmen?

Perner: Der Gewinn liegt für viele darin, sich endlich gross, grösser, am mächtigsten fühlen zu können, und zwar nicht zuletzt auch dank ihrer finanziellen Potenz. Denn mehr Manager, als man meint, leiden unter Gefühlen der Kleinheit und Unzulänglichkeit. Das ist ja kein Wunder angesichts der immer unüberschaubareren Wirtschaftswelt, hat aber zum anderen auch mit frühkindlichen Erfahrungen - Stichwort übermächtige Vaterfiguren - zu tun.

Welche Fähigkeiten braucht ein wirklich guter Manager?

Perner: Er braucht vor allem Überblick, und zwar einen immer grösseren Überblick, um auch die Folgen seines Handelns miteinkalkulieren zu können. Er muss Menschen motivieren und gemäss ihrer Fähigkeiten optimal einsetzen können. Er muss sie fördern und darf auf keinen Fall mit den ihm unterstellten Mitarbeitern konkurrieren. Er muss also lernen, seinen männlichen Eroberungswillen, dieses aggressive Potential, dosiert einzusetzen, das heisst, er muss sich selbst kalibrieren.

Kalibrieren?

Perner: Das Kaliber wählen, das seinem Ziel entspricht. Gelingt ihm das nicht, verliert der Manager schliesslich die Gesamtschau und gerät in einen Zustand der Anspannung, in dem er gar nichts mehr in seiner Umgebung wahrzunehmen vermag.

Sie "eignen" Ihr Buch sowohl den Managern als auch deren Frauen zu. Was soll es der Managergattin bringen?

Perner: Den Partnerinnen dieser Männer möchte ich Rückendeckung geben. Denn meistens sind es ja sie, die die berufsbedingte Veränderung und den Verschleiss ihrer Männer als erste bemerken und vor den Folgen warnen. Leider werden sie nur in den seltensten Fällen von ihren Männern ernst genommen.

Welche Rolle gesteht der Manager den Frauen in seinem Leben zu?

Perner: Bei vielen Managern kann man die klassische Spaltung der Frauen in Madonnen und Huren beobachten. Auf der einen Seite stehen die Mütter, Ehefrauen und Sekretärinnen, von denen er Förderung und Unterstützung erwartet. In ihrer Gegenwart kann der Manager wieder zum Buben werden und bewusst die Privilegien des Kleinkindes in Anspruch nehmen: Er will versorgt werden, er will aber auch ungestraft randalieren können. Auf der anderen Seite hält er sich Freundinnen, möglichst hübsche Puppen, die er nur für den Sex und das schnelle Vergnügen benutzt und die er sich mittels Geschenken oder auch Geld emotional auf Distanz hält. Gegenüber seinen Arbeitskolleginnen treten vor allem ältere Manager häufig sehr hilflos auf. Sie wissen schlicht und einfach nicht, wie sie sich ihnen gegenüber benehmen sollen, ob sie beispielsweise auch mit einer Frau konkurrieren dürfen.

Wie erlebt die Familie den Manager daheim?

Perner: Die Kinder erleben entweder den gestressten Vater, der jammert: Lasst mich in Ruhe. Ich halte keinen Lärm mehr aus. Oder sie treffen auf den šbertreibe- und Sonntagspapi, der ihnen in der Viertelstunde vor dem Schlafengehen regelrecht gewaltsam alles Liebe antun will. Das gehört dann schon in den Bereich Aggressionen. Die Ehefrauen haben es analog dazu mit der Ruine, die sie aufbauen können, oder dem Zwangsbeglücker zu tun. Was beiden Typen fehlt, ist die Fähigkeit, aufeinanderzugehen und im Moment miteinander leben zu können.

Mit dem Titel Ihres Buches zielen Sie ins Herz jedes Managers und rühren an tiefsitzende Sexualängste. Ist es Ihnen eigentlich ernst mit der Aussage, dass "Management impotent macht"?

