Unterwegs mit Ralph Krueger

Eishockey-Nati-Coach / 8. Dezember 2000, "Annabelle"

Symbolbild zum Thema Sport

Federnden Schrittes betritt Ralph Krueger um Punkt neun Uhr das Café Choccolino in Davos. Ein Ciao hier, ein Hallo da, ein Händedruck an unserem Nachbartisch, ein aufgeräumtes Lachen zum Servierpersonal: Freude herrscht angesichts des grossen kräftigen Mannes im dunkelgrauen Anzug und dem legeren schwarzen Wollshirt. Davos liebt seinen prominenten Mitbürger, soviel steht fest. Als er uns entdeckt, steuert er auch auf uns strahlend zu und begrüsst uns so herzlich, als seien wir alte Bekannte. Wie es unter Sportsleuten üblich ist, drückt er uns nicht nur die Hand, sondern gleich noch den Unterarm beziehungsweise die Schulter. Seine Präsenz ist wirklich atemberaubend.

Da sitzt uns nun also der Mann gegenüber, dessen Persönlichkeit die Medien nur mit Superlativen gerecht zu werden glauben: Ein "Messias" sei er, eine "Ausnahmeerscheinung", ein "Winnertyp" oder auch "der kommunikative Sonnenstrahl", wie sich die seriöse Neue Zürcher Zeitung zu begeistern vermochte. Dem Eishockey-Nationalcoach, hiess es andernorts, werde aus der Hand gefressen; wer ihn zu kritisieren wage, gelte als Nestbeschmutzer. Soeben wurde sein Vertrag bis zum Jahr 2006 verlängert, und die Eishockey-Gemeinde brach in Jubel aus: "Mit Krueger in die Ewigkeit."


Sie geniessen hierzulande schon fast Kultstatus. Einer Lichtfigur gleich werden sie gefeiert und gepriesen. Wie gehen Sie mit dem vielen Lob um?

Das interessiert mich nicht gross. Wenn ich diese Komplimente zu wichtig nehmen würde, bestünde die Gefahr, dass ich die Realität aus dem Blick verlieren würde.

Ganz ohne Wirkung auf Sie dürften die vielen mehr als wohlwollenden Artikel ja wohl nicht sein.

Jeder Artikel, in dem ich so positiv dargestellt werde, erhöht den Druck auf mich. Die Erwartungen werden immer grösser; die Leute wollen nur noch Erfolge sehen. Es ist sehr schwierig, damit zu leben. Folglich kann ich es mir erst recht nicht erlauben, abzuheben, sondern muss doppelt hart an mir weiterarbeiten. Dass ich das sehr schnell erfasst habe, verdanke ich meiner Mutter, einer Schauspielerin, die mir und meinen Geschwistern immer wieder erklärte: Popularität ist Zufall, Berühmtheit ein Gas...

Ein Gas?

A Vapour, ein Gas, Dampf...

Ah, Berühmtheit ist Schall und Rauch.

Genau ...und Geld hat Flügel. Was allein zähle, sagte sie, sei der Charakter eines Menschen.

Wieviel Neid und Missgunst bekommen Sie zu spüren?

Momentan nur sehr wenig. Den Neidern fehlt der Anlass, um mich lauthals zu attackieren. Aber ich bin mir bewusst, dass die Angriffsfläche, die ich biete, mit jedem Erfolg grösser wird und dass es einen Aufschrei geben wird, sollte ich eines Tages stolpern: Haben wir es nicht schon immer gesagt, dass es mit Krueger nicht funktionieren kann.

Haben Sie manchmal Angst vor dem Absturz?

Angst müsste ich haben, wenn meine Prominenz und mein Trainerjob mein Leben wären. Aber sie stellen nur einen Teil und ganz sicher nicht den wichtigsten dar. Die Zeit mit meiner Frau und den Kindern, sei es in der Natur oder beim Sporttreiben, bildet eindeutig die Nummer Eins.

Das sagen alle Manager.

Ja, aber ich garantiere dir, dass ich allein im letzten Jahr vierzehn Wochen zu hundert Prozent mit meiner Familie verbracht habe. Zeig mir einen Mann in meinem Alter, der das von sich behaupten kann.


Ralph Krueger ist ein intensiver Gesprächspartner. Von Beginn an zeigt er höchste Konzentration und fixiert sein Gegenüber dermassen mit Blicken, dass es der Journalistin fast etwas ungemütlich wird. Er spricht energiegeladen, schnell und erweckt den Eindruck, als mache es ihm Spass, uns Auskunft zu geben. Da ist nichts von routiniertem Abspulen zu spüren. Wir haben es tatsächlich mit einem Kommunikationstalent zu tun, dessen ausgeprägter amerikanischer Akzent ihm einen zusätzlichen Bonus verschafft.

