Die Hormonfrage

Wechseljahrbeschwerden / 11. Mai 2005, "Annabelle"

Symbolbild zum Thema Gynäkologie

Erst wurden sie vergöttert, dann verteufelt - nun scheint die Zeit reif für einen besonnenen Umgang mit Hormonen. Über die wechselvolle Geschichte einer Therapie, die Frauen in den Wechseljahren unterstützen soll.

Feminine Forever» – welche Verheissung! So nannte der New Yorker Arzt Robert Wilson sein Buch über die Hormontherapie in den Wechseljahren, das er Mitte der Sechzigerjahre herausgab. Mit seinem Werk – pikanterweise finanziert von der Pharmaindustrie – legte der Mediziner den Grundstein für die euphorische Akzeptanz eben dieser Therapie nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Hormone in den Wechseljahren gelten seit einer US-Studie aus dem Jahr 2002 als gefährlich, sogar als Krebs erregend – und Frauen in den Wechseljahren sind verunsichert. Hormone nehmen oder nicht? Inzwischen gibt es wieder neue Erkenntnisse.

Östrogene, später auch kombinierte Präparate, galten seit «Feminine Forever» als Garant für weibliche Attraktivität und Jugendlichkeit. Es gab damals Frauen, die ihrem Gynäkologen Vorwürfe machten, wenn er nicht bereit war, ihnen Hormone zu verschreiben. Umgekehrt wurden Patientinnen, die dem Wundermittel skeptisch begegneten, von Ärzten unter Druck gesetzt. Viele Gynäkologenpraxen, so ein Bonmot der Branche, glichen bis zum Jahrtausendwechsel «Tankstellen für Hormone». Entsprechend hoch waren die Umsatzzahlen. Gemäss Interpharma (Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz) wurden in der Schweiz im Rekordjahr 2000 für rund 42 Millionen Franken Hormonpräparate abgesetzt.

Weder Wallungen noch Schlafstörungen

Zu dieser Zeit schluckten zwischen dreissig und vierzig Prozent aller Frauen in der Menopause Hormone – und viele fühlten sich ausgesprochen wohl dabei. Die heute 79-jährige Maria G. etwa hat über dreissig Jahre lang täglich ihre Östrogenpille genommen. «Dank der Hormone hatte ich weder Wallungen noch Schlafstörungen», sagt sie, «ich war ausgeglichen und habe bis ins hohe Alter eine schöne Haut und straffe Brüste behalten.» Ängste vor schädlichen Nebenwirkungen hätten sie nicht belastet. Warum auch? Schliesslich habe ihr Frauenarzt ihr das Medikament wärmstens empfohlen und sie regelrecht davor gewarnt, dass sie ohne Hormone mit altersbedingten Knochenbrüchen (Osteoporose) rechnen müsse.

Als Ursula Ackermann, die Vorsteherin des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel, wiederholt mahnte, es gebe zu wenig gesicherte Erkenntnisse, um Hormone nach dem Giesskannenprinzip zu verteilen, winkten die mehrheitlich männlichen Gynäkologen und Endokrinologen ab. Wer wollte denn ins «hormonale Mittelalter» zurück?

Allerdings gab es schon damals Frauen, die sich von ihrem Gynäkologen zwar ein Rezept ausstellen liessen, dieses aber nicht einlösten. Oder solche, die das Präparat nach einer gewissen Zeit eigenmächtig absetzten. Die so genannte Compliance (Tablettenakzeptanz) liess zu wünschen übrig. Das war ein immer wiederkehrendes Thema an den Kongressen der Fachärzte.

Mehr Brustkrebs-Fälle

2002 wurde der Siegeszug der Hormontabletten jäh gestoppt. Die Nachricht, dass eine in den USA an über 16 000 Frauen durchgeführte Hormonstudie (Women's Health Initiative, WHI, www.whi.org/findings) nach fünf von acht Jahren abgebrochen werden musste, schlug ein wie eine Bombe. Die staatliche Gesundheitsbehörde hatte festgestellt, dass die Brustkrebsrate bei Frauen, denen während fünf Jahren ein Östrogen-Gestagen-Präparat verabreicht worden war, um 26 Prozent höher war als unter jenen, die ein Placebo geschluckt hatten. Gleichzeitig waren die Herzinfarkt-, Embolie- und Schlaganfall-Raten der Hormonkonsumentinnen signifikant gestiegen.

