Wie sich der Humor der Kinder entwickelt

Zum Lachen / April 2003, "Wir Eltern"

Symbolbild zum Thema Psychologie und Medizin

Kinder lachen gern, und es braucht oft nicht viel, um sie zu erheitern. Schon der sechs Monate alte Säugling beginnt zu glucksen, wenn sich seine Mutter auf alle Viere begibt und so tut, als sei sie ein Hund. Zweijährige schüttelt es vor Lachen, wenn ein Mann auf einer Bananenschale ausrutscht und der Länge nach hinschlägt. Genauso beglückt reagiert die Fünfjährige, wenn ihrem Vater ein sprachliches Malheur passiert und ihm in ihrer Gegenwart das Bäh-Wort "Scheisse" entschlüpft.

Gemeinsam ist all diesen von Kindern so lustvoll erlebten Situationen, dass sie eine mehr oder weniger deutliche Verletzung von Normen beinhalten. Mütter und Männer gehen in aller Regel aufrecht und kriechen weder über Teppichböden noch liegen sie auf dem Trottoir. Erwachsene bedienen sich gemeinhin stubenreiner Wörter oder behaupten mindestens Kindern gegenüber, es zu tun.

Um die Verletzung solcher Normen wahrnehmen zu können, muss ein Kind zunächst einmal erfassen, wie sich die Welt im sogenannten Normalzustand präsentiert. Es muss, um bei unserem ersten Beispiel zu bleiben, eine Vorstellung haben, die es mit seiner Mutter verbindet, und eine andere, die es mit einem Hund verknüpft. Halbjährige Säuglinge, sagen die Experten, sind bereits in der Lage, eine solche Differenzierung vorzunehmen.

Alle lieben Sprachwitze

Wenn sie etwas älter sind, lieben Mädchen und Knaben Sprachwitze, die auf ihre Art ebenfalls mit Fehlleistungen und Regelbrüchen spielen. Da muss aus der "Kürbissuppe" nur eine "Sürbiskuppe" werden, oder aus dem "verehrten Publikum" ein "verpuptes Ehrlikum", und schon quietschen Sechsjährige. Nach Aussage der deutschen Humorforscherin Christine Bierbach "deckt sich in solchen Momenten die Freude am Falschen mit dem Triumph, selber das Richtige zu wissen". Das Lachen der Überlegenheit lösen auch all jene Witze bei Kindern aus, in denen ein etwas beschränkter Erwachsener wie der folgende geschildert wird: "Herr Meier kauft sich eine Pizza am Stand. Fragt ihn der Verkäufer: ‚Soll ich die Pizza in acht oder zwölf Stücke schneiden'? Sagt Herr Meier: ‚Nur in acht Stücke. Zwölf schaffe ich nicht."

Wenn es absurd wird, amüsieren sich Buben und Mädchen ganz besonders stark. Sie lieben die "verkehrte Welt", in der der Hase den Jäger jagt, oder ergötzen sich an den kurzen, einfachen Elefantenwitzen: "Wie transportiert man vier Elefanten in einem VW Käfer? Antwort: Zwei vorne, zwei hinten". Kleine Kinder quittieren es auch mit Gelächter, wenn ihre Mutter ihnen vorschlägt, man sollte ihren verstauchten, schmerzenden Fuss am besten ganz abschneiden. Das muss so deftig daherkommen, denn Ironie, das subtile Sich-Lustig-Machen über einen anderen, überfordert und verunsichert sie: "In solchen Momenten fühlen sich viele Kinder ausgelacht und veräppelt", konstatiert die Zürcher Kinder- und Jugendpsychologin Ruth Dalcher.

Im Alter von vier bis sechs Jahren setzt sich jenes Thema in Scherzen und Komik durch, das die "internationale Kinderwitz-Kultur" nach Einschätzung der Humorforschung klar dominiert: Pipi und Kaka, oder wie es Bierbach formuliert: "Echte Kinderwitze sind vorwiegend Analwitze. Diese ungezählten simplen Dialoge über Pissen, Kacken, Scheisse, Pupsen und Einen-fahren-Lassen bilden die weitaus grösste Gruppe und sind das Thema Nummer Eins in der Kinderstube."

Dass Knaben und Mädchen sich halbtot lachen, wenn sie Anal-Witze austauschen, hat verschiedene Ursachen. Zum einen, so die einhellige Überzeugung der Fachleute, bringen sie damit die grosse Lust zum Ausdruck, die sie an ihrer Verdauung und ihren Körpersäften haben. Gleichzeitig opponieren sie gegen die Erziehung zur Reinlichkeit, die ihnen suggeriert, alles, was mit Kot und Urin zu tun habe, sei eklig und müsse versteckt werden.

"Kacke" – wie amüsant

Indem sie lauthals und voller Wonne das unanständige Wort "Scheisse" in den Mund nehmen, setzen sie sich genüsslich über dieses Verbot hinweg. Ganz besonders komisch finden Kinder es, wenn sie die gespreizten Formulierungen der Erwachsenen wie "Stuhl", "Harn" oder "das stille Örtchen" mit ihren drastischen Begriffen wie "Kacke", "Pisse" oder "Scheisshaus" kontrastieren. Wie amüsant das Thema ist, zeigt sich daran, dass sogar unausgesprochene Andeutungen wie im folgenden Verslein ausreichen, um Knaben und Mädchen zu Lachstürmen hinzureissen: "Der Moritz wollte angeln geh'n, musst' bis zum Bauch im Wasser steh'n. Da kommt auch schon ein grosser Barsch, und beisst den Moritz in den ...fidirullala."

