"Ich lasse mich nicht zur Befehlsempfängerin degradieren"

Beatrice Tschanz / 9. August 2001, "Die Weltwoche"

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Frau Tschanz, Sie sind mit der Swissair jahrelang durch schwerste Krisen gegangen und übernehmen nun ausgerechnet bei Sulzer Medica die Leitung der Corporate Communications. Suchen Sie nach dem Regen die Traufe?

Béatrice Tschanz: Keineswegs, Sulzer Medica ist ein Unternehmen, das hervorragende Produkte herstellt, die weltweit einen exzellenten Ruf geniessen.

Schöner Werbespot. Momentan denkt man bei der Erwähnung von Sulzer Medica aber vor allem an verdreckte Hüftgelenke, verschmutzte Schienbeinplatten und millionenschwere Sammelklagen.

Tschanz: Es stimmt natürlich, dass Sulzer Medica in einer ernsthaften Krise steckt. Die Probleme mit den verschmutzten Hüftgelenken in Amerika stellen tatsächlich einen Gau dar. Da ist eine anständige Krisenbewältigung gefragt, da müssen Vertrauen und Glaubwürdigkeit wieder hergestellt werden. Was passiert ist, kann man weder ungeschehen machen noch allein mit Geld entschädigen. Menschen müssen nochmals auf den Operationstisch, das löst Ängste und Verunsicherungen aus. Da gibt es nichts zu verwedeln oder zu beschönigen. Wie bei all diesen Firmenkatastrophen steht auch bei Sulzer Medica eine zentrale Frage im Raum: Wie geht man damit um? Jetzt ist sorgfältige Aufräum- und Aufbauarbeit vonnöten.

Ist es die Problembewältigung, die Sie reizt?

Tschanz: Es interessiert mich als Kommunikationsspezialistin tatsächlich sehr viel stärker, in einem solchen Unternehmen mitzuarbeiten als an einem Ort, an dem alles super läuft und mehr oder weniger dahinplätschert.

Die Überlegungen des Sulzer Medica-Managements leuchten ein. In dieser schwärzesten Stunde der Firmengeschichte stellt man die krisenerprobte Béatrice Tschanz ein, eine Lichtfigur sozusagen, deren Aura all die ölverschmierten Hüftgelenke überstrahlen soll.

Tschanz (mit Nachdruck): Nein, so ist es ganz sicher nicht. Erstens überstrahle ich überhaupt nichts; vielmehr muss ich mich zunächst einmal ganz normal einarbeiten, wenn ich die Stelle am 1. September antrete. Sicherlich werden meine Kompetenz und meine Erfahrung geschätzt. Ich ergänze ein junges Team, das klug erkannt hat, dass ihm die Reife einer erfahrenen Person durchaus von Nutzen sein kann. Darüber hinaus hat auch die "Chemie" zwischen uns sofort gestimmt.

Um die Aufgabe, die auf Sie wartet, zu bewältigen, werden Sie mit Sicherheit alle Register Ihres beruflichen Könnens ziehen müssen: Rund 2500 Revisionsoperationen wegen schadhafter Hüftgelenke und Schienbeinplatten, mehr als 1000 hängige Klagen, ungenügende Versicherungsdeckung und ein Verwaltungsratspräsident, Max Link, der abenteuerliche Sabotagetheorien erzählt und die Schuld am Debakel der amerikanischen Tochterfirma in die Schuhe schiebt.

Tschanz: Es werden zwei happige Jahre auf das Unternehmen zukommen, keine Frage. Aber ich bin überzeugt, dass diese Krise zu bewältigen ist. Sulzer Medica ist nämlich nicht gleichzusetzen mit diesen schadhaften Gelenken, die tatsächlich aus der amerikanischen Produktion in Texas stammen, woran es nichts zu rütteln gibt. Dass das Mutterhaus in Winterthur sich um seine Verantwortung drückt, stimmt nicht. Verwaltungsratspräsident Max Link hat im Gegenteil betont, dass Sulzer die Verantwortung übernimmt, und er hat offen über die Probleme informiert.