Gerade noch gepriesen, wurde die Hormontherapie nach dieser Schreckensnachricht nun regelrecht verteufelt. Die einen sprachen von einer «Therapie zum Tode», andere zogen gar Vergleiche zum Contergan-Skandal (die Einnahme des Schlafmittels durch Schwangere hatte Ende der Fünfziger weltweit zur Geburt von 10 000 verkrüppelten Kindern geführt). Viele Frauen gerieten in Panik, bestürmten ihre Gynäkologinnen und Gynäkologen mit Fragen oder setzten die Medikamente ab.

Die Hormontherapie – auf einmal galt sie als schädlich. Der Zürcher Gynäkologe Ossi R. Köchli stellte 2002 «einen irreparablen Bruch in der Einstellung vieler Frauen gegenüber Hormonen» fest. Rund dreissig Prozent seiner Patientinnen stoppten die Pilleneinnahme (wovon allerdings die Hälfte im Verlauf der folgenden drei Jahre ihren Entscheid rückgängig gemacht hätte). Ähnliche Reaktionen erlebte auch Xenia Bischof, die Leiterin der Postmenopause-Sprechstunde an der Poliklinik des Universitätsspitals Zürich: «Die Angst der Frauen vor schädlichen Folgen war riesig und hält teilweise bis heute an.»

Auch Maria G. bekam Zweifel und beschloss, die Hormone abzusetzen. Nach Rücksprache mit ihrem Arzt senkte sie zunächst die Dosis, bis sie die Einnahme ganz aufgab. «Irgendwie war mir das Ganze unheimlich geworden», sagt sie, «und heute lebe ich gut trotz leichter Wallungen.»

Nach dem ersten Schock machten sich Expertinnen und Experten vor drei Jahren daran, die US-Studie genauer unter die Lupe zu nehmen - und siehe da: Dies führte zu einer Relativierung der Ergebnisse. «Die untersuchten Frauen waren im Schnitt 63 Jahre alt, viele waren übergewichtig und gesundheitlich vorbelastet», lautete ihr Fazit. «Die Studienpopulation entsprach nicht den Patientinnen, die in Schweizer Praxen mit Hormonen versehen werden.»

Ausserdem ist die Besorgnis erregende Zahl von einem um 26 Prozent erhöhten Brustkrebsrisiko mit Vorsicht zu geniessen. Um die Dimensionen deutlich zu machen, rechnet Gynäkologe Köchli bildhaft vor: In einem mit 10 000 Frauen gefüllten Sportstadion würden, in absoluten Zahlen ausgedrückt, pro Jahr 30 Frauen ohne Hormontherapie an Brustkrebs erkranken und nach Einnahme entsprechender kombinierter Präparate 38. Also 8 zusätzliche Erkrankungen auf 10 000. Das sei in den Augen von Medizinern eine kleine Zahl, sagt Köchli, die eigentlich dazu beitragen sollte, die «fast schon hysterische Angst vieler Frauen vor Brustkrebs im Zusammenhang mit einer Hormontherapie zu relativieren».

Hormontherapie kann sinnvoll sein

Also alles nicht so schlimm? Sicher gibt es - einerseits - keinen Anlass, in die alte Hormoneuphorie zurückzufallen. Das sieht auch die Schweizerische Menopausengesellschaft so, eine Vereinigung von Medizinerinnen, Therapeuten und Apothekerinnen und einst Verfechterin von Hormonen. Sie hat genau definiert, wann und unter welchen Umständen eine Behandlung mit Hormonen sinnvoll sein kann. Denn es wäre - anderseits - fatal, würde diese «Hysterie» den Blick dafür verstellen, was mittlerweile betroffene Frauen und die Fachwelt wieder klar sagen: dass eine Hormontherapie in manchen Fällen eine geeignete Behandlungsmethode ist.

