Smarter Direktor

BAG-Chef Thomas Zeltner / Juni 1996, "Die Weltwoche"

Symbolbild zum Thema Psychologie und Medizin

Wie Thomas Zeltner, Chef des Bundesamts für Gesundheit, es schafft, sich aus der Schusslinie der Medien zu halten.

Sein Auftritt hat Drive. Energiegeladen, schwungvoll, dynamisch betritt Thomas Zeltner den Raum. Sein Händedruck geht an die Schmerzgrenze, und sein Hemd ist so strahlend weiss, dass es schon fast wehtut. Seine Gesichtszüge sind kantig, sein Lachen entblösst makellose Zähne. Seine Frisur ist perfekt, seine Rasur gleichermassen. Die braun-weiss getupfte Krawatte nimmt das Haselnussbraun seiner Augen auf. Zeltner - so viel ist klar - legt Wert auf seine äussere Erscheinung. Grund dazu hat er, denn der 50-Jährige, der gut und gern als Mittvierziger durchgehen würde, ist ein richtiger Beau, angesichts dessen schon mehr als eine Mitarbeiterin ins Schwärmen geraten ist.

Dazu ist er beherrscht, überaus höflich, ja, zuvorkommend und fliegt mit elegantem Satz regelrecht an die Tür, um sie seiner Begleiterin zu öffnen. Beim Gang durch das Treppenhaus seines grossen Amtes begrüsst er seine Angestellten mehrheitlich mit Namen, macht hier einen Witz und lässt da einen Gruss an die Gattin ausrichten. Er wirkt freundlich und erweckt den Eindruck, dass man mit Problemen jedwelcher Art bei ihm willkommen sei.

Akademische Karriere

Zeltner ist Arzt und Jurist. Er hat berufliche Erfahrungen als Lehrbeauftragter an der Harvard School of Public Health in den USA gesammelt und mehrere internationale Gremien der Weltgesundheitsorganisation WHO präsidiert. Seine akademische Karriere krönte er mit dem Titel eines Professors; als Leiter der medizinischen Bereiche des Berner Inselspitals entwickelte er seine Management-Talente.

Genauso hatte sich Bundesrat Flavio Cotti den Mann vorgestellt, den er anfangs der neunziger Jahre mit der Leitung des Bundesamts für Gesundheitswesen betrauen wollte: polivalent, parteipolitisch zwar ungebunden, dafür aber militärisch profiliert und inzwischen zum Oberst aufgestiegen, und verheiratet.

Der Solothurner nahm die Herausforderung an und leitet nun seit rund fünf Jahren ein Amt, dessen Arbeitsbereiche so brisant, aktuell und vielfältig sind, dass es alle Nachbarämter in den Schatten stellt. Ständig ist es mit sperrigen, unbequemen Themen wie Rinderwahnsinn, Salmonellen, Drogen oder Aids in den Schlagzeilen, doch sein Vorsteher hat es erstaunlicherweise geschafft, die eigene Person aus dem Schussfeld zu halten und nicht einen ernsthaften Kratzer abzubekommen.

Das will etwas heissen, denn Zeltner bekleidet einen klassischen "Sandwich"-Posten und ist eingeklemmt zwischen den teilweise extrem divergierenden Ansprüchen von Bundesrat, Kantonen, Betroffenenorganisationen und Interessenvertretern wie der Tabak- und Alkohollobby.

Zeltner sei halt der geborene Diplomat, sagen die einen; er neige gar zum Opportunismus, sagen andere, und habe ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis. Auf jeden Fall ist er ein eidgenössischer Musterbeamter, bereit, die ihm von seiner Vorgesetzten Ruth Dreifuss beziehungsweise vom Gesamtbundesrat diktierte Politik zu vollziehen, willens, die einem Schweizer Chefbeamten gesteckten Grenzen einzuhalten und die damit verbundene Profillosigkeit hinzunehmen. Er akzeptiert das Prinzip der Konkordanz, das ihn bundesrätliche Entscheide mittragen lässt, die unter seiner Federführung womöglich anders herausgekommen wären. Seine Anpassungsbereitschaft bezeichnet er als "Grundvoraussetzung, um überhaupt die Funktion eines Chefbeamten wahrnehmen zu können."

