GC-Stürmer Kubi - was für ein Kerl!

Liebeserklärung / April 1998, "Die Weltwoche"

Symbolbild zum Thema Sport

Mit aufreizender Langsamkeit und sparsamsten Bewegungen setzt Kubi sich nur mühsam in Gang. Kein Schritt zu viel, kein Sprint, wenn es nicht unbedingt sein muss. Kubi schont sich - wieder einmal. Niemals würde er beim Einlaufen freiwillig das Letzte geben, wie es Captain Mats Gren ununterbrochen tut. Kubi tändelt, streichelt den Ball, schiesst beiläufig (und dennoch scharf) aufs Tor, knufft einem Teamkollegen freundschaftlich in den Oberarm - es macht einfach unheimlich viel Spass, dem Mittelstürmer mit dem mächtigen muskulösen Hintern und den gewaltigen Schenkeln beim Aufwärmen zuzusehen. Lasziv zieht er seine Kreise und dreht als erster ab, wenn es nochmals in die Kabine geht.

Doch mit dem Anpfiff wacht Kubi auf und zeigt, was er auf dem Rasen kann: Alles. Wann immer er am Ball ist, herrscht beim Gegner Grossalarm. Ob Flanke, Dribbling, Doppelpass oder Schwalbe - Türkyilmaz lässt keinen kalt, weder auf dem Rasen noch auf der Tribüne. Die Gegner fürchten, anerkennen und hassen ihn zugleich, die Schiedsrichter biedern oder legen sich an, die jugendlichen Fans sind entzückt, die honorigen Männer auf den Hardturmtribünen ziehen befriedigt an ihren Stumpen. Und manche Zuschauerin ist schlicht hin: Was für ein Mann, was für ein Körper, was für eine Ausstrahlung!

Ein gut gekleideter Musterschüler

Szenenwechsel. Der Star und sein Anwalt sind im Anmarsch. Untrügliches Zeichen dafür ist der jähe Kleiderwechsel des Präsidenten, der der Journalistin noch im legeren grauen Rollkragenpullover gegenübersass und nun reflexartig sein elegantes Jacket überstreift, um dem hohen Besuch seine Ehrerbietung zu erweisen.

Und dann steht Kubilay Türkyilmaz da. Wie ein Tier, das seine Deckung nur zögerlich aufgibt, linst er zunächst um den Türpfosten, um jener Person angesichtig zu werden, die ihm GC-Präsident Romano Spadaro überraschenderweise und nur dank einer zufälligen zeitlichen Überschneidung präsentiert. Der Fussballer fasst sich schnell, ist ausgesucht höflich und besticht durch seine perfekte Garderobe. Die mitternachtsblaue Hose, der hautenge schwarze Pullover und ein Gurt mit grosser unübersehbarer Metall-Schnalle verraten einen äusserst modebewussten Menschen. Seine gelierten schwarzen Locken und das strichdünne Bärtchen am Kinn und auf der Oberlippe lassen ihn überraschend eitel erscheinen. Er wirkt viel feiner und kleiner als auf dem Fussballfeld. Einem Musterschüler gleich gibt er Antworten, mit denen sein Präsident mit Sicherheit zufrieden ist: "Meinen Erfolg habe ich meinem Arbeitgeber GC zu verdanken."

Kubi ist ein Star mit magnetischer Anziehungskraft. Sechzig Prozent der Zuschauer besuchen, gemäss Einschätzung eines hohen GC-Funktionärs, nur wegen ihm den Hardturm. Mehr als die Hälfte der rund 1500 numerierten Trikots, die sich die Fans jede Saison erstehen, tragen die "11" und das liebevolle "Kubi"-Kürzel auf dem Rücken. 1996 und '97 wurde Kubi zudem zum "Fussballer des Jahres" erkoren. Noch selten hat ein Fussballer in diesem Land Junge und Alte, Frauen und Männer, Linke und Bürgerliche gleichermassen in seinen Bann zu ziehen vermocht wie der gebürtige Türke mit dem Schweizer Pass. Kubi ist ein Phänomen mit vielen Facetten.

"80 Kilogramm reines Talent

Die Fussballexperten geraten ins Schwärmen, wenn sie den "körperlichen Hochprozenter" (Ex-GC-Trainer Christian Gross), bestehend aus "achtzig Kilogramm reinem Talent" (Sportmanager Guido Tognoni) charakterisieren sollen. Da ist die begeisterte Rede vom "Instinktspieler, der den Fussball im Blut hat", von der "atemberaubenden Schnellkraft des 1,82 Meter grossen Sturmtanks", dessen "explosiver Antritt" unerreicht sei. Einem "Raubtier" gleich, so ein Insider, verfüge er über einen ausgesprochenen "Killerinstinkt", erkenne jede Schwäche seiner Gegner und nütze sie brutal aus.