Die Offensive kam reichlich spät; zuvor wurden die Probleme verwedelt. Haben Sie Ihren Einfluss bereits geltend gemacht?

Tschanz (lacht): Ich werde dann Einfluss nehmen, wenn ich bei Sulzer Medica meinen Job antrete und Verantwortung trage.

Anders als bei der Swissair sind Sie bei Sulzer Medica Mitglied der Konzernleitung. Was qualifiziert Sie für die Übernahme eines operativen Postens an der Spitze eines solchen Unternehmens?

Tschanz: Während meiner jahrzehntelangen Berufstätigkeit und den vier Jahren bei der Swissair habe ich die besten Case Studies absolviert, die man sich nur vorstellen kann. Ich muss nicht unbedingt nach Harvard gehen. Nicht zuletzt dank Philippe Bruggisser, der ein sehr guter und strenger Lehrmeister war, bin ich betriebswirtschaftlich absolut auf der Höhe. Das gibt mir auch das Vertrauen, dass ich innerhalb der Konzernleitung Gewicht und Durchsetzungskraft haben werde. Der einzige Unterschied zu meinen Kollegen besteht darin, dass ich keinen messbaren Gewinn ausweisen muss. Meine Aufgabe ist nicht zahlenmässig ergebnisorientiert, aber dennoch sehr wichtig.

Haben Sie den Sitz in der Konzernleitung zur Bedingung gemacht?

Tschanz: Nein. Die Stelle ist mir genau so angeboten worden. Der neue CEO Stephan Rietiker hat völlig richtig erkannt, dass die Kommunikation in einem Unternehmen an oberster Stelle angesiedelt werden und ihren Teil an Verantwortung mittragen muss.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Sie in der Swissair-Konzernleitung viel Macht und Einfluss hatten. Haben Sie sich auch deshalb für den Sulzer Medica-Posten entschieden, weil Sie endlich auch mit der offiziellen, nach aussen hin sichtbaren Macht eines Konzernleitungsmitglieds ausgestattet sein wollten?

Tschanz: Macht per se interessiert mich nicht. Aber ich will in meinem Fachgebiet mit meiner Kompetenz ernstgenommen werden und Gewicht haben. Ich finde es ganz einfach richtig, als Kommunikationsverantwortliche der operativen Leitung anzugehören.

Welche konkreten Ziele haben Sie sich gesteckt?

Tschanz: Während der nächsten zwei Jahre geht es darum, mitzuhelfen, Sulzer Medica aus dem Tunnel der Krise herauszuführen. Daneben verfolge ich aber auch von Anfang an das Ziel, die Kommunikation längerfristig zu sichern, denn in ein paar Jahen erreiche ich die Altersgrenze.

Etliche Leute haben Ihnen eine goldene Zukunft als selbständige Unternehmensberaterin vorausgesagt. Ihr Name, hiess es, sei zur Zeit nahezu unbezahlbar. Warum haben Sie nicht diesen Weg gewählt, der mit Sicherheit einfacher gewesen wäre?

Tschanz: Ich bin ein Mensch, der Mühe hat, sich zu verzetteln. Ich bin nicht nur monogam, sondern engagiere mich auch beruflich am liebsten voll für eine Aufgabe. Statt vier, fünf Mandate zu übernehmen und diese recht zu machen, konzentriere ich mich nun auf diesen einen Job bei Sulzer Medica und versuche, ihn besonders gut zu erledigen.

Sie sollen nach Ihrem Abgang bei der Swissair zahlreiche Stellenangebote von grossen, international tätigen Unternehmen bekommen haben. Waren vor allem krisengeschüttelte Firmen an Ihnen interessiert?

Tschanz: Nein, überhaupt nicht. Es gibt ja, zum Glück, noch etliche Konzerne bei uns und in Europa, die nicht in der Krise stecken. Bei aller Offenheit gehört aber auch zu meinem Geschäft eine gewisse Diskretion dazu. Namen nenne ich Ihnen deshalb keine.

Mit welchen Gefühlen denken Sie heute, einige Monate nach Ihrem Abgang, an die Krisenzeiten bei der Swissair zurück?

