Wir zeigen Bauch!

Selbstbewusste Schwangere / April 2001, "Wir Eltern"

Symbolbild zum Thema Gynäkologie

Sandro Gianella gestand vor kurzem öffentlich ein, sich wie ein Held zu fühlen. Die hochgemute Stimmung des bekannten Zürcher Headhunters rührt nicht etwa von einem besonders erfolgreichen Geschäftsabschluss her. Nein, der 40-Jährige wird erstmals in seinem Leben Vater und erfährt damit "das Tollste, was einem Mann passieren kann." Ergriffen schildert er, dass ihn der schwellende Bauch seiner Ehefrau so magisch anziehe "wie der Vollmond". Er geniesse dessen mütterliche Rundheit, die Schutz, Kraft und Lebendigkeit verheisse. In regelmässigen Abständen fotografiere er seine Frau, um das Wachstum des Bauchs in seinen verschiedenen Phasen zu dokumentieren.

Nicht ganz so euphorisch, aber durchaus erfüllt von zärtlicher Fürsorge und grosser Vorfreude nehmen heutzutage sehr viele Männer an der Schwangerschaft ihrer Partnerin Anteil. Dazu benötigen sie keine mit Wasser gefüllten Säcke, die sich immer mehr Amerikaner als "Pseudobauch" um den Leib binden, um sich möglichst stimmig in ihre Partnerinnen einfühlen zu können.

Der 37jährige Zürcher Rainer S. beschränkte sich darauf, Abend für Abend den Bauch seiner Frau einzuölen. Er war fasziniert von dessen "praller Fülle", die ihn je länger je mehr an ein "Überraschungsei" denken liess. In diesen Momenten der Musse und Entspanntheit sprach er jeweils lange und vernehmlich mit seinem werdenden Kind. Soviel vorgeburtliche Zuwendung blieb nicht ohne Wirkung, liess sich doch der frischgeborene, schreiende Säugling nach seiner Kaiserschnitt-Entbindung erst dann beruhigen, als er Vaters offenbar vertraute Stimme vernahm: "Dieses Erlebnis war wunderbar", erzählt Rainer S., "und eröffnete mir von Stund an eine innige Beziehung zu meinem Sohn."

Neue väterliche Töne

Auch der dreifache Vater Martin L., 40, fand über die intensive Beschäftigung mit dem Bauch seiner Frau den Zugang zu seinem Nachwuchs. Er genoss es, wenn er mit den Händen die Kindsbewegungen spüren oder mit einem Hörrohr in das glucksende Innere hineinhorchen konnte. Weil seine Frau alle drei Kinder zu Hause auf die Welt brachte, war seine Mithilfe ungleich wichtiger als bei einer Geburt im Spital. Vor allem in diesen spannungsvollen Stunden war Martin L. froh, dass er die Zeichen, die der Bauch mit den Wehen und Verhärtungen aussandte, dank monatelanger Beobachtung und zusätzlicher Fachlektüre "in etwa zu deuten vermochte."

All das sind neue väterliche Töne. Frühere Männergenerationen begnügten sich noch damit, den finanziellen und materiellen Rahmen der Familie zu sichern, und gaben auf diese Art ihrer Fürsorglichkeit Ausdruck. Der anschwellende Bauch war "eine Sache der Frau"; da hielt sich der werdende Vater diskret, vielleicht auch etwas ungelenk auf Distanz.

Der Umgang mit dem schwangeren Bauch hat sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren in nahezu jeder Hinsicht markant verändert. Aus dem einst schamhaft verhüllten Beweisstück vollzogener körperlicher Liebe ist ein stolzes Vorzeigeobjekt geworden. Prominente Zeitgenossinnen wie die Sängerin und Schauspielerin Madonna oder der Hollywood-Star Demi Moore liessen sich nackt und hochschwanger für die Titelbilder grosser US-Magazine ablichten und sorgten damit weltweit für erhitzte Debatten.