Perner: Ich verstehe Impotenz in einem umfassenderen Sinn, nämlich als generellen Kraftverlust, beziehe allerdings auch den spezifischen sexuellen Kraftverlust mit ein. Die Sexualität ist schliesslich unser intimster Kern. Aus meiner therapeutischen Arbeit mit Managern und deren Partnerinnen weiss ich, dass sie zwar noch hin und wieder mit ihren Frauen schlafen, sich aber nicht in einen seelischen Austausch einlassen. Sie erledigen Sex, vollziehen mechanisch eine kurzfristige beziehungslose Entladung. Von Hingabe kann keine Rede sein, und damit gelangen sie auch nicht in den Zustand der Befriedigung. Ich nenne ein solches Verhalten impotent.

Angesichts ihrer Arbeitspensen dürften Manager ja wohl mitunter auch schlicht zu kaputt und müde sein, um Sex zu praktizieren.

Perner: Manager verlegen den Sex gern in den Urlaub oder ans Wochenende. Viele von ihnen gehen zudem selbstverständlich davon aus, dass es Aufgabe ihrer Frauen sei, sie zu beglücken. Die Frauen empfinden diese Forderung oft als Belästigung, wissen aber nicht, wie sie sich dagegen wehren sollen. Um des lieben Friedens willen machen sie also mit und spielen etwas vor. Wobei auch viele Manager ihren Frauen etwas vorspielen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Perner: Die überraschend grosse Gruppe der Ejakulationsgehemmten, die vor lauter innerer Anspannung und Verkrampfung nicht einmal mehr zu einem Orgasmus kommen können, präsentieren sich ihren Partnerinnen gern als besonders ausdauernde Liebhaber. Das mag die eine oder andere Gattin sehr wohl schätzen, für den betroffenen Mann ist es eine Qual.

Möglicherweise fixieren sich diese Männer, die es von ihrem Job her gewohnt sind, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auch zu sehr auf den Orgasmus.

Perner: Sie fixieren sich vor allem auf den Samenerguss. Diese Männer haben keinen Geschlechtsverkehr, sie vollziehen den Zeugungsakt, denn nur, wenn ich zeugen will, ist ja die Ejakulation dermassen bedeutungsvoll.

Geduld und Sensibilität sind zwei Eigenschaften, die innerhalb der Sexualität sehr wichtig sind, die aber nicht zwingend zum Anforderungsprofil eines guten Managers gehören.

Perner: Geduld lässt sich antrainieren. Erklärt man einem Manager auf verständliche Art, warum Geduld nötig ist, kann er dieses Verhalten erlernen. Techniken zum Erlernen von Sensibilität haben allerdings ihre klaren Grenzen.

Man hört immer wieder, dass Manager häufige Gäste bei Prostituierten oder Escort-Damen sind. Ist das ein Gerücht oder entspricht diese Aussage der Realität?

Perner: Teils, teils. Es stimmt, dass Manager gern schnell und effizient zur Sache kommen und folglich auch entsprechende professionelle Dienste in Anspruch nehmen. Sie können es sich aber auf keinen Fall leisten, zu jeder beliebigen Prostituierten zu gehen. Zum einen wegen der Erpressbarkeit, zum anderen wegen der körperlichen Gefährdung. Folglich entsprechen vor allem die Escort-Dienste, die vielfach Studentinnen, also Frauen mit Niveau, anbieten, ihren Bedürfnissen. Oftmals ergeben sich hier auch professionell geregelte Langzeitbeziehungen.

Dient es unter Managern der Imageförderung, wenn man sich den Anstrich des virilen und sexuell aktiven Mannes geben kann?

Perner: Es gibt tatsächlich Topmanager, die grossen Wert darauf legen, sich durch die Liaison mit einer auffallenden, möglichst jungen Frau in der ™ffentlichkeit auch als sexuell potenten Mann zu präsentieren. Das kann mitunter tragische Folgen haben. Wir haben in Österreich innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums drei Selbstmorde von Politikergattinnen erlebt, deren Männer regelrecht demonstriert haben, dass sie es auch mit einer jungen Geliebten noch können. Einer dieser Männer inszenierte seine öffentlichen Auftritte mit einem Fernsehstar dermassen genüsslich, dass niemand mehr die Brutalität dieses Verhaltens gegenüber seiner Ehefrau verstanden hat.