Dann nämlich, wenn Frauen mit starken Wechseljahrbeschwerden wie Schlafstörungen, Schweissausbrüchen, Konzentrationsschwierigkeiten, Herzrasen oder Depressionen zu kämpfen haben. Wenn also die Lebensqualität massiv verschlechtert wird. Die Schweizerische Menopausengesellschaft empfiehlt für die Therapie eine Reduktion der Dosis, regelmässige Mammografien und eine Beschränkung der Einnahme auf maximal fünf Jahre. Unter diesen Bedingungen, so sieht es die Fachwelt heute, kann die Therapie mit Hormonen für viele Frauen eine echte Alternative sein.

Eine von ihnen Carina B., eine 54-jährige Unternehmensberaterin. Nachdem sie ihre Hormonpräparate abgesetzt und während dreier Monate pflanzliche Alternativmittel wie Johanniskraut oder Traubensilberkerze geschluckt hatte, wurde sie dermassen von Schlaflosigkeit und Wallungen geplagt, dass sie sich «wie gerädert» fühlte. Heute nimmt sie erneut Hormone und sagt: «Ich bin wieder ich selbst und habe meine Krise überwunden.»

Auch die Zolliker Gynäkologin Susanne Baer Altorfer plädiert für einen bewussten Umgang mit Hormonen: «Denn es ist fürmich als Ärztin etwas vom Dankbarsten, eine Patientin zu erleben, die dank Hormonen ihreWechseljahrbeschwerden überwindet.» Diesen Erfahrungen haben auch die Mitglieder der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) gemacht, deren Generalsekretär Mario Litschgi konstatiert: «Beistarken Wechseljahrbeschwerden ist die Akzeptanz von Hormonen inzwischen wieder gross.»

Gemäss SGGG ist auf die Ergebnisse der WHI-Studie überreagiert worden. Generalsekretär Litschgi: «Es ist zwar gut, dass Hormone nicht mehr flächendeckend verabreicht werden. Es ist aber ebenso sinnvoll, sie zu verschreiben, wenn die Notwendigkeit gegeben ist.»


Therapieformen

Gegen Wechseljahrbeschwerden helfen unterschiedliche Methoden.

Hormone: Östrogene helfen Frauen, denen die Gebärmutter entfernt wurde. Kombinierte Östrogen-Gestagen-Präparatehelfen Frauen, denen die Gebärmutter nicht entfernt wurde. Nach einem Herzinfarkt und bei bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Hormone kontraindiziert. Bei Brustkrebs oder persönlichen Krebsrisiken sind kombinierte Präparate nicht angezeigt. Wer nur Östrogene nimmt, soll gemäss jenes Teils der WHI-Studie, der unbeachtet von der Öffentlichkeit zu Ende geführt wurde, das Brustkrebsrisiko sogar minimieren. Biphosphonate, die Knochendichteschwund ebenso wirksam bekämpfen wie Hormone, werden heute von vielen Frauen und Gynäkologen bevorzugt.

Pflanzliche Alternativen: Traubensilberkerze, Weissdorn, Johanniskraut, Baldrian, Salbeitee, Hopfen, Melisse, Sojapräparate.

Lebensart: Bewegung/Sport, Gesunde Ernährung, Idealgewicht, Beckenbodentraining, Verzicht auf Kaffee, Nikotin, Alkohol, keine heissen Bäder, Baumwollwäsche, Schlafrituale (-umgebung, Bett und so weiter überprüfen und optimieren), Stress meiden.


«Ein Glaubenskrieg»

Barbara Fervers-Schorre, Gynäkologin und Psychoanalytikerin in Köln, Mitglied der Deutschen Menopausengesellschaft, über den Sinn einer Hormontherapie.

Die Geschlechtshormone wurden erst idealisiert, dann verteufelt. Weshalb diese heftigen Reaktionen?

Fervers-Schorre: Geschlechtshormone haben mit zentralen Themen des Lebens wie Liebe, Lust, Fruchtbarkeit, aber auch Sterben zu tun. Weil damit Hoffnungen und Sehnsüchte, Ängste und Enttäuschungen verbunden sind, ist auch die Diskussion über die Geschlechtshormone emotional aufgeladen und erinnert oft mehr an einen Glaubenskrieg als an eine wissenschaftliche Auseinandersetzung.