Splitternackte Muba-Schwangere

Inzwischen hat auch die Werbung den hohen emotionalen Gehalt dieser Grenzen sprengenden Erfahrung im Leben einer Frau entdeckt. So hievte die Mustermesse Basel letztes Jahr eine splitternackte Schwangere auf ihre Plakate und kreierte den Slogan: "Muba - die Mutter aller Messen." Keck und selbstbewusst präsentierte die junge Frau ihren ansehnlichen Bauch und zog landesweit grosse Aufmerksamkeit auf sich. Dass die Profanisierung des nackten schwangeren Bauchs zu Werbezwecken auch im Jahr 2000 noch einer Tabu-Verletzung gleichkam, merkte die verantwortliche Berner Werbeagentur Lang Gysi Knoll an den geteilten Reaktionen: "Wir erhielten begeisterte, aber auch klar ablehnende Briefe und Anrufe", konstatiert die Projektleiterin Nicole Müller. Auch der Zürcher Werber und TV-Produzent Frank Baumann fand die Idee "am Bauch herbeigezogen." Etwas so Intimes wie eine Schwangerschaft ins Rampenlicht einer Plakatwand zu stellen, kritisiert Baumann, sei ihm "vom Konzept her zu platt, billig und durchsichtig."

Der schwangere Bauch war tatsächlich bis vor wenigen Jahren ein Objekt, das vor den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit tunlichst geschützt werden musste. Frauen in Erwartung genossen schon fast den Status einer Heiligen, die bei aller Körperlichkeit ihres Zustands gern zu sphärischen Marienfiguren mit besonderer Aura und Ausstrahlung hochstilisiert wurden. Die Schwangerschaftsmode mit ihren Hängerkleidchen voller Rüschen und Spitzen, die vorzugsweise in Weiss gehalten waren, trug das Ihre dazu bei, dass erwachsene Frauen wie unschuldige Mädchen daherkamen.

Frech und selbstbewusst

Mit dieser Art von Verklärung ist es weitgehend vorbei. Heute tragen Frauen das, was ihnen gefällt: enge T-Shirts und Pullover, ja, sogar figurbetonende Stretchkleider, die den Bauch mitsamt vorspringendem Nabel frech und selbstbewusst zur Geltung bringen. In den Schwimmbädern steigt die Zahl jener, die nichts mehr von den beutelförmigen Badeanzügen wissen wollen, mit denen sich noch ihre Mütter verunstalteten. Bikinis, auch unter Hochschwangeren, liegen im Trend.

"Viele Frauen empfinden Stolz auf ihren Bauch und haben auch Lust, ihn zu präsentieren", stellt Lutz Götzmann, Oberarzt an der Psychosomatischen Sprechstunde des Universitätsspitals Zürich, fest. Die 35jährige Clara M. war tatsächlich "unendlich stolz", als ihr Leib rund und runder wurde. Sie genoss seine "pralle Festigkeit" und stellte ihn ungeniert zur Schau. Alle sollten an ihrem grossen Glück Anteil nehmen. Seit jener Erfahrung unterteilt sie die Menschheit in "Männer, Frauen und Schwangere", und meint mit letzteren "jene Spezies, die sich in einem wundervollen Ausnahmezustand befindet."

Auch Sibylle K., 29, war begeistert von ihrem schwellenden Bauch, den sie liebevoll "meinen Himmelshügel" nannte. Sie habe "eine Zeit der physischen und psychischen Fitness" erlebt und sich in keiner Weise durch ihre Gewichtszunahme von knapp zehn Kilogramm beeinträchtigt gefühlt. Die 37jährige Dora T. war 21, als sie zum erstenmal Mutter wurde. Die junge Frau fand ihre sich rundenden Formen "toll", war fasziniert von der Erfahrung, dass "da etwas in mir wuchs und lebte" und nahm sich während ihrer drei Schwangerschaften "als etwas Besonderes" wahr: "Ich hatte eine andere Wichtigkeit als sonst." Den Schritt zur fotografischen Dokumentation ihres nackten Bauchs wagten ihr Mann und sie allerdings erst beim dritten Kind, das inzwischen zehn Jahre alt ist.

Keine Vorzugsbehandlung mehr

Trotz Wohlwollen und Aufmerksamkeit, die eine werdende Mutter im Kreis ihrer Familie, bei Freundinnen und Verwandten erfährt, ist der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Schwangerschaft sehr viel nüchterner geworden. Wurde angehenden Müttern in öffentlichen Verkehrsmitteln früher sofort ein Platz angeboten, muss eine Frau heute schon hochschwanger sein, um diese Art von Vorzugsbehandlung zu erfahren. Nach wie vor besonders rücksichtsvoll zeigen sich, gemäss übereinstimmender Aussagen, ältere Menschen.

Nun sind längst nicht alle Schwangeren erpicht darauf, mit soviel ausgesuchter Höflichkeit bedacht zu werden: "Wenn im Tram jemand extra für mich aufstand, war ich peinlich berührt", erinnert sich Sibylle K., "und überlegte mir jeweils, wie alt oder krank ich aussehen müsse, dass sich selbst Sechzigjährige für mich erheben."

