Verwaltungsrats-Lehre

Weiterbildung / November 1997, "Die Weltwoche"

Symbolbild zum Thema Karriere

Was ein rechter Verwaltungsrat werden will, holt sich sein Rüstzeug auf der Akademie.

François Schwarzenbach ist noch gar nicht im Strumpf. So schlecht wie das Wetter an diesem herbstlichen Montagmorgen präsentiert sich auch das Konzentrationsvermögen des 58jährigen Unternehmers, als er das dritte Seminar der Verwaltungsratsakademie der Arnold, Glanzmann, Kilgus & Schwarzenbach AG eröffnet. Bei der Vorstellung seiner Compagnons geraten ihm die Titel munter durcheinander. Aus Doktoren werden unversehens Professoren - "Tschuldigung, da muss ich immer aufpassen."

Das Teilnehmergrüppchen, bestehend aus fünf Männern und einer Frau, sieht grosszügig darüber hinweg, stellt sich kurz vor und nennt die Gründe für das Hiersein. Der Pensionär will die eigenen VR-Mandate kompetenter abwickeln; der Banker wünscht mehr Know How für die Kundenberatung. Der Nutzen von Weiterbildung, heisst es im Chor, sei unbestritten. Es schäme sich niemand, mit seinem Hiersein Wissenslücken einzugestehen. Die Gruppe trinkt Kaffee und wechselt dann in den Schulungsraum.

Alle sind lernbegierig und wollen profitieren, nicht zuletzt angesichts einer Kursgebühr von happigen 1300 Franken. Verwaltungsrat zu sein, das wissen die Anwesenden, ist seit der Revision des Aktienrechts ein anspruchsvoller und riskanter Job. Anton Glanzmann, der 59jährige Besitzer der "Public Relations & Werbe AG", betreibt deshalb mit dem ehemaligen Migros-Chef Pierre Arnold, Professor Ernst Kilgus und dem Juristen Schwarzenbach die VR-Akademie, eine "Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsräten auf Hochschul-Niveau" (Eigenwerbung). Das Institut vermittelt Kenntnisse nach dem Baukastenprinzip. Zur Zeit stehen zwanzig verschiedene Themen von der "Unternehmensführung und Geschäftsleitung nach Aktienrecht" bis zu "Technologischen Innovationen" und "Kaderentwicklung und Führungspsychologie" auf dem Programm; weitere zwanzig werden folgen.

Ein Berg von Wissen

Um 10.15 Uhr, zur akademischen Stunde, übernimmt Martin Hofacker, Management Consultant und Lehrbeauftragter an der Universität Zürich, das Zepter. Kontrolliert, schnell und sicher legt der 31jährige Ökonom los. So makellos wie sein dunkelgrauer Anzug, seine perfekt gepflegten Fingernägel und sein glattrasiertes Gesicht sind auch seine Ausführungen, die er frei und ohne einen einzigen Versprecher vorträgt. Der Dozent, den man sich problemlos als Hauptfigur in einem Grisham-Roman vorstellen könnte, bahnt sich elegant den Weg durch einen wahren Berg von Wissen: Systematische Finanzplanung, Entwicklung einer Finanzpolitik, Beurteilung von Finanzplänen, Cash Management aus der Sicht des Verwaltungsrats.

Auch die Schüler zeigen sich von ihrer besten Seite. Die Herren tragen dunkle Anzüge und dezente Krawatten. Die Dame, die diese Bezeichnung verdient, sieht sehr adrett aus in ihrem schwarz-weissen Deux Pieces im Fischgrätmuster; an ihren Händen blitzen diamantene Ringe. Nur der Zürcher Bauunternehmer kommt ohne Krawatte und zu spät. Gott sei Dank sitzt mit Jürg Fretz, einem frisch pensionierten Globus-Generaldirektor, auch ein Schüler in der Runde, der den Referenten ungeniert unterbricht, wenn sich eine Frage stellt.

Der 62jährige, der mehrere Verwaltungsratsmandate in kleineren und mittleren Firmen innehat, ist es denn auch, der mit seiner spontanen Art Diskussionen anreisst und die anderen in lebhafte Auseinandersetzungen verwickelt. Dann bleiben mitunter Finanzplanung, Mittelflussrechnung und Liquiditätssteuerung auf der Strecke, und die Klasse streitet über Unternehmenskultur. Der Bauunternehmer, Inhaber und gleichzeitig Präsident eines Grossbetriebs, liebt die klare Sprache. Geld ist bei ihm stets "Chöle", und er fragt provokativ, ob "die Grossbanken überhaupt noch ein Gewissen haben."

Der Zufall will es, dass ein Ostschweizer Banker mit am Tisch sitzt, der sich als Sparringpartner bestens eignet und seine Voten gern mit den Worten "Wir Banken..." eröffnet: "Wir Banken", stellt er beispielsweise klar, "sind nicht die einzigen, die in der Hochkonjunktur Fehler gemacht haben"; auch die Schönwetter-Unternehmer seien zu kritisieren - worauf ihn Jürg Fretz der "Überheblichkeit" bezichtigt, was zu einer hitzigen Debatte führt. Allein die Dame und Präsidentin einer Stiftungs-Holding hält sich vornehm zurück.

Lernen bis zur Erschöpfung

Der Dozent lässt die Runde gewähren, auch wenn sie ihm kurzfristig aus dem Ruder läuft. Mit sicherem Gespür weiss er, dass es neben der Beschäftigung mit Theoriebrocken wie Cash-Flow und Fondsrechnung auch Platz braucht für Gespräche, die im beruflichen Alltag der Anwesenden gründen.

Kurz nach zwölf Uhr knurren die Mägen. Doch der "kleine Imbiss", den Hofacker ankündigt, erweist sich als extra-klein und eher enttäuschend. Das sagt zwar keiner laut, aber im Nachhinein gibt Josef Stirnemann, der Delegierte des Verwaltungsrats der Ytong AG, zu, dass er sich "etwas mehr Umgebungs-Komfort" gewünscht hätte als nur ein paar Sandwiches, ein Mineralwasser und ein paar Pralinen. Der ehemalige Globus-Mann Fretz versucht vergeblich, sie zu ignorieren. Einmal schwach geworden, schiebt er sich Stück um Stück in den Mund und ist heilfroh, als Hofacker gegen 13 Uhr zur Fortsetzung des Unterrrichts drängt.

Für einmal wird der smarte Dozent persönlich und bietet den Anwesenden auf leicht verlegene Art seine frisch publizierte Dissertation über die "Finanzielle Führung mittlerer Industriekonzerne" an. Das dicke Buch macht die Runde und den sympathischen Hochschullehrer noch sympathischer: "Meinen Eltern in Dankbarkeit gewidmet" steht auf den ersten Seiten seines Meisterwerks. Welche Mutter, welcher Vater wünschte sich nicht einen solchen Sohn!

Danach zeigen die Schüler erste Ermüdungserscheinungen. Begriffe wie "Netto-Umlaufsvermögen", "Definanzierungsvorgänge" und "fondswirksame Erträge" strapazieren eben sehr. Gott sei Dank verfällt Hofacker in gestreckten Galopp, so dass Repräsentant Schwarzenbach gegen halb vier eine erschöpfte Verwaltungsratsschar entlassen kann: "Ich find's saugut, solch hochstehende Diskussionen zu führen."

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© Barbara Lukesch