Tschanz: Die letzte Phase war schlimm. Als sozusagen über Nacht beschlossen wurde, die Strategie zu wechseln, brach alles weg. All das, wofür auch ich mich während vier Jahren mit Feuer und Flamme eingesetzt hatte, war plötzlich hinfällig: Ich fühlte mich, als ob mir jemand den Boden unter den Füssen weggezogen hätte. Daran änderte auch die Erkenntnis nichts, dass die Hunterstrategie tatsächlich zu teuer war und deshalb abgebrochen werden musste. Jene Phase hat enorm viel Kraft gekostet, und ich habe plötzlich gemerkt, dass ich die erforderliche Energie schon in den Jahren zuvor aufgezehrt hatte.

War die Swissair ein Tollhaus?

Tschanz: Das Kommen und Gehen auf der obersten Ebene war tatsächlich verrückt. Mich haben vor allem die menschlichen Aspekte fertig gemacht: Die schnelle Absetzung von Konzernchef Bruggisser, der plötzliche Abgang seines interimistischen Nachfolgers Moritz Suter, der Rücktritt in Raten des Verwaltungsrats, die ganze Geschichte um den Abgang und die Entschädigung von Präsident Eric Honegger. Das sind alles Menschen, mit denen ich eng zusammengearbeitet habe. Das ist mir sehr unter die Haut gegangen in einem Moment meines Lebens, in dem ich mich auch persönlich nicht so stark gefühlt habe wie normalerweise.

Sie hatten vor allem Mühe mit der Art, wie Philippe Bruggisser abserviert wurde.

Tschanz: Richtig. Ich bin heute noch überzeugt, dass man den Strategiewechsel auch gemeinsam mit ihm hätte durchziehen können. Man hätte ihm sagen können: Wir müssen bei der Sabena raus, in Frankreich raus. An die Arbeit!

Hätte er denn dazu Hand geboten?

Tschanz: Möglich. Aber es ist schwierig, sich im Nachhinein darüber Gedanken zu machen. Hinterher sieht alles anders aus. Auch mir wurde zu spät bewusst, dass es nötig gewesen wäre, ein kommunikatives Worst-Case-Szenario für den Fall des Scheiterns der Hunterstrategie parat zu haben.

Dann schlug die Stunde des Mario Corti - was fällt Ihnen zu ihm ein?

Tschanz: Ein Mann mit grossem Mut, ein Alleingänger und Einzelkämpfer, ein grosser Taktiker, beherzt und blitzgescheit.

Tönt gut. Warum war es für Sie trotzdem nicht möglich, mit ihm zusammenzuarbeiten?

Tschanz: Das hat eigentlich nichts mit Herrn Corti zu tun. Als nach allen Wirren klar wurde, dass wieder eine Führung da war, wusste ich, dass ich die kommenden Troubles in der neuen Swissair nicht mehr mitmachen wollte. Darüber hinaus galt es, Selbstkritik zu üben und zu konstatieren: Auch ich bin ein Teil der Vergangenheit und damit des Scheiterns. Frauen sind diesbezüglicher ehrlicher sich selber gegenüber als Männer, und daher war mir sofort klar, dass ich jetzt gehen musste.

Das ist doch nur die halbe Wahrheit. Mario Corti und Sie - beide dominant und extravertiert - waren dem Vernehmen nach nicht kompatibel. Die Konfliktpotenzial wäre beachtlich gewesen.

Tschanz: Meine Geschichte in der Swissair und meine Rolle in der Öffentlichkeit hätten für einen neuen Konzernchef hinderlich werden können, das ist richtig.

Sie wollten Corti nicht vor der Sonne stehen?

Tschanz: Momentan hat er auch ohne mich mehr Schatten als Sonne. Aber es ist wahr, ich hätte mich nicht mehr in die Reihe der Befehlsempfänger zurückbuchstabieren lassen.

Auch im fachlichen Bereich hätte es Auseinandersetzungen gegeben. Seit Ihrem Weggang beklagen die Medienschaffenden den neuen, sehr defensiven Kommunikationsstil der Swissair. Ihre Politik der Transparenz wurde auf einen Schlag desavouiert.