In Christian Gross hatte Kubi seinen idealen Trainer gefunden und in Präsident Spadaro, gemäss eigener Worte, gar einen späten "Vaterersatz". Beide zusammen verabreichten ihm genau die Art von Streicheleinheiten, Anerkennung und Zuwendung, die der "Sensible" (so Spadaro) braucht und ihnen denn auch mit Dutzenden von Toren und Traumpässen vergolten hat. Viorel Moldovan, der rumänische Internationale, und er wurden zum GC-Dream-Team, das seinesgleichen im europäischen Spitzenfussball sucht. Das Umfeld auf dem Zürcher Hardturm war mindestens bis vor kurzem geradezu massgeschneidert für Türkyilmaz. Noch nie im Verlaufe seiner Karriere spielte der 31jährige so lange und konstant gut. Der Erfolg in der Champions League 1996 wäre ohne ihn, so Gross, gar nicht möglich gewesen.

Erfolg macht bekanntlich sexy. Kubis attraktives Äusseres verführt sogar Geschlechtsgenossen zu Komplimenten: "Er sieht so oder so gut aus", schwärmt Peter Rothenbühler, Chefredaktor der "Schweizer Illustrierten". Für Spadaro ist Türkyilmaz "ein guter und schöner Spieler". Der unlängst ermordete italienische Modezar Gianni Versace packte den körperbewussten Beau mit dem schmachtenden Blick zusammen mit dem Top-Modell Eva Herzigova in eine seiner Kollektionen.

Vorbild für die Jugend

Kubi hat zu allem hin auch die richtigen Freunde. Als Superstar Eros Ramazotti im Zürcher Hallenstadion auftrat, bestritt er die frenetisch umjubelten Zugaben in einem GC-Trikot - notabene mit der Nummer Elf. So paaren sich die Erfolgreichen und potenzieren ihre Strahlkraft gegenseitig. Das ist Spektakel pur, und lässt die Emotionen strömen. Doch damit ist das Phänomen Türkyilmaz noch nicht erklärt. Kubi versteht es, jedem und jeder etwas zu bieten. Zu ihm finden alle ihren individuellen Zugang, dank dem die Identifikation im Nu gelingt. So schätzt es der Zürcher Gemeinderatspräsident Werner Furrer, der sowohl SVP- wie GC-Mitglied ist, besonders, dass der solide Familienvater Türkyilmaz "weder Affären hat noch in Bars herumhängt und Koks schnupft wie Maradona" und damit der Jugend ein wertvolles Vorbild liefert. Mittlerweile ist Furrers Kubi-Bild etwas getrübt, denn das Ehepaar Türkyilmaz hat sich vor kurzem getrennt. Kinderlieb - betonen die Medien - soll der Star aber immer noch sein.

SP-Nationalrat Andreas Gross fährt vor allem darauf ab, dass es Kubi als klassischer Vertreter der zweiten Ausländergeneration "dank dem Fussball von unten nach oben geschafft hat" - und trotzdem sei er ganz der Alte geblieben: "herzlich, offen und zugänglich." Kubi ist - nach Einschätzung von Sportmanager Tognoni - "ein 'Touch'-Spieler, einer, der keinen unberührt lässt, ein grosser Spitzbube voller Schlitzohrigkeit und Eigenwilligkeit, den man einfach gern haben muss, obwohl - oder gerade weil er jeden Gegner im Wissen um die eigene haushohe šberlegenheit mit Verachtung straft." "Türkyilmaz", konstatiert denn auch der Hamburger Sozialwissenschafter und Wahl-Zürcher Günter Amendt, "verkörpert den Fussball-Künstler". Wenn er inspiriert sei und seine Meisterschaft zeige, versetze er das Publikum in einen Zustand der Fassungslosigkeit. Für einen Moment, so Amendt, vergesse man alles Hässliche und Nachteilige, das sich um den Profifussball ranke, und lasse sich ganz in den Bann seiner Spielkunst ziehen.