Vor und in der Pubertät erleben dann Witze mit sexuellen Anspielungen oder eindeutigen sexuellen Botschaften ihre Blütezeit. Das sind mitunter harmlose, charmante Kinderwitze wie jene der norddeutschen Göre Klein-Erna, die zu ihrem Freund sagt: "Du, Fritzchen, willst du mal seh'n, wo ich am Blinddarm operiert wurde?" Darauf Fritzchen: "Oh, ja. Zeig mal." Worauf Klein-Erna aufs gegenüberliegende Krankenhaus weist und sagt: "Da drüben."

Eine zeitlang reicht es schon, analog zum Verhalten in der analen Phase Wörter wie "bumsen" oder "vögeln" so ungeniert und cool wie möglich in die Runde zu werfen, um einen Lachschlager zu landen. Hoch zu und her kann es in Klassenzimmern gehen, wenn die Werklehrerin einen Drachen basteln lässt und ihren Schülern die Anweisung gibt: "Jetzt brauchen wir noch einen Schwanz."

Während sich das Komikverhalten der Knaben und Mädchen bis zum Kindergartenalter ähnelt, setzt mit dem Schuleintritt eine klare geschlechtsspezifische Unterscheidung ein: Von jetzt an produzieren sich in erster Linie Knaben als Witzeerzähler und Klassenclowns, sie necken sich, schneiden Grimassen und äffen andere Kinder nach, wohingegen die Mädchen ihren Humor unter Beweis stellen können, indem sie mitlachen, wenn's sein muss, auch über Scherze, die auf ihre eigenen Kosten gehen. Diese Entwicklung, konstatiert die deutsche Humorexpertin Helga Kotthoff, erfahre seit einigen Jahren eine spürbare Änderung: "Immer mehr selbstbewusste und initiative Mädchen holen auf dem Humorfeld auf und nehmen die Knaben manchmal ganz schön auf's Korn."

Grobe humoristische Attacken

Die grössten Unterschiede zwischen den Geschlechtern macht Kotthoff nach wie vor in den reinen Knaben- beziehungsweise Mädchencliquen der Vierzehn- bis Sechzehnjährigen aus. Unter sich reiten die männlichen Jugendlichen mitunter grobe humoristische Attacken, bei denen jene die Nase vorn haben, die über ein besonderes Mass an Schlagfertigkeit und Coolness verfügen: "Ihre Frotzeleien", sagt Kotthoff, "bewegen sich oft auf einem hohen Aggressionsniveau und zielen auf alle möglichen Lebensbereiche." Markus wird verhöhnt, weil er als unsportlich gilt. Kevin heisst bei seinen Kollegen "Brillenfotze"und erduldet damit einen Spitznamen, der in Erwachsenen-Ohren fürchterlich klingt.

Dermassen angriffige Spielchen sind unter Mädchen weitgehend unbekannt. Die weiblichen Jugendlichen, so Kotthoff, würden zwar auch blödeln und scherzen, aber dabei sehr viel vorsichtiger miteinander umgehen. Sexwitze hingegen, die die Humorforschung einst als reine Männerdomäne betrachtete, seien inzwischen auch bei jungen Frauen auf dem Vormarsch. All diese Erkenntnisse sind jüngeren Datums. Bis vor rund zwanzig Jahren liessen die einschlägigen Studien Mädchen links liegen und erhoben fast ausschliesslich das Verhalten von Knaben, in der Annahme, damit ihre wissenschaftliche Pflicht erfüllt zu haben.

Nun lachen Kinder nicht nur gern, sondern bieten auch ihren Eltern immer wieder Anlass zu Heiterkeit. Etwa, wenn Siebenjährige den Mund gar voll nehmen und ein Geburtstagsgeschenk als "suboptimal" klassieren. Altkluge Kinder sind lustig, können ihrer Umgebung, im Übermass genossen, allerdings auch auf die Nerven gehen. Die beliebten Mini-Playback-Shows, wo Sechsjährige, gestylt wie Madonna, singen und tanzen, beziehen ihren Charme aus einer vergleichbaren Quelle und lösen oft grosses Gelächter aus. Amüsant wird es andererseits auch immer dann, wenn Mädchen und Knaben mit den Tücken der Sprache kämpfen und dem Busfahrer auf dem Weg in die Stadt erklären, dass sie "übergestern" bei der Oma waren. Gern lachen wir natürlich über echte Komiktalente, Kinder, die verschiedene Dialekte beherrschen oder überaus treffend den Gang von Onkel Stefan oder irgendeinen Tick ihrer Gotte nachahmen.

Jungen und Mädchen geniessen, eine zeitlang zumindest, Narrenfreiheit, und so sehen wir ihnen auch nach, wenn sie in aller Öffentlichkeit ungeschminkte Wahrheiten verbreiten: "Gäll, Mama, die Frau ist dick." Ja, mitunter müssen wir uns in eben solchen Momenten gewaltsam ein Lachen verkneifen.

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© Barbara Lukesch