Oben ohne

Frauen auf Chefetagen / September 2002, "Annabelle Business"

Symbolbild zum Thema Karriere

Männer sind in den oberen Etagen der Geschäftswelt die Norm und Frauen die Ausnahme, das andere Geschlecht eben, das - insbesondere, wenn es um Spitzenpositionen in unserer Wirtschaft geht - immer unter Beobachtung steht und sehr viel härter kritisiert wird. Auf diesem Hintergrund haben die Frauen in den letzten zehn bis zwanzig Jahren gleichwohl bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Sie stellen inzwischen rund dreissig Prozent der Unternehmenskader, zwei von sieben Mitgliedern des Bundesrats und besetzen beispielsweise in Zürich vier von neun Plätzen innerhalb der Stadtregierung. Sie ebnen sich ihren Weg an die Spitze, indem sie ihre männlichen Kollegen an den Gymnasien und in zahlreichen Studiengängen an den Universitäten zahlenmässig bereits überflügelt haben. Frauen ergreifen sogenannte Männerberufe und bewähren sich.

Gleichzeitig zeigte sich das Topmanagement, das nahezu vollständig aus Männern besteht, so angeschlagen wie noch nie. Die einst stolze Swissair kollabierte. Charismatische Führungsfiguren wie Rolf Hüppi von der "Zürich"- Versicherung wurden zum Rücktritt gezwungen; "Super"-Mario Corti verwandelte sich sozusagen über Nacht in den Buhmann der Nation.

Die Frauen fallen reihenweise

In einem solchen Moment wäre Umdenken ein Gebot der Stunde. Doch nach Aussagen von Fachleuten passiert das Gegenteil: Es herrsche "Backlash", heisst es unisono, der geschlechtsspezifische Rückschlag habe nun auch die Schweiz erreicht. Tatsache ist: Statt Frauen nun endlich vermehrt in die Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte hiesiger Unternehmen zu befördern, nimmt die Zahl der Firmenchefinnen und Topmanagerinnen sukzessive ab. Aussichtsreiche Kandidatinnen sind kaum in Sicht. Alice Stümcke ist nicht länger Chefin von Tela. Esther Girsberger hat den Zürcher "Tages-Anzeiger" verlassen, Carol Franklin den WWF. Catherine Stalker, CEO der Balair/CTA, wurde zum Restrukturierungs-Opfer. Der Swiss Re ging ihre Spitzenfrau Heidi Hutter verloren, die gemäss offizieller Sprachregelung "selber gekündigt hat." Unvergessen ist auch das unrühmliche Ende von Expo-Chefin Jacqueline Fendt. Vergeblich sucht man nach einer Frau im frisch gewählten Verwaltungsrat der Swiss.

Gisèle Girgis, Marketing-Direktorin der Migros, reibt sich den Kopf seit langem an der berühmten gläsernen Decke, jener zwar durchsichtigen, aber für Frauen dennoch undurchdringlichen Trennwand zwischen mittlerem Management und Unternehmensspitze.

Jene Ausnahmeerscheinungen, die es dennoch bis ganz nach oben geschafft haben wie Börsen-Chefin Antoinette Hunziker oder die Zürcher Polizeidirektorin Esther Maurer, befinden sich in einem gnadenlosen Härtetest. Interessiert schaut die Öffentlichkeit zu, wie die beiden mitunter verzweifelt strampeln, und fragt cool: "Wie lange noch?" Bereits suspendiert wurde im Frühsommer die Zürcher Kripo-Chefin Silvia Steiner, der die übergrosse Loyalität zu ihrem Ehemann, der stark alkoholisiert in einen Autounfall geriet, zum Verhängnis wurde. Alt-Bundesrätin Elisabeth Kopp lässt grüssen.

