Mit fremden Federn geschmückt

Berufungsverfahren / 5. Juli 2001, "Facts"

Symbolbild zum Thema Karriere

Der Top-Kandidat für den Zürcher Lehrstuhl soll die Dissertation seiner Frau unter eigenem Namen publiziert haben.

Selten hat sich eine Hochschule so schwer getan, einen vakanten Lehrstuhl zu besetzen, wie die Universität Zürich. Seit April 1999 sind alle Bemühungen gescheitert, einen Nachfolger für den international anerkannten Psychiatrieprofessor Jürg Willi zu finden, der sich pensionieren liess. Nun endlich glaubt man, in Ulrich Schnyder den geeigneten Mann gefunden zu haben. Die medizinische Fakultät hat den leitenden Arzt an der Psychiatrischen Poliklinik Zürich zum Kandidaten Nummer eins erkoren.

Doch es droht ein Eclat. Facts-Recherchen werfen die Frage auf, ob sich Schnyder mit fremden Federn schmückt. Auf der Liste seiner wissenschaftlichen Publikationen führt er die Arbeit «Therapy for Vaginismus» auf. Den Beitrag aus dem Bereich der Sexualmedizin, in dem er sich sonst nie profiliert hatte, publizierte er erstmals 1998 im Fachblatt «Canadian Journal of Psychiatry». Unter dem Titel «Zwei Behandlungsvarianten der Vaginismustherapie» aber hatte bereits Schnyders Ehefrau zu Beginn der Neunzigerjahre der Uni Bern eine Doktorarbeit eingereicht.

Schnyder setzte seinen Namen an die Spitze

Für die Arbeit hatte Christine Schnyder-Lüthi 44 Patientinnen behandelt, die unter Scheidenkrämpfen beim Geschlechtsverkehr litten, im Fachjargon «Vaginismus». Im «Canadian Journal of Psychiatry» setzte Schnyder dennoch seinen Namen an die Spitze der Autorenliste, seine Frau erschien erst an zweiter Stelle. Gleichzeitig gab er seine Zürcher Adresse als Korrespondenzanschrift an - ein Privileg, das dem Verantwortlichen einer wissenschaftlichen Untersuchung vorbehalten ist.

Pikant: Die Publikation «seiner» Arbeit - identisch mit dem Werk seiner Frau - erwirkte Schnyder just in der Phase, in der er seine Habilitation an der Universität Zürich vorantrieb. Die Habilitation war Voraussetzung, damit sich Schnyder überhaupt für den prestigeträchtigen Zürcher Lehrstuhl bewerben konnte.

Unversehens befinden sich die Wahlgremien der Universität Zürich in einer höchst delikaten Situation: Man will das Trauerspiel um die Nachfolge von Professor Willi möglichst schnell beenden. Gleichzeitig weiss man, dass der Spitzenkandidat Schaden genommen hat. Denn was er getan hat, ist in akademischen Kreisen verpönt.

Der Berner Psychiatrieprofessor Hans-Ulrich Fisch taxiert Schnyders publizistische Aktivitäten als «klar missbräuchlich». Ein Kollege von einer deutschen Universität rückt es in die Nähe des «scientific fraud», des wissenschaftlichen Betrugs. Und Schnyder schweigt mit Hinweis auf das hängige Wahlverfahren.

Christine Schnyder-Lüthi bezeichnet das Vorgehen ihres Mannes als «üblich» und nicht der Rede wert. Er habe sie bei der Arbeit an ihrer Dissertation «unterstützt». Warum sie ihn dennoch im Kapitel «Dank» nicht erwähnt, führt sie auf Gründe zurück, «die ich nicht offen legen will».

Alles transparent gelaufen?

Präsident der Berufungskommission ist Professor Walter Bär, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin. Ihm wurde die Information «in Sachen Diss. von Frau Schnyder» erst wenige Wochen vor der entscheidenden Fakultätssitzung zugetragen. Im Wissen um die Brisanz des Vorwurfs konfrontierte er Schnyder drei Stunden später und «unvorbereitet», wie er betont. Schnyder, sagt Bär, habe ihm überzeugend zu erklären vermocht, dass er seiner Frau in einem Moment geholfen habe, in dem ihre Dissertation ins Stocken geraten sei. Er habe ihr einen Arbeitsfahrplan erstellt und so viel Zeit investiert, dass er heute sehr wohl berechtigt sei, dieses Werk als Erstautor zu publizieren und damit auch gegen aussen zu vertreten.

«Das ist alleweil korrekt», sagt Bär, «und auch völlig transparent gelaufen.» Er selbst habe in der Folge die Kommission und die Universitätsleitung informiert, und man sei sich einig gewesen, dass alles rechtens sei. «Wer etwas anderes behauptet», konstatiert Bär, «will Herrn Schnyder böse.» Merkwürdig nur, dass Bär diese Information nicht ganz so konsequent verbreitete, wie er behauptet. Kommissionsmitglied Daniel Hell, Chef der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli, will erst via Facts vom Sachverhalt erfahren haben. An der für die Wahl wichtigen Fakultätssitzung verschwieg Bär das Problem vollständig.

Die Berufungsgremien der medizinischen Fakultät der Uni Zürich kommen aus den Problemen nicht heraus. Der deutsche Chirurgie-Professor Rainer Grüssner musste die Limmat-Stadt 1999 bereits kurz nach Stellenantritt wieder verlassen. Man gab ihm eine Millionen-Abfindung mit. 1999 brachen Rektorat und Universitätsrat die kurz vor dem Abschluss stehenden Verhandlungen mit dem deutschen Privatdozenten Borwin Bandelow ab, der als Nachfolger von Jürg Willi praktisch gesetzt war. Bandelow ist über den Stil der Zürcher noch heute erbost: «In Deutschland hätte ich unter diesen Umständen geklagt.»

Mauscheleien

Statt endlich einen valablen Kandidaten zu wählen, führte die Uni eine merkwürdige «Strukturreform» durch, die nach Vetternwirtschaft riecht. Aus dem Ordinariat, das Willi innehatte, machte man ein Extraordinariat und wertete damit die Psychiatrische Poliklinik ab. Gleichzeitig wurde die Stellung des Psychiatrieprofessors und Extraordinarius Claus Buddeberg aufgewertet, der im Berufungsverfahren für die Nachfolge Willis klar gescheitert war.

Sollte Schnyder gewählt werden, der Buddebergs langjähriger Untergebener war, dürfte es, sagen Insider, klar sein, «bei wem die Macht künftig wirklich liegt». Bleibt die Frage, ob es sich die Universität Zürich leisten kann, Schnyder zum Extraordinarius zu wählen. Immerhin hat er nicht nur mit der Arbeit seiner Frau hausiert. Er hat mit der Publikation der Studienergebnisse auch eine höchst umstrittene Behandlungsmethode von Vaginismuspatientinnen mit Silikonstäben propagiert. Fachleute lehnen sie als «mechanisches Auswuchten» der Frau ab. Christine Schnyder-Lüthi selbst hatte sich in "Facts" 51/1995 von der Methode distanziert.

Sie ist die grosse Verliererin in diesem Fall. Bei ihr stellt sich nämlich die Frage, ob sie ihren Doktortitel zu Recht trägt.

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© Barbara Lukesch