Kommunikationskiller

Konversation / Mai 1998, "Sonntags-Zeitung"

Symbolbild zum Thema Gewalt

Gesprächsrunden entpuppen sich immer häufiger als Kriegsschauplätze, auf denen Kommunikationskiller wüten.

Wer kennt nicht diese Situation: Man ist eingeladen und freut sich auf einen lockeren Abend mit gutem Essen und ebensolcher Unterhaltung. Die Aufwärmrunde beim Aperitif haut noch einigermassen hin - alle sind ein wenig nervös, die Unterhaltung kommt eher schleppend in Gang. Dann ruft die Gastgeberin zu Tisch. Es folgt ein schönes Lob für den ersten Gang, und die Unterhaltung gewinnt allmählich an Fahrt. Nach weiteren fünf Minuten sind die Weichen für den ganzen Abend gestellt - zur höchsten Befriedigung der einen, zum abgrundtiefen Ärger aller andern.

Die Kommunikationskiller haben Hochsaison. Sie treten überall und immer häufiger auf - bei Einladungen, am Telefon, beim Marktstand, in Bars und am Arbeitsplatz. Sie laugen mit ihren Marotten ihre Gegenüber aus, verursachen Frust und wecken Aggressionen. Das einzig gute an ihnen: man kann sie erkennen und in zehn Kategorien katalogisieren: 


1. Die schwarzen Löcher
Schwarze Löcher sind Menschen, die gedanklich und energiemässig immer an einem anderen Ort sind. Sie erwecken den Eindruck, dass nahezu nichts sie wirklich interessiert und ihnen Leben einhauchen könne. Wer sich trotzdem mit ihnen einlässt, läuft ständig ins Leere und fällt über kurz oder lang in ein schwarzes Loch. Mitmenschen, die zu Selbstzerfleischung neigen, sind besonders gefährdet. Gibt doch die Begegnung mit einem schwarzen Loch den perfekten Nährboden ab für jene, die immer schon wussten, dass sie nichts von Bedeutung zu sagen haben. Wer ungewarnt an ein schwarzes Loch gerät, möge es nach spätestens fünf vergeblichen Versuchen sein lassen, an seinem Gegenüber hochzuspringen wie ein aufgeregter junger Hund an seinem Meister - und das Feld kommentarlos räumen. Denn der Energieaufwand steht in keinem Verhältnis zum mageren Ertrag.

2. Die schwarzen Löcher am Telefon:
Wer das groteske Pech hat, ein schwarzes Loch am anderen Ende des Telefons zu haben, macht sich besser auf das Allerschlimmste gefasst. Landläufige Gepflogenheiten in Sachen Kommunikation kann man glatt vergessen. Bringt jeder normale Mensch mittels bekannter Kurzformeln ("mmh", "ah ja", "wau") zum Ausdruck, dass er noch am Draht ist und zuhört, schweigt das schwarze Loch beharrlich - wenn es denn sein muss, fünf Minuten lang. Unter solchen Umständen unbeeindruckt weiterzureden, gelingt in der Regel höchstens Egozentrikern, die ähnlich schwer gestört sind wie das schwarze Loch.

3. Die egozentrische Dampfwalzen:
Egozentrische Dampfwalzen lauern überall. Gnadenlos überrollen sie ihre Umgebung mit Fakten, Erlebnissen und Erfahrungen; schildern Details, die kein Mensch wissen will, verlieren sich in Schnörkeln und Schlenkern, die die Geduld jeden Zuhörers auf's Äusserste strapazieren; fügen Satz eng an Satz, so dass selbst mit dem schärfsten Messer kein Durchkommen ist, und walzen alle Versuche, auch einmal das Wort zu ergreifen, gewaltsam nieder. Wenn ihnen nach viertelstündigen Vorträgen die Luft kurzfristig wegzubleiben droht, wenden die wirklich grossen Dampfwalzen eine Spezialtechnik an: Unmittelbar ans Ende der einen Botschaft stossen sie die šbergangsformeln "item" oder "wie auch immer" aus, holen gleichzeitig Atem und setzen ihren kommunikativen Eroberungsfeldzug fort. Verbaler Widerstand ist zwecklos. Falls man noch Kraft hat: Aufstehen und gehen! Da ist der wehrlose Telefonbeantworter schlechter dran, der mitunter sein Letztes (an Aufnahmekapazität) hergeben muss, wenn ihm eine echte Dampfwalze ihre zwanzigminütige Nachricht aufdrückt.