Erfolge in der Drogen- und Tabakproblematik

Doch auch der treueste Diener seiner Herren hat seinen Stolz und betont, dass die aktuelle Drogenpolitik ganz wesentlich in seinem Amt entwickelt worden sei. Er möchte auch den "Grosserfolg verbucht wissen, dass es uns gelungen ist, den Bundesrat hinter eine nationale Tabakpolitik zu bringen." Zeltner konstatiert: "Trotz aller Beschränkungen ist unser Gestaltungsraum gross."

Nun attestieren ihm tatsächlich etliche Drogenexperten ein starkes Engagement bei der Durchsetzung der staatlich kontrollierten Heroin-Abgabeprogramme. Zeltner habe zäh um diese Versuche gerungen, gar sein persönliches Prestige in die Waagschale geworfen und sich trotz heftigem Widerstand nicht kleinkriegen lassen. Doch dieselben Experten beschleicht auch ein Unbehagen, wenn sie Zeltners allgemeine Haltung zu illegalen Drogen benennen sollen. Ratlos bleiben sie nach Gesprächen mit ihm zurück und wissen nicht recht, wie er sich zu den beiden Volksbegehren "Jugend ohne Drogen" beziehungsweise zur Legalisierungs-Initiative "DroLeg" stellt.

Nachdem der Zürcher DroLeg-Aktivist Francois Reusser und einige Kollegen ihr drogenpolitisches Anliegen vor der nationalrätlichen Kommission vorgestellt hatten, trafen sie in der Wandelhalle des Bundeshauses auf Zeltner, der strahlend auf sie zusteuerte, "mit der Absicht", so vermutet Reusser, "uns ein Kompliment zu machen." Als just in jenem Moment einige bürgerliche Parlamentarier neben ihnen auftauchten, habe Zeltner "blitzartig" seine Absicht geändert und sie nur noch mit einem knappen "Grüezi" bedacht. Eine Anekdote - vielleicht auch mehr.

Befragt zu den Drogen-Initiativen, gibt sich Zeltner diplomatisch und bundesrats-konform. Beide Begehren seien "inakzeptabel", wobei er die Legalisierungs-Initiative für die "intellektuell interessantere" halte.

Wesentlich forscher und dezidierter tritt er jeweils dann auf, wenn es um den Kampf gegen den Nikotinmissbrauch geht. Keine andere Einzelmassnahme, erklärt er, wäre so geeignet, der Volksgesundheit längerfristig zu nützen wie die Reduktion des Zigarettenkonsums. Dreissig Nikotintote pro Tag bedeuteten eine Katastrophe, die unermessliches Leid verursache.

Das BAG als rauchfreie Zone

Mit fast schon missionarischem Eifer trat Zeltner denn auch 1993 im Jahr des 100jährigen BAG-Bestehens an die Öffentlichkeit und erklärte sein Amt zur rauchfreien Zone. Er focht für einen vier Millionen Franken schweren Tabak-Kredit, der sich angesichts der jährlich rund 100 Millionen in die Zigaretten-Werbung investierten Franken regelrecht läppisch ausnahm und für den er dann noch "mehrfach gestraft" wurde. So verknurrte das Parlament das BAG in der Folge zu millionenschweren Abstrichen und Kompensationen im Bereich der Aidsprävention und Heroinabgabe-Programme.