Von seinen Kindern, dem vierzehnjährigen Justin und der elfjährigen Geena, erzählt er voller Begeisterung. Die acht Wochen, die er jeweils im Sommer mit ihnen in den kanadischen Bergen verbringe, seien ihm heilig. Dann gebe es kein "Mobilephone", keine Termine - nur die Familie. Als ihm im vergangenen Sommer die grosse Ehre zuteil wurde und er für ein Referat auf einem der hochdotiertesten kanadischen Eishockey-Symposien angefragt wurde, sagte er ab, kurzentschlossen, ohne zu zögern: "Yeah, sure". In seinem "Daytimer", seiner Agenda, unterscheide er drei Lebensbereiche, die er mit Farben kenntlich mache: Rot für das Eishockey, blau für seine Firma "Teamlife", in deren Rahmen er in Unternehmen Vorträge halte, und grün für die Familie. Und der Sommer sei grün, ganz grün. Die Wochen vor und nach Weihnachten ebenfalls, und genauso die Sportferien seiner Kinder: "Mein Job als Nationalcoach ist ein Quality-Job mit vielen passiven Phasen und erlaubt mir diese Freiheit, die ich zugunsten meiner Familie einsetze."

Nicht immer hat Ralph Krueger seine Prioritäten so gesetzt. In den ersten sieben Jahren seiner Trainer-Karriere sei er ein "Workaholic" gewesen. Für seine Erfolge mit dem östereichischen Klub VEU Feldkirch, mit dem er fünfmal Meister wurde, zahlte er einen hohen Preis, zuletzt setzte er gar seine Gesundheit auf's Spiel. 1998 übernahm er zu seinem Klub-Posten gleichzeitig die Schweizer Nationalmannschaft. Die Öffentlichkeit sah einen Mann, der Ruhm und Ehre anhäufte: Im Februar 1998 gewann er mit Feldkirch den Euroliga-Meistertitel, kurz darauf belegte er mit dem Schweizer Nationalteam an der Weltmeisterschaft in Zürich den sensationellen vierten Platz. Ralph Krueger wurde als Superstar gefeiert und war in Wahrheit nur einen Schritt von seinem persönlichen Zusammenbruch entfernt.


Was war damals mit Ihnen geschehen?

Ich war burned-out. Noch ein Spiel, und ich wäre zusammengebrochen. Es war eine Katastrophe. Einerseits erlebte ich meine grössten Erfolge, zum anderen war es die schwerste Zeit meines Lebens. Ich litt körperlich und seelisch unter schrecklichen Schmerzen. I couldn't turn my head, mein Genick war völlig blockiert, meine Augen flimmerten nur noch und ich bekam Angst, weil mein Körper, der immer fit war, zu streiken begann. Kurz zuvor hatte ich auch noch meinen besten Freund bei einem Verkehrsunfall verloren, my God. Gleichzeitig musste ich meinen Zustand vor allen verstecken. Die Schweiz durfte nicht wissen, wie es mir ging, und auch meiner Frau wollte ich nichts erzählen, um sie nicht zu ängstigen. Diese Erfahrung hat mich aufgerüttelt und mir bewusst gemacht, dass ich mein Leben dringend ändern musste.


Seit zwei Jahren lebt Krueger jetzt in Davos, wo er seine Balance wiedergefunden hat. Er hat hier sogar ein Haus gekauft und würde am liebsten solange bleiben, bis seine Kinder ihre Schulen abgeschlossen haben.

Wir verlassen das Café Choccolino, das er nicht zuletzt deshalb schätzt, weil dort nicht geraucht werden darf. Auf dem Weg zu seinem Auto, einem bulligen Geländefahrzeug, setzt es neuerlich viele "Grüezis" und "Ciaos" ab. Etwas routiniert jetzt markiert er Freundlichkeit. Ralph Krueger zeigt auf den blauen Himmel über dem Kurort, dem er sich seit vielen Jahren verbunden fühlt. Davos heisst Spenglercup und erinnert ihn an jene Zeiten, in denen er selber noch Eishockey-Profi war. Davos ist aber auch der Ort, an dem ihn eine schwere Kopfverletzung, die er sich als Spieler zuzog, während Wochen ins Spitalbett zwang, von dem aus er genau jenes Grundstück im Blick gehabt habe, auf dem heute sein Haus stehe: "Ich liebe solche Geschichten", grinst er.

Wir fahren zur Eishalle, wo er sich weiterhin als perfekter Medienprofi zeigt und mit grosser Geduld den Wünschen unseres Fotografen entspricht. Er glitscht übers Eis, posiert mit einem HC Davos-Spieler, rennt auf die Tribüne und lacht sein berühmtes Lachen. Ein Good Guy in Aktion, 41 Jahre alt, mit bereits leicht gelichtetem Haupthaar, aber immer noch mit den Zügen eines grossen Jungen, der voller überschüssiger Energie steckt. Er hat es uns ja selber gesagt: "I am a big baby boy und liebe es, mit meinen Kindern zu spielen, und zwar eins zu eins."