Tschanz: Herr Corti hat mir bereits in der Nacht seiner Ernennung gesagt, dass er zwar mit mir arbeiten wolle, das ganze "Medientheater" aber nicht mitzumachen gedenke.

Wie geht es Philippe Bruggisser? Ist er so fit, sonnengebräunt und guter Laune, wie ihn die Medien schon mehrfach beschrieben haben?

Tschanz: Jedem Menschen, der erlebt hat, was ihm widerfahren ist, geht es auch Monate später nicht gut. Zwanzig Jahre Aufbauarbeit in der Swissair, und dann ist von einem Tag auf den anderen Schluss: Das ist ein brutaler Einschnitt, der erst einmal verkraftet sein will. Aber ich muss sagen, dass meine Hochachtung vor ihm nur gestiegen ist. Es ist beeindruckend, wie er mit dieser persönlichen Krise umgeht. Gott sei Dank ist er endlich mal ein bisschen braungebrannt und kommt an die frische Luft. Er hat ja genug gekrampft und alles auf die Karte Arbeit gesetzt.

Sie haben also nach wie vor Kontakt zu ihm?

Tschanz: Aber sicher.

Welche Rolle nehmen Sie ihm gegenüber ein? Sind Sie seine letzte Freundin?

Tschanz: Moment. Er war mein Chef, und ich musste stets erstklassige Arbeit leisten. Die Vorstellung, zwischen uns hätte ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden, bei dem es nicht so sehr drauf angekommen wäre, was ich geliefert habe, ist falsch. Ich habe sehr viel von ihm gelernt, und vielleicht kann er jetzt ein paar Kleinigkeiten von mir lernen.

Welcher Art?

Tschanz: Dass es sehr genussvoll sein kann, einen Nachmittag in einer Gartenbeiz zu sitzen und zu diskutieren oder Velo zu fahren. Und dass es wichtig sein kann, sich ab und zu ein bisschen zu öffnen.

Der Öffentlichkeit gegenüber hält er sich allerdings nach wie vor bedeckt. Hat er denn nicht das Bedürfnis, einmal seine Sicht der Dinge zu schildern? Zur Zeit steht er als derjenige da, der bei der Swissair alles falsch gemacht hat.

Tschanz: Das Bedürfnis zu reden, hat nicht nur er, das haben auch andere. Es zeugt für mich allerdings von Grösse, zum jetzigen Zeitpunkt zu schweigen. Dass er nicht alles falsch gemacht hat, steht für mich sowieso ausser Frage. Er hat den Konzern erfolgreich ausgebaut, Stichworte Gate Gourmet, Nuance, Shopping-Centers an den Flughäfen und Bordverkauf, alles Ertragsperlen, die es ohne Philippe Bruggisser nicht gäbe.

Das fliegende Personal der Swissair hat Ihnen zum Abschied ein Dankes-Poster mit über tausend Unterschriften geschenkt. Das ist eine überwältigende Geste.

Tschanz: Dieses persönliche Geschenk hat mich wirklich sehr berührt. Ich habe daheim schon einen Platz ausgesucht, wo ich es hinhängen werde. Das ist auch ein Teil meiner Swissair-Geschichte.

Lange Zeit hatte man den Eindruck, dass Sie die einzige bei der Swissair waren, die selbst in den heftigsten Turbulenzen kühlen Kopf bewahrte. Doch dann haben auch Sie einen gravierenden Fehler gemacht, der viele überraschte. Sie haben es verpasst, gleichzeitig mit Bruggisser das Unternehmen zu verlassen.

Tschanz: Richtig. Als Kommunikationsverantwortliche, die so eng mit einem CEO zusammengearbeitet und sich mit seinen Entscheiden identifiziert hat, hätte ich sofort mit ihm gehen müssen.

Warum sind Sie trotzdem geblieben?