Was lässt Ehefrauen trotz aller Kränkungen und Enttäuschungen oft jahrzehntelang bei solchen Managergatten ausharren?

Perner: Oft ist es Mitleid. Die Frauen sind eben wirklich gute Mütter und pflegen und hoffen in dieser Rolle weiter. Andere denken an ihre Kinder und deren Erbschaftsmöglichkeiten und nicht zuletzt auch an die eigene finanzielle Situation. Nicht vergessen darf man auch, dass viele Frauen in jungen Jahren oft ihre eigenen Ausbildungen und Berufspläne zugunsten der Karriere ihres Mannes aufgegeben haben und es nicht aushalten, nun einsam und allein auf der Strecke zu bleiben, Freunde zu verlieren, Sozialprestige einzubüssen.

Hat der Manager überhaupt echte Freunde?

Perner: Manche haben Kumpel aus früheren Jahren, Sport- oder Studienkollegen zum Beispiel. Diese Netzwerke funktionieren wunderbar und können ihnen auch im Berufsleben sehr nützlich sein. Der Topmanager, der diese Art Beziehungen nicht hat, kann kaum neue Freundschaften aufbauen, denn an der Spitze ist die Luft dünn, und jeder Freund kann auch zum Konkurrenten und "Mörder" werden.

Die Spitzenkraft ist also tatsächlich der "lonesome hero", der einsame Held?

Perner: Das ergibt sich aus der Dynamik der Spitze. Oben hat nur einer Platz. Und der Topmanager will ja auch gar keine weiterreichenden Kontakte. Seine Betriebsamkeit, ja, Arbeitssucht, ist ja nicht zuletzt eine Strategie, sich die Leute vom Leib zu halten.

Wie kann es Managern gelingen, sich trotz widriger Umstände davor zu bewahren, zum Zombie beziehungsweise Impotenten zu werden?

Perner: Es ist wichtig, dass er durchdenkt, was es heisst, ganz und in Balance zu sein. Er muss damit aufhören, das männliche Prinzip des Schnellen, Lauten, Grossen, Heissen, Durchdringenden zu vergöttern und gleichzeitig das weibliche Prinzip des Empfangenden und Wahrnehmenden zu verteufeln. Er muss beide Pole in sich vereinigen.

Ist das nicht etwas allgemein?

Perner: Nun, es wäre klug, wenn der Manager einmal in ein Kloster gehen, meditieren oder Atemübungen praktizieren würde, wenn er Ton- oder Steinarbeiten machen oder im Nebel spazierengehen würde. Warum legt er sich nicht einmal mit seiner Frau auf eine Wiese, hält sie, schnuppert an ihr, spürt ihre Weichheit und entspannt sich auf diese Art. Damit käme er wieder zu sich.

Sind heutige Manager wirklich auf diese Art ansprechbar? Bei solchen Vorschlägen schalten sie doch ab und denken an ihre Gewinnzahlen.

Perner: Da habe ich andere Erfahrungen gemacht. Ich habe letzthin im Rahmen des Wirtschaftsbundes in Tirol einen Vortrag zum Thema "Macht Managen die Manager krank?" gehalten. Es waren viele bekannte Spitzenkräfte da, die sehr betroffen reagiert haben und in sich gegangen sind.

Betroffenheit ist eins. Aber glauben Sie, dass diese Topleute im Anschluss ihr Verhalten grundlegend geändert haben?

Perner: Die Umsetzung braucht natürlich Zeit.

Und genau daran mangelt es ja modernen Managern.