Was hingegen etlichen Frauen das Leben schwer macht und ihnen Anlass zu Sorge und Unsicherheit gibt, sind die gesteigerten Leistungserwartungen am Arbeitsplatz. Die Zuger Hebamme Heidi Caprez berichtet, dass immer mehr Unternehmen fest damit rechnen, "dass eine Arbeitnehmerin ihre Schwangerschaft nebenbei erledigt und ihrem Job bis zum Geburtstermin nachgeht - Bauch hin oder her." Auch in der Psychosomatischen Sprechstunde am Unispital Zürich berichten Schwangere immer wieder, dass sie ihren Bauch aus Angst vor den negativen Reaktionen ihres Vorgesetzten so lange wie möglich zu verbergen suchen: "Diese Frauen fragen sich besorgt", so Götzmann, "wie sie dem Druck ihrer Arbeitgeber begegnen sollen, wenn ihre körperliche Leistung nachlässt oder die Vorgesetzten dies befürchten."

Keine Taille – na und?

Isabelle B. bekam ihre drei Kinder in jenen Jahren, in denen sie an der Universität Zürich studierte. Mehrfach belastet, wie sie war, wollte sie in erster Linie "alles glatt und störungsfrei über die Runden bringen." Zeit und Musse, sich ihrem Bauch und der jeweiligen Schwangerschaft genussvoll hinzugeben und von ihrer Umgebung etwas Ruhe und Schonung zu verlangen, habe sie nie gehabt: "Im Nachhinein bedaure ich es, dass ich die Zeit mit meinem schönen, grossen Bauch nicht bewusster ausgekostet habe."

Eine Schwangerschaft ist auch eine Lebensphase, in der viele Frauen ihren Körper auf neue Art wahrnehmen und ihre Figur zumindest vorübergehend mit mehr Gelassenheit und Wohlwollen betrachten, frei nach der Maxime des deutschen Cartoonisten Peter Gaymann*: "Wer keine Taille mehr hat, muss endlich auch auf keine mehr achten."

Genauso erging es der 41jährigen Ursina G., die seit jeher unter Gewichtsproblemen und dem damit verbundenen Diätterror leidet. Sie genoss es, "für einmal ohne schlechtes Gewissen essen und zunehmen zu dürfen". Zieht sie unter normalen Umständen ihren Bauch ein, durfte sie diesen endlich einmal entspannt loslassen. Die für sie sonst kränkende Frage, ob sie schwanger sei, konnte sie heiter und zufrieden bejahen. Auch dass die 1,58 Meter kleine Frau 25 Kilogramm zulegte, brachte sie nicht aus der Ruhe: "Ich fühlte mich unglaublich wohl und hatte zum erstenmal den Eindruck, dass mein Bauch, so wie er war, seine Richtigkeit hatte und akzeptiert wurde."

"Was, du bist schon so dick?"

Viele Frauen teilen diese Erfahrung. Sie bringen zwanzig bis fünfundzwanzig Kilogramm mehr auf die Waage und nehmen ihren Körper dennoch als leicht, schön wie noch nie und "unbeschreiblich weiblich" wahr, wie die deutsche Rocksängerin Nina Hagen einst röhrte. Mitunter allerdings führen Reaktionen aus dem Umfeld die Schwangere brüsk auf den steinigen Boden unserer vom Schlankheitswahn beherrschten Gesellschaft zurück. Das kann beispielsweise passieren, wenn jemand mit vorwurfsvollem Unterton fragt: "Was, du bist schon so dick und hast trotzdem erst in drei Monaten den Geburtstermin." Dieselbe Gefahr besteht aber auch, wenn jemand bewundernd bemerkt: "Toll, du bist noch so schlank, obwohl du schon im achten Monat bist." Die Hebamme Heidi Caprez weiss aus ihrer mehr als zwanzigjährigen Berufspraxis, dass viele Schwangere "auf solche Aussagen mit Verunsicherung reagieren und wissen wollen, wieviel Bauchumfang und Gewichtszunahme eigentlich normal und richtig seien."