Tschanz: Wegen der Mitarbeiter. In diesem Moment der Verunsicherung hielt ich es für extrem wichtig, zu bleiben. Das kann man sich fast nicht vorstellen: Tag für Tag bekam ich Hunderte von E-Mails mit der Bitte: "Frau Tschanz, bleiben Sie." Tja, und dann hatte ich wirklich die Vorstellung, dass alles zusammenkrachen würde, wenn ich jetzt auch noch den Bettel hinschmeissen würde. Das ist natürlich Blödsinn. In Tat und Wahrheit hat meine Person in jener Situation überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Heute muss ich sagen: Es wäre richtig gewesen, wenn ich an jenem 22. Januar entschieden hätte: Ich gehe. Aus. Schluss.

Letztlich hat Ihr Ausharren auch Ihre berufliche Glaubwürdigkeit in Frage gestellt. In den Augen vieler sah es nämlich auf einmal so aus, als sei sogar die starke, souveräne Béatrice Tschanz nur her master's voice, also das berühmte Sprachrohr, das irgendeinem Chef, egal was er vertritt, die Stimme leiht.

Tschanz: Das mag von aussen so gewirkt haben. Aber damals kam dann noch folgendes dazu: Der Verwaltungsrat konnte mir auf überzeugende Art erklären, warum der Strategiewechsel nötig geworden war, und bat mich, doch zumindest in den folgenden Monaten zu bleiben. Angesichts dieser Bitte und der stürmischen Mitarbeiterreaktionen war es mir letztlich wurscht, was man ausserhalb des Unternehmens über meine Glaubwürdigkeit dachte.

In den letzten Wochen unterliefen Ihnen dann allerdings einige kommunikative Ausrutscher, die zeigten, dass Sie nicht mehr ganz auf der Höhe Ihrer Aufgabe waren. Als Sie beispielsweise den unpopulären Entscheid kommunizierten, wonach die Swissair die Expo nicht im versprochenen Ausmass finanziell unterstütze, merkte man Ihnen den Unmut mehr als deutlich an.

Tschanz: Ich bin kein Engel, ich bin auch keine Maschine. In dieser Situation hatte ich meine Gefühle tatsächlich nicht unter Kontrolle. Das war unprofessionell, da gebe ich Ihnen Recht. Unpassend war mit Sicherheit auch die Art, wie ich Moritz Suter in einem Interview beschrieben habe. Sein Temperament abzuqualifizieren, steht mir nicht zu, und dafür habe ich mich übrigens auch bei ihm entschuldigt.

Mario Corti selber leistete sich ja kurz nach seinem Stellenantritt ebenfalls einen peinlichen Kommunikationsfehler, als er darauf bestand, als "Doktor Corti" angesprochen zu werden, was die Boulevardmedien genüsslich ausschlachteten. Warum konnten Sie ihn nicht davor bewahren?

Tschanz: Mein Gott, was ist denn das für ein Verhältnisblödsinn! Da ist ein Mann, der sich bei einem schlingernden Konzern auf die Brücke stellt, und für die Medien steht nicht diese Aufgabe, sondern sein Doktortitel im Zentrum. Er hat nie ausdrücklich angeordnet, man müsse ihn als "Doktor Corti" ansprechen. Auf meine Frage, wie ich ihn an der Medienkonferenz vorstellen solle, hat er mir geantwortet, er habe einen Doktortitel. That's it. Mehr war da nicht.

Heutzutage ist es einfach unüblich, sich mit seinem Doktortitel vorzustellen. So etwas wirkt schnell einmal dünkelhaft.

Tschanz: Okay. Als Kommunikationsprofi muss auch ich sagen: Forget it. Titel sind heutezutage out. Vielleicht wollte er ja auch nur eine gewisse Distanz herstellen. Ich bitte Sie, wozu jetzt den Herrn Corti kritisieren? Excusez, den Herrn Doktor Corti.

Das letzte Kapitel Ihrer persönlichen Swissair-Geschichte bestand darin, mit Mario Corti über Ihre Abgangsentschädigung zu verhandeln. Drei Jahresgehälter hätten Ihnen laut Vertrag zugestanden, Sie gaben sich mit einem einzigen zufrieden. Warum diese Bescheidenheit?