Perner: Spätestens wenn sie ihre Magengeschwüre nicht mehr loskriegen, ihren dritten Herzinfarkt oder Bandscheibenvorfall haben und ihr Verdauungsapparat die tägliche Entgiftung nicht mehr schafft, werden sie gezwungen sein, sich die Zeit für die notwendige Pflege ihres Körpers und ihrer Seele zu nehmen.

Das heisst, wenn die Manager krank werden und an ihre körperlichen Grenzen stossen, sind sie erstmals willens, Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Perner: Sagen wir es so: Wenn sie ihre Krankheitssymptome nicht mehr ruckzuck mit schulmedizinischen Mitteln wegbekommen, wagen sie auch den Schritt zur Psychologie oder Psychotherapie. Da sitzen sie dann vor mir und klagen: Mein Körper tut nicht, was ich will, worauf ich sie jeweils frage: Tun Sie denn, was Ihr Körper will?

Können nicht auch Trennungen oder Scheidungen die Manager psychisch aus der Bahn werfen?

Perner: Solche Situationen lassen die Manager vor allem dann Hilfe beanspruchen, wenn sie erstmals realisieren, wie abhängig sie eigentlich von ihren Partnerinnen sind. Und zwar nicht wegen der Hemden, die sie ihnen bügeln, oder dem Mitternachtsimbiss, den sie den erschöpften Männern servieren. Nein, schlicht und einfach wegen der Erkenntnis, dass sie jetzt niemanden mehr haben, der sie erträgt.

Wie sind Sie zu Ihren Erkenntnissen gekommen?

Perner: Auf vielfältigen Wegen. Zum einen coache ich in meiner Privatpraxis Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft. Aktuell betreue ich zwei Nationalratsabgeordnete, etliche Spitzenkräfte aus dem Bankbereich und eine Vielzahl kleinerer Unternehmer. Daneben leite ich Seminare zu Themen wie Kommunikation, Konfliktlösung oder Charisma und erlebe dort viele Manager live. Ich war zudem selber jahrelang aktive Politikerin und habe Manager in verschiedenen Wirtschaftsgremien kennengelernt. Da hatte ich reichlich Gelegenheit, ihre Anpassungsbereitschaft zu beobachten, ihre Wünsche, Befürchtungen und Ziele zu verfolgen. Dazu arbeite ich in meiner Funktion als Psychotherapeutin sehr häufig auch mit den Partnerinnen von Managern.

Warum haben Sie vorliegende Untersuchungen zum Thema nicht einbezogen beziehungsweise selber eine neue Studie gemacht?

Perner: Ich habe unter anderem auch Soziologie studiert und halte nichts von solchen Studien. Als Therapeutin und Coach erhalte ich die wesentlich aussagekräftigeren Daten als bei jeder Untersuchung. Immerhin bin ich 53 Jahre alt, über dreissig Jahre in diesem Feld tätig und verfüge über eine enorme berufliche Erfahrung.

Ihre Leser werden mit Sicherheit das Fehlen repräsentativer Daten bemängeln.

Perner: Ich weiss. Das ist eine typisch männliche Sichtweise. Männer denken immer in Quantitäten, wollen stets alles beziffert haben. Als Buben prahlen sie "Mein Papi hat das grössere Auto", und später kommt das phallische Protzen "Meiner ist grösser." Ich setze trotzdem auf Qualität anstelle von Quantität.

* Rotraud A. Perner, 53, ist promovierte Juristin. Anschliessend studierte sie Soziologie, Sexualpädagogik und Tiefenpsychologie. Sie führt ihre eigene psychotherapeutische Praxis in Wien, ist zudem in der Unternehmensberatung tätig und arbeitet als Gerichtssachverständige. Sie lehrt an der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin und an den Universitäten Wien und Klagenfurt. Sie hat zahlreiche Bücher u.a. zu Fragen der Sexualität geschrieben und publiziert im Oktober dieses Jahres "Die TAO-Frau. Der weibliche Weg zur Karriere", (C.H. Beck München) Sie ist mit einem Journalisten verheiratet und Mutter zweier erwachsener Söhne.

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© Barbara Lukesch