Zurück zum Ernst des Trainerlebens, Ralph Krueger. Warum bleiben Sie in der Schweiz und wechseln nicht in die nordamerikanische National Hockey Ligue NHL? Entsprechende Angebote sollen Ihnen ja vorgelegen haben.

Ich bin nicht bereit, für meine Karriere die Zukunft meiner Familie zu riskieren. Klar, würde die logische Entwicklung für mich in die NHL, die Spitzenliga dieser Welt, führen. Aber das ist nicht alles. Schau, meine Frau ist nach fünfzehnjährigem schweren Leiden unter Asthma und Neurodermitis hier in Davos zu 95 Prozent geheilt worden. Auf dieser Höhe gibt es keine Hausstaubmilde mehr, die, wie wir inzwischen wissen, ihre Krankheit verursacht hat. Wenn das nicht für die Schweiz spricht.

Nun heisst es in Fachkreisen aber auch, dass die NHL Ihrem Führungsstil, der stark auf die Person des Trainers fokussiert ist, zuwiderlaufe, weil dort die Spieler die wahren Stars sind.

Das ist so, absolut, und damit hätte ich momentan ganz sicher meine Mühe.


Offen ist er, ehrlich, oder wie er sich selber ausdrückt, "völlig nackt". Wo sind denn die dunklen Flecken auf der persönlichen Landkarte eines Mannes, dem ein welscher Sportjournalist gar die Ausstrahlung eines "Gottes" attestierte. Da war doch dieser scheussliche Beretta-TV-Werbespot, wo er, verkleidet als Eishockey-Schiedsrichter, an die Bande fährt und in eine Wurst beisst. Haben ihn da alle guten Geister verlassen? Er verwirft die Hände: "Das ist Ralph Krueger. Mir ist es völlig egal, ob ich mit dieser Reklame mein Image beschädige. Beretta ist ein super Sponsor, der seit langem viel für den Jugendsport tut. Ausserdem wollte ich einmal ein Zeichen zugunsten der Schiedsrichter setzen, die normalerweise nur ausgepfiffen werden. Das ist angekommen. Was gibt es Schöneres, als Menschen eine Freude zu schenken?"

Ralph Krueger ist ein Mann, der seinen Gefühlen vertraut. Auf dieser Basis kann er sich auch spontanes, überraschendes Verhalten erlauben, das bei jedem anderen nur peinlich wirken würde. Regelrecht Furore machte er mit jener berühmten SMS-Botschaft, die er seinen Spielern an der WM in Russland vor dem entscheidenden Spiel gegen die Gastgeber schickte: "Glaube an das Unmögliche und es wird möglich, aber egal was passiert, wir gehen heute nicht als Zweite vom Eis im Bereich Kampf und Einsatz." Dass die Schweiz tatsächlich gewann, setzte der SMS-Geschichte die Krone auf. Ralph Krueger wurde zum Magier der Kommunikation und Motivation verklärt. Er selber relativiert: "Dass ich diese Botschaft verschicken konnte, ohne dass sich meine Spieler halbtot lachten und sagten: ‚What an idiot! Was ist denn in den gefahren?', hängt mit unserer Vorarbeit zusammen. Nur auf der Basis von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis kannst du mit solch emotionalen Überraschungen kommen." Nur dann, ergänzt er, kannst du öffentlich auch sagen: "Ich liebe meine Spieler." Wohl wahr, denn die Vorstellung, der ehemalige Eishockey-Nationaltrainer Simon Schenk, ein behäbiger Berner, hätte seiner Mannschaft eine vergleichbare Liebeserklärung gemacht, löst nichts als Befremden aus.

Krueger liebt seine Spieler zwar, aber er fordert von ihnen auch Härte, Kampfgeist, Aggressivität und vollen Einsatz. Wer sich drückt und "unehrliche Arbeit" leistet und sich damit unsolidarisch gegenüber seinem Team verhält, soll es mit einem Coach zu tun bekommen, der sauer, und, wenn es ganz dick kommt, sogar sehr verletzend auftreten kann. Wir hören und staunen. Uns gegenüber bleibt er bis zum Schluss äusserst zuvorkommend. Leiseste Unstimmigkeiten im Gespräch sucht er sofort zu zerstreuen. Harmonie ist offensichtlich sein Ziel. Unser Spaziergang in den herbstlich verfärbten Parkanlagen rings um die Eishalle neigt sich dem Ende zu. Wir verabschieden uns. Ralph Krueger zeigt sich angetan von dem anregenden Gespräch. Das macht er immer so, verrät uns die gutdokumentierte Schweizerische Mediendatenbank. Als wir bereits ins Auto steigen wollen, ruft er uns gutgelaunt einen Gruss an die "Annabelle"-Leserinnen hinterher und die Aufforderung, mehr für den Aufstieg von Frauen in Kaderpositionen zu tun. Wir winken ihm nochmals zu und fahren ab.

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© Barbara Lukesch