Wie rauh das Klima an der Spitze für Frauen sein muss, zeigt nicht zuletzt auch die Antwort von Girgis auf eine Interview-Anfrage der "Annabelle Business": "Frau Girgis lässt ausrichten, dass sie bis heute konsequent nie zu Frauenfragen Stellung bezogen hat und dies auch weiterhin nicht zu tun gedenkt." In einem ähnlichen Sinne beschied Carla del Ponte, Chefanklägerin des Uno-Kriegsverbrechertribunals, die Sonntagszeitung: "Ich lege keinen grossen Wert auf die Geschlechterfrage". (16. Juni 2002) Solche Reaktionen erstaunen Zita Küng von der Agentur für Gender Mainstreaming "Equality" nicht: "Weil Frausein trotz anderslautender Lippenbekenntnisse innerhalb des Topmanagements als deklassierende Grösse gilt, will sich keine auf dieser Frage profilieren und damit in die Frauenecke abdrängen lassen."

Wollen Frauen gar nicht nach oben?

Damit liefert Küng denn auch eine der möglichen Erklärungen, warum Frauen an den Firmenspitzen so dünn gesät sind. Zukunftsforscherin Monique R. Siegel ergänzt: "Frauen erleben die Management-Welt als fremde Welt, in der sie weder ihre Sprache sprechen noch ihren Humor ausleben können." Unter diesen Umständen seien sie erst recht nicht bereit, ihre Gesundheit und Ehe auf's Spiel zu setzen und mehrere Wochen pro Jahr in Hotelzimmern oder auf Flughäfen zu versauern, nur um eine Karriere voranzutreiben, die sie gar nicht glücklich macht.

Kurz: Die Frauen selber wollen offenbar gar nicht nach oben. Esther Girsberger jedenfalls, die zwei Jahre lang "Tages-Anzeiger"-Chefredaktorin war und Einsitz in der Geschäftsleitung hatte, will den Stress der Führungsverantwortung auf höchster Ebene nicht noch einmal erleben: "Als eine der wenigen Frauen an der Spitze wird man ununterbrochen beobachtet und in den Medien kritisiert. Um das auszuhalten, bin ich zu dünnhäutig."

Anderen macht nach wie vor die Unvereinbarkeit von Kind und Karriere einen Strich durch die Rechnung. Wobei zu bedenken ist, dass die Topmanagerinnen heute gar nicht erst Mutter werden oder ihr Einzelkind so spät auf die Welt stellen, dass ihre berufliche Laufbahn bereits so weit gediehen ist, dass sie von diesem privaten Ereignis unbeeinträchtigt bleiben könnte.

Es muss also noch andere Gründe geben, warum Frauen trotz millionenschwerer Förderprogramme und Gleichstellungsprojekte nach wie vor nicht Firmenchefin oder Verwaltungsratspräsidentin werden. "Heute sind die Mechanismen, die Frauen am Durchstossen der gläsernen Decke hindern, sehr viel subtiler geworden", konstatiert Elisabeth Michel-Alder, Unternehmensberaterin und Begründerin der Chancengleichhheits-Initiative "Taten statt Worte".

Subtile Beeinträchtigungen

So stellt sie beispielsweise fest, dass sich männliche Unternehmensverantwortliche "spontan mit den Gatten und Kindern jener Managerinnen solidarisieren, die die Firma eigentlich zu einem internationalen Kongress oder gar zu einem mehrjährigen Auslandaufenthalt in die USA schicken könnte." Ohne die betroffene Frau zu kontaktieren, gehe man davon aus, dass deren Familie ihre berufsbedingte Abwesenheit oder gar den Landeswechsel nicht wünsche, und hindere sie damit an karrierefördernden Entwicklungsschritten.

Beeinträchtigungen ähnlich subtiler Art erfahren Frauen auch deshalb, sagt Michel-Alder, "weil Expertentum und Autorität nach wie vor eindeutig mit Männlichkeit verknüpft wird." Doris Aebi, Direktorin bei Björn Johansson Associates, einer international tätigen Executive Search Firma, hat dieses Phänomen auch schon beobachtet: "Bei Geschäftskontakten in Begleitung eines Mannes müssen Frauen damit rechnen, dass ihnen automatisch eine Sekretariats- oder Assistenzfunktion zugeordnet wird." Sie selber habe schon erlebt, dass sich das Verhalten ihr gegenüber plötzlich geändert habe, als sie ihre Visitenkarte mit Doktortitel und Funktion vorgewiesen habe, oder erst später: "Auf Grund meines konkreten Leistungsausweises."