4. Die terroristischen Besserwisser:
Dampfwalzen machen ihre Mitmenschen flach, terroristische Besserwisser treiben sie an die Decke. Grauenhaft für die Opfer ist beides. Besserwisser eröffnen jeden Satz mit "Nein", auch wenn sie ihrem Vorredner für einmal zustimmen. Variationen, derer sie sich bedienen, sind "aber", "es ist doch so, dass", "das muss man anders sehen", "da liegst du falsch", "dabei vergisst du, dass". Sie sind beseelt von ihrer vermeintlichen intellektuellen Potenz, ihrem unerschöpflichen Wissen - meist ein Verschnitt aus allerlei Angelesenem - und ihrer Weitsicht. Ihre kommunikative Kompetenz aber endet nicht selten am Gartenzaun eines mageren Egos. Sie merken einfach nicht, dass sie ihrer Umgebung mit ihrem aufgeblasenen Klugschiss auf den Wecker gehen.

5. Die notorischen Oberlehrer:
Anders als die Besserwisser, denen es vor allem darum geht, das letzte Wort zu haben, will der Oberlehrer vor allem eins, nämlich ausgiebig dozieren. Sagt jemand "Chianti", gibt er ein Kapitel aus der italienischen Weinkunde zum Besten. Hat seine Frau eine Wimper im Auge, klärt er die Tischrunde über den Sinn und Zweck dieses Haartypus auf. Die grösste Gefahr für seine Umgebung besteht immer dann, wenn sein Berufsfeld berührt wird. Der Biologe ist nicht mehr zu halten, wenn er eine Entenmutter mit ihren Jungen sieht. Der Geologe dreht auf, wann immer ein Stein am Wegrand liegt. Beliebt sind die Oberlehrer nur bei kleinen Kindern, denen nichts über eine Geschichte geht.

6. Die penetranten Fragesteller:
Auf den ersten Blick gehören jene Zeitgenossen, die ihre Umwelt stets mit einer Kaskade von Fragen überziehen, zu den sympathischeren Gesprächspartnern. Nach einer Woche in Gesellschaft von schwarzen Löchern, Dampfwalzen und Besserwissern ist es tatsächlich ein Genuss, wieder einmal als Mensch zur Kenntnis genommen und einer Aussage für würdig befunden zu werden. Doch alles hat seine Grenzen. Wenn die Fragen stakkatomässig auf einen niederprasseln, und man nicht mehr dazu kommt, einen Satz zu Ende zu sprechen, hört der Spass auf, und man beginnt zu realisieren, dass auch die freundlichsten Fragen ein Gewaltpotential bergen: Sie unterbrechen einen so nachhaltig, dass auch der geduldigste Mensch verstummt. Die hyperkommunikativen Wölfe im Schafspelz lassen grüssen.

7. Die leicht Ablenkbaren:
Viele Hausfrauen und Mütter darben abgeschnitten vom Puls des gesellschaftlichen Lebens in ihren vier Wänden. Erschöpft vom täglichen Kleinkrieg sind sie nicht länger in der Lage, sich intellektuell ihrem Alter gemäss zu betätigen. Frustriert wie sie sind, verwandeln sie sich eines Tages zu Racheengeln der Kommunikation, die jede Unterhaltung killen, und zwar auf besonders perfide Art. Wer sich frohgemut auf ein Gespräch mit einem Exemplar dieser Spezies einlässt, muss wissen, dass es jede Gelegenheit beim Schopf packen wird, um sich ablenken zu lassen, um dem Gegenüber latent aggressiv die Aufmerksamkeit zu entziehen. Das Vertrackte daran: Fast immer sind es die lieben Kleinen, die Muttis Zuwendung real oder auch nur vermeintlich beanspruchen. Und wer wollte schon etwas dagegen sagen, wenn sich eine fürsorgliche Mutter ihrer Zöglinge annimmt? Ein nahezu unlösbares kommunikatives Dilemma, dem sich nur Weichherzige oder besonders Hartgesottene mehr als einmal aussetzen.