Geniale Primadonna

Selbst die etablierte Zürcher Politprominenz hat einen Satz zum Fussballstar auf Lager. Polizeivorstand Robert Neukomm ist fasziniert von der "Mischung aus Primadonnenhaftigkeit und fussballerischer Genialität", derweil Stadtpräsident Josef Estermann den "Wirbelwind" erkennt, "auf dem alle Torhoffnungen ruhen, und der mitunter die Gnade hat, sie zu erfüllen." Regierungsrätin und GC-Mitglied Rita Fuhrer steht da schon eher mit beiden Beinen auf dem Rasen: "Seine Präzision und Reaktionsgeschwindigkeit sind beachtlich." Um Kubi herum ist immer Theater. Sei es, dass er die verrücktesten Tore schiesst, die offensichtlichsten Schwalben produziert, die Schiedsrichter entweder mit seinem oft hart an die Grenze gehenden körperbetonten Einsatz oder seinem endlosen Gemeckere zum Wahnsinn treibt. Schiedsrichter Urs Meier kommt um die Einsicht nicht herum: "Türkyilmaz ist enorm schwierig zu pfeifen, denn er ist mit allen Wassern gewaschen".

Clever ist Türkyilmaz, das muss man ihm lassen. Anders als sein ehemaliger Nationalmannschafts-Kollege Alain Sutter verzichtet er darauf, altkluge Dümmlichkeiten über Gott und die Welt zu verbreiten. Da bleibt Kubi lieber stumm. Nicht einmal Fussball-Experte Günter Netzer hat ihn je reden gehört. Kubi spricht Italienisch und Französisch - und ist mithin in der vorteilhaften Lage, dass er sich nicht in irgendwelchen deutschsprachigen TV-Talk-Shows um "Kopf und Kragen reden kann", wie es Amendt bei zahlreichen Bundesliga-Stars immer wieder erlebt hat. Nicht zuletzt deshalb umgibt ihn die Aura des Rätselhaften und Verruchten: Stille Wasser gründen ja nun einmal tief. Wer vielsagend schweigt, öffnet den Phantasien Tür und Tor. Das ist auch bei Kubi nicht anders.

Frauen träumen vom Latin Lover, hinter dessen verschmitzten Lächeln und glutäugigem Charme sich ganze Lore-Romane ansiedeln lassen. Doch auch die Männer erwischt es. Bruno Büchel, der 43jährige Präsident des GC-Fanclubs "Die Heugümper", sieht in Kubi eine Art "Rocky", will sagen, einen "lonesome hero", der sich während seiner harten Kindheit und im rauhen fussballerischen Alltag Italiens und der Türkei einen Schutzwall zimmern musste und nur noch wahre Freunde in das Innere seines Herzens blicken lässt. Auch TV-"Ventilator" und Witzbold Frank Baumann hat sich seinen ganz persönlichen Kubi gebastelt: "Ich bewundere sein Rebellentum, seine politische Unkorrektheit, seine schmutzigen Phantasien, die er als origineller Liebhaber auch auszuleben wagt - mithin all das, was mir fehlt."

Spezielles Verständnis von Humor

Angesichts dessen, was Kubi real zu bieten hat oder mindestens gedanklich zu wecken vermag, geraten seine Schwächen schnell einmal in den Hintergrund. Undiszipliniert und launisch soll er sein? Vergessen. Egoistisch und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht? Geschenkt. Dass er zum läppischen Bubenstreich neigt, in einem Trainingslager die Türklinken mit Zahnpasta einschmiert oder alle vier Reifen vom Auto des GC-Kollegen Nestor Subiat abmontiert, mag einem speziellen Verständnis von Humor entspringen. Sei's drum.

Heikler wurde es im Verlauf des letzten Jahres, als sich die Meldungen über mutmassliche Tätlichkeiten mit Verletzungsfolgen, verübt an Gegenspielern oder gegnerischen Fans, zu häufen begannen. Der Star schien zusehends aus dem Gleichgewicht zu geraten. Doch einer wie Kubi geniesst dermassen viel Goodwill, dass ihm alle bereitwillig verzeihen. Künstler, heisst es, seien eben leidenschaftlich und impulsiv und dürften in der Stunde der Wahrheit auch einmal über die Stränge hauen.

Selbst der "Blick", der ihn im Verlauf der letzten Monate hart anfasste, blieb wirkungslos: Kubi ist Kubi, und diese 'amour fou' kann nur einer beenden: Türkyilmaz selber - wenn er Präsident Spadaro, den Grasshoppers und uns, seinen ergebenen Fans, den Rücken kehrt.

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© Barbara Lukesch