Nun sind sich allerdings die Frauen selber oft nicht bewusst, in welch hohem Masse sie am Arbeitsplatz vertraute, aber auch einschränkende Frauenrollen übernehmen. Die eine bemuttert ihren Chef, die andere erfreut ihn als brave strebsame Tochter und ist sein ganzer Stolz, die dritte geht mit ihm ins Bett und glaubt, nur so ihre Karrierechancen wahren zu können. "Frauen müssen endlich lernen, sich und ihren Fähigkeiten zu vertrauen", sagt die Zürcher Headhunterin Rita Baechler, "statt sich als ‚Mama' oder ‚Töchterli' Sympathiepunkte zu holen."

Diese Rollen sind immerhin bekannt und dazu noch gesellschaftlich positiv bewertet. Wer sich ihnen verweigert, ist innerhalb der Wirtschaftswelt schnell einmal mit widersprüchlichen und höchst verwirrenden Rollenerwartungen konfrontiert. Dass der Top-Manager tough und durchsetzungsstark sein muss, ist unbestritten. Tritt allerdings die Direktorin so auf, hört sie prompt: "Das hätte ich nie von dir erwartet." Die Frau wird für ein Verhalten mit Liebesentzug bestraft, das ihrem Kollegen Punkte bringt und beim Erklimmen der Karriereleiter hilft.

Doppelter Aufwand ist nötig

Wie lösen Frauen das Dilemma? "Sie überkompensieren den vermeintlichen Makel", erklärt Sabina Littmann-Wernli, Oberassistentin am Institut für Wirtschaftsforschung an der ETH Zürich, "indem sie das Mehrfache ihrer männlichen Kollegen leisten." Das müssen sie auch. Die aktuelle Studie zweier schwedischer Mikrobiologinnen ergab nämlich: "Frauen mussten zweieinhalbmal so viele Publikationen wie ein männlicher Bewerber aufweisen, um ihre wissenschaftliche Kompetenz belegen zu können."

Darüber hinaus bewegen sich Frauen im Management auf einem von Männern dominierten Spielfeld, dessen Regeln sie nicht beherrschen können oder wollen. Offiziell seien, so Gleichstellungs-Expertin Küng, "die Olympischen Spiele" angesagt: "Die Besten sind oben und verdienen zu recht am meisten." Während sich die Frauen an diesen Regeln orientieren, "sich schier zu Tode krampfen und wundern, warum sie trotzdem nicht hochkommen, spielen Männer inoffiziell längst ein anderes Spiel, in dem nur Ausstechen, Ellenbogen Ausfahren und Übervorteilen Erfolg verheisst".

Unterstützung holen sie sich dabei in ihren über die Jahrzehnte gefestigten Netzwerken, den berühmten "Old Boys Networks" wie den Rotarier- oder Lions- Clubs, den Zünften, MBA-Absolventen-Treffen, in Bars, Nachtklubs, je länger je mehr auch auf dem Golfplatz, wo die wichtigen Deals eingefädelt und oft bereits entschieden werden.

Frauennetzwerke hingegen, sagt die Zürcher Organisationsberaterin Rosmarie Welter-Enderlin, wirkten auf sie "oft handgestrickt, unergiebig und fruchtlos". Während sich die Männer an ihren "hochstrukturierten, hierarchisch organisierten Treffen heisse Tipps geben, wichtige Beförderungen vorspuren und ihre Schützlinge protegieren, reden Frauen stundenlang über alles, nur nicht über Macht, und schnappen sich zuguterletzt noch die Aufträge weg."