Eine weitere Niederlage musste er einstecken, als die Zwillingsinitiativen, die ein Werbeverbot für Alkohol und Tabak forderten, im Herbst 1993 massiv verworfen wurden. Zeltners Tabak-Bilanz ist mager, und ernüchtert gibt er zu, "dass der Kampf gegen die Tabaklobby härter ist, als ich erwartet habe." Zäh hält er dennoch daran fest, dass die Existenz "einer nationalen Tabakpolitik" als Erfolg zu werten sei. Hartnäckig besteht er darauf, dass auch in den neuen, jetzt dann einzugsbereiten Räumlichkeiten des BAG in Bern-Liebefeld ein Rauchverbot gelten werde. Da ficht David gegen Goliath, mit ungleichen Spiessen zwar, dafür aber mit beachtlichem Enthusiasmus.

Der Kampf gegen den Nikotin-, genauso wie jener gegen den Alkoholmissbrauch, der amtsintern in Vorbereitung ist, legitimiert sich bei 10 000 Nikotin- und 3000 Alkoholtoten pro Jahr praktisch von selber. Sehr viel mehr Mühe bekundet Zeltner im Umgang mit dem Rinderwahnsinn beziehungsweise der Creutzfeld-Jacob-Erkrankung, zu denen gesicherte Erkenntnisse nach wie vor fehlen. Kritiker wie Hansruedi Strauss, stellvertretender Direktor des BAG, monieren, dass mit der überstürzten Einführung einer Deklarationspflicht für Lebensmittel in Restaurants nicht viel mehr als eine "Beruhigungspille für die verunsicherte Bevölkerung" abgegeben worden sei.

Zeltner selber, sagen andere, habe im "Club" des Schweizer Fernsehens "um den heissen Brei herumgeredet" und nichts zur Aufklärung beigetragen. Bemerkenswert sei einzig sein Kniefall vor Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga gewesen, die es im Rahmen dieser TV-Sendung immerhin geschafft habe, dem BAG-Direktor das Versprechen zur Einführung der Deklarationspflicht abzuringen.

Zeltner gilt als Verwalter

Überhaupt sei der Problemkreis BSE zwar bereits anfangs der neunziger Jahre erkannt, aber in der Folge verharmlost und "ausgesessen" worden. Erst in dem Moment, in dem BSE zum internationalen Politikum geworden sei, habe man sich auch in Bern genötigt gefühlt zu reagieren.

Zeltner gilt als Funktionär und Verwalter. Woran es ihm allerdings mangle, seien Visionen. So sei die Stop-Aids-Kampagne mit Sicherheit in guten Händen bei ihm, wie Marcello Schumacher, Delegierter für Aidsfragen in Basel-Stadt, festhält; andererseits vermisst Schumacher aber klare Bekenntnisse zur gesellschaftlichen und rechtlichen Integration von Minderheiten wie Prostituierten, homosexuellen Männern und Frauen und Menschen mit HIV und Aids. Wie - fragen andere - soll die Prävention, Zauberwort jeder Suchtpolitik, konkret aussehen? Was sind seine Absichten in Sachen Gentechnologie? Wo bleiben die tragenden Elemente einer nationalen Gesundheitspolitik?

Doch zur Beantwortung dieser Fragen fehlen dem BAG-Direktor, der heute schon 70 Stunden pro Woche arbeitet und als Workaholic gilt, ganz offensichtlich die Zeit und die Musse. Denn nebst tagesaktueller Einsätze wie denjenigen zu BSE und der Bewältigung langfristiger Projekte wie Gesetzesrevisionen, ist Zeltner zusätzlich mit internen Restrukturierungen, Organigramm-Wechseln und personalpolitischen Entscheiden belastet. Das Bonmot, ob es eigentlich jemals eine Phase in der Aera Zeltner gegeben habe, in der nicht umstrukturiert worden sei, hält sich hartnäckig. Vor wenigen Wochen erst hat die Reorganisation "Perspektive" ihren Abschluss gefunden, in deren Rahmen es zu einer Umstrukturierung des gesamten Amtes, zur Schaffung neuer Abteilungen und vier neuer Vizedirektoren-Posten gekommen ist.