Welche Frage steht Ihrer Meinung nach im Zentrum dieses Glaubenskriegs?

Die Frage, wie Frauen altern sollen. Sollen sie sich nach und nach mit dem Verlust ihrer Sexualität und erotischen Attraktivität abfinden und zur weisen Grossmutter werden, die sich nur noch um ihre Enkel kümmert? Oder aber sollte ihnen zugestanden werden, ihre Erotik, diesen beglückenden Teil des Lebens, mit Hilfe von Hormonen möglichst lange zu erhalten?

Soll das heissen, dass nur Frauen, die Hormone schlucken, auch mit zunehmendem Alter Lust und Erotik erleben können?

So absolut würde ich es nicht formulieren. Aber die Hormone gehören zu den Stoffen, die wichtig sind für die Libido, die Vitalität, das Aussehen. Das gilt nicht für alle Frauen, aber für viele. Dazu sind die Hormone erwiesenermassen sehr wirksam bei der Behandlung von Wechseljahrbeschwerden, unter denen gewisse Frauen so massiv leiden wie unter einer Krankheit.

Ist das nicht etwas übertrieben?

Wie stufen Sie es denn ein, wenn eine Frau über Monate hinweg so schlecht schläft, dass sie unter Konzentrationsstörungen und Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen leidet, ihre Arbeitsfähigkeit einbüsst und so ihre berufliche Existenz gefährdet? Das ist keine «zwar bedauerliche, aber letztlich unerhebliche Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens», wie es gern heisst. Das sind Krankheitssymptome, die nach dem Ausfall der Geschlechtshormone auftreten können. Kommt es durch eine hormonelle Störung der Schilddrüse zu vergleichbaren Symptomen, würde niemand daran zweifeln, dass eine Krankheit vorliegt, die behandelt werden muss.

Wie viele Frauen leiden derart stark unter ihrer Menopause?

Man schätzt, dass rund vierzig Prozent der Frauen mittelstarke bis erhebliche Beschwerden haben.

Wie reagieren die Frauen in Ihrer Praxis heute auf das Thema Hormone?

Viele sind immer noch verängstigt. Ich erlebe aber auch etliche, die sich nach dem Absetzen der Hormone so schlecht fühlen, dass sie nach dem Abwägen von Nutzen und Risiken die Wiederaufnahme ihrer Therapie wünschen. Man darf nicht vergessen: Die Gefahr, im Verlauf einer Hormontherapie an Brustkrebs zu erkranken, ist nicht grösser als jene, die von Alkohol oder Nikotin ausgeht. Ja, eine Frau, die Alkohol trinkt, raucht oder übergewichtig ist, nimmt gar ein grösseres Risiko in Kauf.

Wie beraten Sie eine Frau in der Menopause bezüglich Hormone?

Ich mache mit ihr eine Familienanamnese, das heisst, ich überprüfe, welche Risikofaktoren sie mitbringt. Wenn in ihrer Familie gehäuft Brustkrebs aufgetreten ist, rate ich ihr von Hormonen ab. Gabs in ihrer Familie mehrfach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und leidet sie selbst unter erhöhtem Blutdruck, lasse ich den Zustand ihrer Gefässe abklären. Zeigen diese arteriosklerotische Ablagerungen, ist eine Hormontherapie nicht angezeigt. Andernfalls weise ich sie darauf hin, dass die Hormone eine präventive Wirkung haben können, weil sie die Gefässe erweitern und eine gute Wirkung auf die Blutfettwerte haben.

In Ihrem Buch («Hormone. Neue Lebensfreude und Energie») wirken Sie als überzeugte Verfechterin von Hormonen.

Sagen wir es so: Ich bin überzeugt davon, dass jede Frau individuell über Nutzen und Risiken von Hormonen informiert werden sollte, um nachher einen selbstbestimmten Entscheid zu fällen.

Wurde Ihr Buch von der Pharmaindustrie finanziert?

Nein. Ich bin von der Pharmaindustrie noch nie für irgendetwas bezahlt worden.

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© Barbara Lukesch