Das Problem der Stutenbissigkeit

Frauen, die an die Spitze wollen, müssen tatsächlich damit rechnen, dass sie auch auf seiten ihrer Kolleginnen nicht nur auf Solidarität stossen, sondern mitunter auch mit Missgunst, gern Stutenbissigkeit genannt, konfrontiert sind. Entscheidender aber dürften die bewussten oder oft auch unbewussten Störaktionen ihrer männlichen Umgebung sein, die darin gipfeln, eine Berufskollegin öffentlich abzuwerten, lächerlich zu machen und auszugrenzen.

Esther Girsberger erlebte immer wieder, dass die männlichen Geschäftsleitungsmitglieder ihre Informationsmacht ihr gegenüber ausspielten und damit ihre Entscheidungskompetenz beeinträchtigten. Oder dass der Vorsitzende ihr - insbesondere in wichtigen Sitzungen - als Letzte das Wort gab, "zu einem Zeitpunkt", erinnert sie sich, "wo eh schon alles gesagt war." Carol Franklin passiert es immer wieder, dass sie an einer Sitzung einen Redebeitrag leistet, der von den anwesenden Männern übergangen wird, drei Minuten später aber von einem Kollegen nochmals vorgetragen und in dem Moment allseits begrüsst wird. Elisabeth Michel-Alder wurde schon zum "klugen Mädchen"degradiert, während sich die Zürcher Stadrätin Monika Stocker während ihrem Wahlkampf um das Stadtpräsidium als "Stocker Moni" klein und niedlich reden lassen musste.

Wehe, wenn Frauen dann wirklich einmal ein Fehler unterläuft. Die deutsche Gesundheitsministerin Andrea Fischer war nach dem sogenannten "BSE-Skandal" erledigt, während Verteidigungsminister Rudolf Scharping, so Michel-Alder maliziös, "einen Bock nach dem anderen schiesst und immer noch im Amt ist."

Frauen, das ist bekannt, wird eindeutig mit einer geringeren Fehlertoleranz begegnet. Eine solche Reaktion hat mitunter nachvollziehbare Gründe. Da hat sich der Personalverantwortliche trotz internen Widerstand dafür stark gemacht, endlich eine Frau zu berücksichtigen. Und was passiert? Die neue Kollegin versagt und lässt auch ihn in einem ungünstigen Licht erscheinen. Statt sich nochmals auf derart unsicheren Grund zu begeben, bleibt man(n) künftig lieber wieder unter sich und geht auf Nummer Sicher.

Frauen sind Sand im Männergetriebe

Unter sich ist es vielen Männern sowieso viel wohler. Da wissen sie, woran sie sind. Sie lachen über dieselben Witze, haben Militärdienst geleistet und gelernt, Befehle auszuführen, sie tragen alle Anzug und Krawatte und können auch die Zeichen zwischen den Zeilen lesen. Frauen hingegen sind unberechenbar. Sie sind Sand im Getriebe und stören die eingeschliffenen Rituale mitunter nur schon dadurch, dass sie sich weigern, den technokratischen Firmenjargon zu benutzen. Weibliche Intuition im beruflichen Umfeld kann sogar Angst auslösen, "insbesondere bei stark rational orientierten Männern", sagt Headhunterin Doris Aebi. "Diese reagieren dann verunsichert, lassen ihre Netzwerke spielen und unternehmen alles, um ihr Gesicht und ihre Macht zu bewahren."

Oft allerdings genügt es dem Top-Manager schon, wenn eine attraktive, erfolgreiche, gutqualifizierte Kollegin, die zu allem hin noch Mutter ist, in sein Territorium eindringt, um ihr Steine in den Weg zu legen: "Angesichts der Ganzheitlichkeit ihres Frauenlebens", weiss Unternehmensberaterin Welter-Enderlin, "wird er mit der Eindimensionalität und Einsamkeit seiner Männerkarriere konfrontiert, und das erfüllt ihn mitunter mit riesigen Ressentiments."

