Verhandlungen ohne Verlierer

Harvard-Konzept / 14. Januar 2004, "Handelszeitung"

Symbolbild zum Thema Karriere

Verhandeln ist eine Tätigkeit, die unser ganzes Leben beherrscht. Sei es im beruflichen Umfeld, innerhalb der Politik oder auch im privaten Rahmen - tagtäglich unternehmen wir den Versuch, auf dem Verhandlungsweg unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen.

Im Wissen um die Relevanz der kommunikativen Fähigkeit "Verhandeln" investierten kürzlich zehn Manager und drei Managerinnen aus grossen und mittleren Unternehmen knapp zweieinhalb Tage und besuchten das Seminar «Professionell verhandeln nach dem Harvard-Konzept», das vom Verhandlungsberater und Mediator Ulrich Egger geleitet wurde.

Das Besondere am Harvard-Konzept liegt darin, dass es den Kompromiss als herkömmliches Verhandlungsziel überwindet und echte Win-Win-Lösungen sucht, die unterschiedliche individuelle Bedürfnisse aller Beteiligten im Idealfall optimal befriedigen. Wer wollte das nicht. Doch wie lassen sich derart hohe Ziele im Alltag erreichen?

Seit knapp 20 Jahren wirkt Egger gemeinsam mit seinen Partnern als europaweit einziger Repräsentant des so genannten «Harvard-Verhandlungsprojekts». Damit ist er berechtigt, die Verhandlungsmethode offiziell zu lehren und zu verbreiten, an der er im Laufe der Zeit Erweiterungen und Ergänzungen vorgenommen hat.

Kreiert wurde die Methode ursprünglich von dem amerikanischen Harvard-Professor Roger Fisher, dessen Buch «Das Harvard-Konzept» inzwischen zum millionenfach verkauften Standardwerk geworden ist.

Verhandlungen nach dem Harvard-Konzept basieren auf einer Reihe von Prinzipien, die erstaunlich einfach und gut nachvollziehbar sind. In Fallstudien und Rollenspielen, ergänzt um theoretischen Input, führte Egger seine Seminargruppe an den Kern des Konzepts heran.

Verhandeln über die Gage an der Oper

Nelly Nachtigall ist eine alternde Opernsängerin, die in den vergangenen Jahren nur noch zweitklassige Rollen erhielt. Als die junge Star-Sopranistin einer bereits angekündigten Aufführung des Opernhauses erkrankt, sieht sich der Direktor gezwungen, Nelly Nachtigall zu verpflichten. Die beiden treffen sich und verhandeln über die Gage. In Kenntnis dieser Ausgangslage spielen die Kursteilnehmenden in Zweiergruppen je eine fiktive Verhandlung. Im Plenum analysieren sie anschliessend die entscheidenden fünf Schritte des Verhandlungsprozesses:

1. Beziehungsprobleme unter den Verhandelnden müssen ernst genommen und vorrangig, aber getrennt von den Sachfragen behandelt werden. Die Vertrauenswürdigkeit aller Beteiligten gilt als zentraler Schlüssel zum Erfolg. Nelly Nachtigall und der Direktor sollten also zunächst allfällige Ressentiments oder Unstimmigkeiten ausräumen.

2. Ebenso wichtig ist die Konzentration beider Parteien auf ihre je individuellen, aber auch gemeinsamen Interessen. Häufig beziehen vermeintlich starke Verhandler zunächst einmal Position («Ich will 60000 Fr. Gage») und provozieren damit auf der Gegenseite ebenfalls einen Positionsbezug. («Ich kann aber nur 40000 Fr. bezahlen.»)

Die Folge sind Gerangel, Feilschen, faule Kompromisse und schlechte Gefühle beim Auseinandergehen. Würde der Direktor stattdessen zu ergründen suchen, welches Interesse Nelly Nachtigall leitet, erführe er möglicherweise, dass ihr an einem Come Back und/oder einer beruflichen Zukunftssicherung mehr gelegen wäre als an einer einmaligen Zahlung von 60000 Fr.

3. Auf diesem Hintergrund liessen sich gemeinsam Optionen, das heisst Lösungsvorschläge, erarbeiten, die letztlich den Bedürfnissen beider sehr viel besser entsprechen. Dazu muss der «Verhandlungskuchen» erweitert werden. Statt sich ausschliesslich auf die Höhe der Gage zu fixieren, könnte der Direktor der Sängerin ein zusätzliches Engagement im nächsten Jahr in Aussicht stellen oder ihr ein Stellenangebot als Ausbildnerin des Nachwuchses unterbreiten.

4. Sollte der Konflikt um die Höhe der Gage trotzdem noch nicht beigelegt sein, könnten so genannte «objektive» oder «neutrale» Kriterien herangezogen werden, das heisst, allgemein gültige Normen und Werte, die für alle Beteiligten Gültigkeit haben. Nelly N. könnte zum Beispiel auf die Gagen-Entwicklung der letzten vier Jahre oder die branchenübliche Entlöhnung der ersten Sopranistin verweisen und auf diesem Weg die Berechtigung ihrer Honorar-Forderung unterstreichen.

5. Gut beraten sind Verhandelnde, die sich im Vorfeld eine Alternative zur bestmöglichen Verhandlungsübereinkunft entwickeln. Konkret: Sollten Nelly Nachtigalls Gagenforderungen das Budget des Direktors sprengen, könnte er den riskanten Schritt wagen und einer Nachwuchssängerin aus dem eigenen Haus eine Chance geben. Im Wissen um diese Alternative würde er mit Sicherheit gelassener verhandeln.

Am Ende dieses Seminarblocks realisieren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, dass die Suche nach «der» Lösung offensichtlich nichts bringt - und dass stattdessen Flexibilität, Kreativität und auch Mut zum Konfrontieren gefragt sind.

Nach zweieinhalb intensiven Seminartagen mit Videoanalysen und persönlichem Eingehen auf Praxisprobleme und -erfahrungen der Teilnehmer wird klar, dass es hier um viel mehr geht als um eine «einfache Methode», und man sieht künftigen Verhandlungen zuversichtlich entgegen. Von nun an gilt für die dreizehn Männer und Frauen: Learning by doing.

«Das Harvard-Konzept: Sachgerecht verhandeln, erfolgreich verhandeln. Das Standardwerk der Verhandlungstechnik.» Von Roger Fisher u. a. Campus Fachbuch, 2000.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

© Barbara Lukesch