Die Reaktionen der Umwelt auf den sichtbaren Bauch bilden nach Aussagen von Oberarzt Götzmann generell einen der entscheidenden Einflussfaktoren, die über Wohl oder Weh einer Schwangeren entscheiden. Geht der Partner tatsächlich auf Distanz, haben viele Frauen Angst, sexuell nicht mehr so attraktiv zu wirken. Meistens aber freuen sich die werdenden Väter über die weichen, üppigen Formen ihrer Frauen, und deren Sorge um ihre weibliche Ausstrahlung sei, so Götzmann, gar nicht begründet. Wichtig sei, dass die Paare während der Schwangerschaft über ihre Gefühle reden würden.

Subkutane Aggressionen

Isabelle B. machte eine Erfahrung der besonderen Art. Die schwangere Studentin wurde an der Universität wie eine Exotin behandelt, deren Zustand "keiner Kommilitonin und keinem Kollegen auch nur eine einzige Bemerkung wert war". Es habe ihr mit der Zeit zu schaffen gemacht, dass ihre Umgebung ihre deutlich sichtbare Schwangerschaft "totgeschwiegen" und diese wichtige Veränderung in ihrem Leben damit "komplett ausgeblendet" habe. Einzig ihr persönlicher Beisitzer, das heisst ein älterer Student, der sie während der Lizentiatsprüfungen betreute, warf ihr kurz vor dem Abschluss des Examens vor, sie setze ihren hochschwangeren Bauch bewusst in Szene, um bei ihrem Professor eine mildere Bewertung herauszuholen. Angesichts dieser Unterstellung sei sie perplex und empört gewesen und habe sich gefragt, ob dieser Mann wohl unter dem vielbeschworenen Gebärneid leide.

Aggressionen derart unverhohlener Art treten selten auf. Was mehr Frauen erleben, ist eine Behandlung, die auf den ersten Blick als freundliche Anteilnahme daherkommt, von vielen aber gleichwohl als Übergriff empfunden wird: Man fasst ihnen ungefragt an den runden Bauch und gratuliert ihnen zu ihrem grossen Glück.

Nun gibt es auch Frauen, die ihre Schwangerschaft alles andere als glücklich erleben und den damit verbundenen körperlichen Veränderungen keinerlei positive Seiten abgewinnen können. Marta F. litt neun Monate lang "Höllenqualen" und fühlte sich mit zwanzig Kilogramm zusätzlichem Gewicht "plump wie eine Tonne, aufgedunsen, unbeweglich, ja, richtiggehend behindert". Entnervt entdeckte sie eines Tages auch noch "zündrote Schwangerschaftsstreifen" an ihrem Bauch, die ihr, farblich etwas moderater, bis heute erhalten geblieben sind und sie seither am Tragen eines Bikinis hindern. Marta F. wollte nie wieder schwanger werden und entschied sich trotz andauerndem Kinderwunsch ihres Mannes gegen weiteren Nachwuchs.

40 Kilo Gewichtszunahme!

Roland Zimmermann, leitender Arzt in der Abteilung Geburtshilfe am Zürcher Universitätsspital, kennt Extreme noch ganz anderer Art: Schwangere, die vierzig Kilogramm und mehr zunehmen, andere aber auch, die zehn Kilogramm abnehmen. Der durchschnittliche Gewichtszuwachs beträgt gemäss Auskunft des Experten dreizehn Kilogramm und setzt sich aus rund 3,5 Kilo Kindsgewicht, einem halben Kilo Plazenta und je einem Kilo Fruchtwasser, Blut, Brust- und Gebärmutterwachstum zusammen. Dazu kommen individuell verschieden schwerwiegende Wassereinlagerungen und angegessenes Fett.

Trotz Schwerfälligkeit, Kreuzschmerzen, Schlafstörungen, Magenbrennen und anderer mit dem Wachstum des Bauchs einhergehender Gebresten erleben die meisten Frauen ihre Schwangerschaft als bereichernde Phase ihres Lebens. Sie geniessen diese Zeit, die der werdende Vater Sandro Gianella bewegt als "Zeit der Zärtlichkeit" eines Paares bezeichnet. Nachdenklich stimmt einzig, dass sich der grosse väterliche Stolz gemäss Erfahrung von Hebamme Caprez gern mit der Geburt des ersten Kindes erschöpft: "Schon bei einer zweiten Schwangerschaft zeigen die meisten Männer Desinteresse, ja, Gleichgültigkeit", konstatiert die Fachfrau, "und lassen ihre Partnerinnen mit dem grossen, schweren Bauch ganz allein."

* Herzlich willkommen! Eine Cartoongeschichte zu Schwangerschaft und Geburt. Ausgebrütet von Peter Gaymann, 2000

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© Barbara Lukesch