Was die gläserne Decke noch bruchsicherer macht, ist die Tatsache, dass das Headhunting hierzulande fast genauso fest in Männerhand liegt wie der boomende Assessment-Bereich. Mit anderen Worten: An all den Schnittstellen, an denen über berufliche Qualifizierung und Rekrutierung entschieden wird, dominiert der männliche Blick und stellt die Kriterien auf, gemäss denen eine Handlung oder ein Verhalten hochgeschätzt oder abgewertet wird. Unter diesen Umständen kann es einer Frau zu ihrem Nachteil ausgelegt werden, dass sie in einem Gespräch mehr Fragen stellt als ein männlicher Mitbewerber. "Unsicherheit", konstatiert der Assessor, der es für souveräner hält, wenn jemand Aussage an Aussage reiht. Dabei weiss die Kommunikationsforschung heute, dass sich Frauen der Welt eher fragend nähern, jenseits von irgendwelcher Unsicherheit.

Das Feuer ist ausgegangen

Solche Erkenntnisse will Zita Küng mit ihren Gender Mainstreaming-Projekten, die auch die Männer einbeziehen und den Geschlechterdialog fördern, in die Unternehmen tragen. Momentan stösst sie hierzulande noch auf beträchtliche Skepsis. Das passt zum Backlash: "In der Chancenförderung", sagt Elisabeth Michel-Alder, "ist kein Feuer mehr." Da werden die vier Zürcher Stadträtinnen öffentlich als "nette Damenriege" abqualifiziert, und kein Mensch, staunt Monika Stocker, eine der vier, empört sich noch. Zahlreiche Grossfirmen schaffen ihre Gleichstellungsbeauftragten ab, doch dieser Akt ist keiner Zeitung noch eine Zeile wert. Statt dessen werde den Frauen, so Stocker, weisgemacht, es entwickle sich alles zu ihren Gunsten. Nun sei aber mal Schluss mit dem ewigen Gemeckere.

Diese Ansicht teilen zumindest die jungen Frauen bis dreissig, die das "Emanzengerede" noch nie ernst genommen haben. Ihre Karriere läuft tatsächlich rund. Wer gutqualifiziert ist, kommt locker voran. "Where's the problem?" fragen sie salopp und wenden sich ab, ohne zu ahnen, wie zäh und langlebig die gläserne Decke ist.


"Frauen, die Karriere machen, müssen Tonnen von Federn tragen"

Frauen arbeiten härter und besser als Männer, bis sie es in die Firmenspitze schaffen, sagt die Zürcher Professorin für Betriebswirtschaftslehre Margit Osterloh. Sie erwartet, dass immer mehr Frauen in die oberen Etagen vorrücken.

Frau Osterloh, glauben Sie immer noch daran, dass die Firmenspitzen eines Tages je zur Hälfte von Frauen und Männern besetzt sein werden?

Margit Osterloh: Es wird sehr lange dauern, bis wir diesen Zustand erreicht haben. Aber ich hoffe doch und denke auch, dass es nicht unmöglich ist.

Was müssen Frauen unternehmen, die bis ins Topmanagement vorstossen wollen?

Sie müssen glaubwürdig signalisieren, dass sie leistungsfähiger als ihre männlichen Kollegen sind.

Lässt sich denn Leistung in einem Unternehmen überhaupt so messen, dass sie vergleichbar wird?

Das ist das grosse Problem. Es fehlt an scharfen, objektivierbaren Leistungsmassstäben. Gäbe es sie, hätten wir nicht soviele "Nieten in Nadelstreifen", also Top-Manager, die versagen. Darum greift auch die Aufforderung an die Frauen, besser zu sein als die Männer, zu kurz. Entscheidend ist, dass sie ihre Vorgesetzten oder die Personalverantwortlichen davon überzeugen, dass sie besser als ihre Kollegen sind.

Wie schaffen Frauen das?