8. Die Unredlichen:
Nicht selten agieren die Unredlichen telefonisch. Auf die simple Einstiegsfloskel "Wie geht's?" antworten sie im Brustton der Verzweiflung mit "grauenhaft" oder "scheusslich" und stürzen damit jeden normalen Menschen in einen Abgrund von Besorgnis. šberempfindliche Seelen, die sich für alles Elend auf dieser Welt verantwortlich fühlen, versinken im Nu in ihrem schlechten Gewissen. Postwendend öffnen sich den Unglücklichen alle Ohren und Herzen; therapeutische Alarmbereitschaft wird signalisiert: "Erzähl, was ist denn passiert?" Was nun folgt, ist in der Regel eine läppische Bagatelle, ein kleines Ärgernis oder ein alltäglicher Zwischenfall - eigentlich nicht der Rede wert. Bedeutsamer ist, dass die Gesprächsrollen zu diesem Zeitpunkt bereits klar verteilt sind; irreversibel steht fest, wer die nächste halbe Stunde sprechen und wer zuhören wird. Nach Beendigung des sogenannten Gesprächs verspürt der fügsame, fürsorgliche Zuhörer sehr häufig das Bedürfnis, wutentbrannt mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.

9. Die Sauglatten:
Witz lass' nach. Begegnungen mit einem sauglatten Zeitgenossen hinterlassen Spuren. Nach einer längeren Unterhaltung mit einem solchen Menschen, der seine wahre Bestimmung darin sieht, seine Umwelt über einen regelrechten Hindernisparcours an Witzen zu jagen, muss mit zeitweiliger Versteifung der Gesichtsmuskulatur gerechnet werden. Wer eine šberdosis an Kalauern, Possen und Scherzen abbekommt, ist definitiv erledigt. Die ersten zwei, drei Scherze lassen wir uns ja noch gefallen. Je lauter allerdings unser Gesprächspartner über seine eigenen Bon-Mots lacht, desto grösser wird unser Unbehagen. Spätestens beim vierten Ulk bleibt uns das Lachen im Hals stecken. Wir produzieren ein mühevolles schiefes Grinsen. Mit der Zeit tut uns dann alles weh: Backenmuskeln, Kiefermuskeln, Kopf, Herz, Arme und Beine. Sauglatte Menschen schaffen nur eines: sie strengen unglaublich an.

10. Die Monothematischen:
Menschen mit schweren Schicksalen sind arm dran und verdienen Mitgefühl. Wer wollte das bestreiten! Menschen, die grosse Leistungen vollbracht haben, sollen geehrt und mit Anerkennung bedacht werden. Keine Frage. Dass beide aus ihrer Lebenslage allerdings auch das Recht ableiten, jede Unterhaltung, die sich auch nur kurz von ihrer persönlichen Geschichte entfernt, instinktsicher und zielstrebig wieder dorthin zurückzuführen, weckt Missmut und Ungeduld. Welches Thema eine Tischrunde auch immer anschneidet, stets finden die Monothematischen eine Querverbindung zum eigenen Schicksal ("Was du da sagst, erinnert mich an ein Erlebnis in meiner Jugend"), das sofort und immer wieder ins Zentrum rückt. Woher diese Menschen die Gewissheit nehmen, ihre Geschichten seien die bedeutendsten, bleibt wohl immer unergründlich.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

© Barbara Lukesch