Tschanz: Das hat doch nichts mit Bescheidenheit zu tun. Es war Cortis Offerte, und ich habe sie akzeptiert. In dieser Situation war Augenmass gefragt: Der Konzern befindet sich finanziell in Schwierigkeiten, es werden Millionen-Forderungen wie jene von Honegger erhoben, die jedem normalen Menschen in die Knochen fahren müssen. Nein, ich versuche auch in Zukunft lieber, mein Gehalt zu verdienen, statt es einfach so zu bekommen.

Mit dem Entscheid haben Sie Ihren Beliebtheitsgrad noch einmal gesteigert. Wie erklären Sie selber sich eigentlich Ihren Nimbus und die weitgehende Abwesenheit von Neidern?

Tschanz: Ich glaube, es ist selten geworden, dass jemand einfach so ist, wie er ist und nichts anderes darstellen will. Ich halte mich überhaupt nicht für etwas Besonderes, habe aber auch kein angeschlagenes Selbstbewusstsein. Ich weiss, was ich kann und will. Ich lasse mich nicht so schnell unterkriegen und herumkommandieren. Ich bin schon ein sehr unabhängiger Geist. Vielleicht mögen die Leute diese Ausstrahlung von Geradlinigkeit und Stärke.

Ein solcher Status geht immer einher mit öffentlichen Verpflichtungen. Wie schaffen Sie es, sich abzugrenzen und sich zumindest einen Rest an Privatsphäre zu bewahren?

Tschanz: Ich habe in den letzten Monaten etwas gelernt, was ich nie konnte, nämlich Nein zu sagen. An 25 Orten hätte ich eine 1.-August-Rede halten sollen; die Expo wollte mich als Botschafterin, eine Boutiquebesitzerin fand, ich sei die ideale Person, um ihr ihre Eröffnungs-Modeschau zu präsentieren, ein Ehepaar aus Thun wollte mich zum Nachtessen einladen, weil es fand, ich hätte so abgenommen - da kommen viele reizende und gutgemeinte Anfragen, und trotzdem habe ich alle mit einem freundlichen Brief abgesagt.

Sie sind 57 Jahre alt und erklimmen nun bei Sulzer Medica die Spitze Ihrer beruflichen Laufbahn. Bis vor kurzem hiess es, nur der Jugend gehöre die Welt. Sind in Ihrem Fall die normalen Regeln ausser Kraft?

Tschanz: Ach was. Ich sage schon lange, die Idee, ab fünfzig gehöre man zum alten Eeisen, tauge nichts. Das Alter ist heute doch zu einer Zahl degradiert. Ich kenne vierzigjährige Greisinnen und sechzigjährige Powerfrauen.

Es gibt allerdings einen Zürcher Schönheitschirurgen, der in Ihrem Alter ein Handicap erkennt. Zu Ihrem Abgang bei der Swissair hat er Ihnen eine Gratis-Schönheitsoperation offeriert.

Tschanz: Das wäre doch lecker gewesen: Sozusagen über Nacht um zehn Jahre jünger werden. Das hätte mich schon gereizt. Spass beiseite: Im ersten Moment war ich richtiggehend schockiert. Nachher habe ich mich wieder beruhigt und gedacht: Der Mann hat es sicher nett gemeint.

Er ist als Fachmann der Meinung, Sie müssten sich äusserlich aufmotzen.

Tschanz: Klar. Das ist auch ein Zeichen unserer verrückten Zeit, in der vor allem die Fassade glänzen muss. Nur bin ich leider oder zum Glück keine Fassadenfrau. Ich bin so wie ich bin und werde in den nächsten Jahren sogar noch mehr Falten bekommen, und auch mit denen werde ich leben.

Haben Sie keine Angst, an Ihrem neuen Arbeitsort alles zu verspielen: Die Wertschätzung, die Sie geniessen, aber auch den Goodwill, der Ihnen von der Öffentlichkeit entgegengebracht wird?

Tschanz: Angst habe ich nicht, aber Respekt vor der neuen Aufgabe, die ich sehr ernst nehme.

Sie befinden sich auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere und können eigentlich nur noch fallen.

Tschanz: Das Risiko besteht, und dessen bin ich mir auch bewusst.

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© Barbara Lukesch