Indem sie zum Beispiel besonders lang arbeiten und ihre Arbeit sichtbar machen. Dazu müssen diese Frauen kommunizieren, dass sie keine Kompromisse zugunsten ihres Privatlebens machen, zum Beispiel indem sie klarstellen, dass sie auf Kinder verzichten. Sobald der Verdacht aufkommt, dass sie stärker familienorientiert als ihre männlichen Kollegen sind, sind sie im Nachteil. Legen Frauen einen sogenannt weiblichen Führungsstil an den Tag, wird ihnen das als Schwäche ausgelegt. Also müssen sie genauso tough auftreten wie Männer. Empirische Untersuchungen belegen, dass Frauen in Kaderpositionen diesem Anspruch tatsächlich genügen und sich dem männlichen Stil anpassen.

Werden wir konkret. Wieviele Frauen bekleiden hierzulande Führungsfunktionen?

An den Universitäten haben wir 8,1 Prozent Professorinnen. Das mittlere Kader setzt sich zu 33 Prozent aus Frauen zusammen. In den Topetagen sollen es gemäss einer Umfrage der "Berner Zeitung" 2,6 Prozent sein. Ähnlich sieht es in den Verwaltungsräten der grossen Unternehmen aus.

33 Prozent Frauen im mittleren Management - das klingt doch vielversprechend.

Das ist immerhin besser als früher. Aber 33 Prozent sind immer noch nicht 50 Prozent; und 50 Prozent muss das Ziel sein, weil wir inzwischen mehr als 50 Prozent Studentinnen haben. Das heisst, wir verfügen über ein Heer an gutausgebildeten Frauen und sind trotzdem noch weit entfernt von der Chancengleichheit.

Wie erklären Sie diese Entwicklung?

Vorgesetzte oder Personalchefs gehen davon aus, dass Frauen im Durchschnitt eine geringere Produktivität aufweisen als Männer. Sie unterstellen ihnen, nicht ganz zu Unrecht, dass sie mehr Zeit für den Haushalt und die Kinderbetreuung aufwenden müssen und ihre Stellen schneller wieder verlassen als ein Mann, wenn Kinder zu versorgen sind. "Sie geht ja doch wieder..." heisst der Standardspruch der Personalchefs, und prompt setzen sie wieder auf den vermeintlich sichereren Wert, nämlich den männlichen Kandidaten. Diese Argumentation, auch statistische Diskriminierung genannt, mag für den Durchschnitt aller Frauen ihre Berechtigung haben. Sie unterschlägt aber, dass Frauen, die es in eine Kaderposition geschafft haben, besser, fleissiger und präsenter sein müssen als jeder Mann und damit prädestiniert wären für eine Beförderung.

Zwischen mittlerem und oberem Management gibt es dann für Frauen fast gar kein Durchkommen mehr. Die gläserne Decke, scheint es, besteht aus Panzerglas. Was genau macht sie so undurchdringlich?

Ich denke, dass hier äusserst subtile Mechanismen wirksam sind. Frauen gelingt es offenbar schlechter als Männern, ihr Wissen in Organisationen einzubringen und als relevantes Wissen zu verankern. Ein Indiz dafür ist die Erkenntnis, dass Frauen in Gesprächsrunden sehr viel weniger sprechen als Männer, häufiger unterbrochen werden und sehr viel weniger zitiert werden. Das heisst also: Egal wie gut die Ideen einer Frau sind, sie werden weniger aufgenommen und finden weniger Einlass in das offizielle Argumentarium einer Organisation. Damit wird Frauen ein wichtiges Instrument vorenthalten, mit dem sie sich und ihre Leistung sichtbar machen könnten.

Gibt es weitere Belege für Ihre These?

Gemäss einer Untersuchung in amerikanischen Versicherungen unterlaufen Ärztinnen weniger Kunstfehler als ihren männlichen Kollegen. Als Ursache dafür nimmt man das Wissen der Frauen an, wie man mit Patienten und Patientinnen einfühlsam kommuniziert. Obwohl diese Untersuchung bereits zehn Jahre alt ist und ihre Ergebnisse von hoher ökonomischer Relevanz sind, ist dieses weibliche Wissen weder in die Lehrbücher eingeflossen noch wird es innerhalb der medizinischen Ausbildung gelehrt. Offensichtlich wird es nicht ernstgenommen und versickert einfach.