Gleichzeitig wurde ruchbar, dass Ursula Ulrich, die bisherige Vizedirektorin des BAG, zur Leiterin der neugeschaffenen Fachstelle "Gesundheit und Umwelt" degradiert worden sei. Die Fluktuation im BAG gilt als hoch. Während die einen wie Ulrich den Anforderungen ihrer Stellen nicht gewachsen seien, rieben sich andere an "unmöglichen Personalkonstellationen" auf und würden von sich aus kündigen. Zeltners Personalpolitik gibt immer wieder Anlass zu Kritik. Man bemängelt, dass er Mitarbeiter, deren Leistungsausweis mehr als dürftig sei, "mitschleppe", statt sich ihrer endlich zu entledigen. Da ist die Rede von mangelndem Entscheidungswillen, aber auch fehlender Courage, "sich einmal unbeliebt zu machen."

Mit der Ernennung von Paul J. Dietschy, dem bisherigen Leiter der Abteilung "Pharmazie", zum neuen Vizedirektor für den Bereich "Heilmittel" ist Zeltner in besonderem Mass auf Unverständnis, ja, Ablehnung gestossen. Obwohl er sehr wohl weiss, "dass die Beurteilung von Herrn Dietschy sehr divergent ist", stellt sich Zeltner hinter "seinen Mann" und lobt dessen "exzellente Arbeit, insbesondere auch auf internationalem Parkett." Drogenexperten aus der ganzen Schweiz, die im Rahmen der Heroinabgabe-Programme viel mit Dietschy zu tun haben, schütteln nur den Kopf.

Viel bürokratischer Leerlauf

Selbst Felix Gutzwiller, der Leiter des Zürcher Instituts für Sozial- und Präventivmedizin, der grosse Stücke auf die fachlichen Qualitäten seines Kollegen Zeltner hält, moniert, dass es dem BAG-Direktor "an einem kohärentem Führungsstil fehlt". Amtsintern beklagt man sich auch über "zu viel bürokratischen Leerlauf", über "sinnlose Jahresplanungen und Zielsteuerungen, die angesichts aktueller Erfordernisse und Probleme wie BSE mit einem Schlag gegenstandslos sind". Für Kritik dieser Art hat Zeltner gar kein Musikgehör. Da verneint er, behauptet das Gegenteil und gibt sich überzeugt, dass sein Amt zur Zeit einen "unheimlichen Innovationsschub erlebt".

Der smarte Direktor, der beim kleinsten Räuspern seines Gegenübers danach trachtet, Mineralwasser nachzuschenken, ist ein sehr kontrollierter Mensch. So gepflegt wie er sich seiner Umgebung präsentiert, so beherrscht führt er auch das Gespräch. An der Behauptung, er sei harmoniebedürftig, hat er allerdings zu beissen. Harmoniebedürftigkeit sei eine nationale Eigenschaft; da halte er es wie alle anderen Schweizer. Später greift er das unliebsame Thema nochmals auf und gibt die Unvereinbarkeit eines Oberst, der harmoniebedürftig sein soll, zu bedenken.

Nahezu heftig wird er, als er seine Schaffenskraft in Zweifel gezogen sieht. Als es heisst, er sei womöglich "am Anschlag" oder "arbeite wie ein Wahnsinniger", kommt die Replik wie aus der Pistole geschossen: Er fühle sich sehr komfortabel auf seinem Posten und pfeife keineswegs aus dem letzten Loch. Zeltner legt grossen Wert darauf, alles im Griff zu haben.

Wer ihn besser kennt, weiss, dass er mit zunehmender Distanz zu seinem Amt entspannter, ja, regelrecht ausgelassen reagieren kann. Auf Auslandsreisen, heisst es, sei er mitunter richtig locker und lasse seinen zweifellos vorhandenen Witz sprühen. Vielleicht liegt hier auch der Grund, warum sich Zeltner seine berufliche Zukunft viel eher im Rahmen einer internationalen Gesundheits-Organisation als in den Amtsstuben des BAG vorstellen kann.

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© Barbara Lukesch