Das sind Verhaltensweisen, die alles andere als rational sind. Wie lassen sie sich erklären?

Ich bin überzeugt, dass diesem Verhalten in erster Linie Gleichgültigkeit zugrundeliegt, nicht böser Wille. Es fehlt an Sensibilität für die geschilderten Zusammenhänge.

Wo sähen Sie Möglichkeiten, um echte Veränderungen zu bewirken?

Zunächst einmal müssten die Unternehmen überhaupt Daten zur Verteilung der Geschlechter und der geschlechtsspezifischen Karrieren in ihren Reihen erheben. Diese Daten existieren häufig nicht. Danach wäre das Festlegen vernünftiger Zielquoten nötig, wie zum Beispiel: "Erhöhung des Frauenanteils im oberen Management auf zehn Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre." Diese Vorgabe müsste regelmässig mit einem sorgfältigen Gleichstellungs-Controlling überprüft werden.

Was hiesse das konkret für die einzelnen Frauen in den Unternehmen?

Auf diesem Weg würden die einzelnen Frauen systematisch vom unteren über das mittlere bis ins obere Management gefördert, unterstützt von einer gezielten und frauengerechten Personalentwicklung. Heute passiert das Gegenteil. Dank eigener Untersuchungen wissen wir, dass Frauen deutlich weniger als Männer dazu ermuntert werden, ihre Karriere voranzutreiben und sich um gute Stellen zu bewerben. Gleichzeitig aber beklagen sich die Unternehmen lauthals, dass keine passenden Frauen bereit stehen, um ins Topmanagement aufzusteigen. Klar, gehen die guten Frauen eines Tages ihrer Wege und machen sich zum Beispiel selbständig. Wer jahrelang entmutigt, marginalisiert und benachteiligt wird, zieht irgendwann die Konsequenzen.

Sie selber haben die gläserne Decke durchstossen und sind Professorin mit einem international anerkannten Leistungsausweis. Werden Sie trotzdem noch auf Grund Ihres Geschlechts marginalisiert?

(Pause) Nein, als Person nicht oder nicht mehr. Es ist aber immer noch schwierig, sich im Wissenschaftsbetrieb mit Geschlechterstudien zu profilieren. Das wird in der Schweiz auch so bleiben, solange wir kaum Lehrstühle für Gender Studies an den Universitäten haben. An der Universität Zürich ist bis heute kein solcher Lehrstuhl in Aussicht.

An welche Art von Diskriminierungen erinnern Sie sich, wenn Sie Ihren beruflichen Weg passieren lassen?

In dem Moment, in dem man mit diesen subtilen Mechanismen konfrontiert ist, sind sie wenigen Frauen wirklich bewusst. Rückblickend kann ich, wie übrigens viele meiner Kolleginnen in vergleichbaren Positionen, schon sagen, dass ich sehr hart arbeiten musste und häufig am Ende meiner Kräfte war. Aber das sind keine spektakulären Befunde, die für Aufsehen sorgen würden. Eine amerikanische Gender-Forscherin hat es einmal sehr treffend ausgedrückt: "Was Frauen, die Karriere machen, tragen müssen, sind Tonnen von Federn." So ist es: Viele behindernde Kleinigkeiten, eben die Federn, wachsen mit der Zeit zu einer Tonne an.

Müssen Sie auch heute noch mehr arbeiten als Ihre männlichen Kollegen?

Was heisst müssen? Ich werde ja nicht gezwungen, ich arbeite einfach sehr viel.

...weil Sie es selber wollen?

Wenn man oben angelangt ist, ist man ja nicht an der Endstation. Ich will ja nicht nur Professorin, sondern eine gute Professorin sein und blicke nach vorn und nicht zurück.

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© Barbara Lukesch