"Es ist ein Wunder, dass es funktioniert hat"

Erschienen 2006, Xanthippe-Verlag / 12. Kapitel: Hanspeter Usters politische Bilanz

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Sie sind vor sechzehn Jahren als Marxist in die Zuger Regierung gewählt worden, als was treten Sie ab?

Hanspeter Uster (überlegt lange): Als Linker und Grüner, der seinen politischen Grundsätzen treu geblieben ist und einiges in diesem Kanton bewegen konnte.

Als Sie im Juni 2006 Ihre Ständeratskandidatur bekannt gaben, bezeichneten Sie sich in einem "Schweiz aktuell"-Interview ausdrücklich nur noch als "Grünen". Das haben viele Leute aufmerksam notiert.

Ich habe gesagt, ich wäre der erste Grüne, der in den Ständerat gewählt würde. Das ist eine wichtige Botschaft, die unter anderem auch in die SDA-Meldung aufgenommen wurde und genau die von mir beabsichtigte Wirkung auslöste: Die Frage nach weiteren Ständerats-Kandidaturen von Grünen wurde gestellt. "Le Temps" widmete diesem Thema einen grossen Artikel, denn in den Kantonen Waadt und Genf werden auch zwei Sitze in der kleinen Kammer frei. Dazu wollte ich die enge Verbindung von uns Alternativen und den Grünen im Kanton Zug zum Ausdruck bringen.

Aber wo bleibt da Ihr parteipolitisches Profil?

Wer gehört oder gelesen hat, welche Inhalte ich vertrete, merkt sofort, dass ich mich nicht auf ökologische Themen beschränke, sondern nach wie vor sozialen Fragen und dem Thema der Solidarität grosses Gewicht beimesse. Abgesehen davon habe ich mit der Bezeichnung Grüner keine Probleme, denn die Partei ist klar links positioniert, seit der Abspaltung der Grünliberalen noch viel klarer.

Im sechzehnten Jahr Ihrer Amtszeit haben Sie sich von Bundesrat Blocher mit der Leitung eines Projektausschusses betrauen lassen, der die Bundesanwaltschaft, die Bundeskriminalpolizei und das Untersuchungsrichteramt, kurz die Strafverfolgung auf Bundesebene, untersucht und Vorschläge für das weitere Vorgehen machen soll. 1990 wäre es unvorstellbar gewesen, dass der Marxist für den rechtsbürgerlichen Justizminister gearbeitet hätte...

(Lacht) Damals war Christoph Blocher auch noch nicht im Bundesrat...

Kommen Sie! Warum haben Sie jetzt zugesagt?

Ich habe zugesagt, weil mich die Aufgabe fachlich interessiert und weil sie Kompetenzen erfordert, über die ein langjähriges Regierungsmitglied mit juristischer Ausbildung verfügt. Kommt dazu, dass ich in Mandaten wie dieser Projektleitung auch eine Perspektive für meine berufliche Zukunft sehe. Es muss ja nicht immer derselbe Auftraggeber sein (schmunzelt).

Diesmal war es aber SVP-Bundesrat Christoph Blocher, Ihr politischer Gegner schlechthin.

Natürlich habe ich mir diese Frage auch gestellt. Wir sind diametral anderer Meinung in Asylfragen, beim Staatsschutz und bei der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, um nur einige Beispiele zu nennen. Entscheidend für meine Zusage war die Zusicherung, dass der Schlussbericht des von mir geleiteten Projektausschusses integral veröffentlicht wird. Damit waren allfällig politische Bedenken ausgeräumt.

Es muss Sie doch aber irritiert haben, dass Christoph Blocher ausgerechnet Sie angefragt hat. Das könnte auch heissen, dass er den Eindruck hat, Sie seien inzwischen handzahm geworden.

Ich habe ihn kürzlich gefragt, warum er mich ausgewählt hat. Erstens hätte ich sechzehn Jahre Erfahrung als Regierungsrat und Vorsteher einer Direktion. Zweitens würde ich Ende Jahr aus dem Amt ausscheiden. Drittens hätte ich über die Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz Erfahrungen mit dem Thema sammeln können, und viertens sei ich nicht Mitglied seiner Partei. Handzahmheit lässt sich aus den vier Gründen, die er mir in dieser Reihenfolge genannt hat, jedenfalls nicht ableiten.

Wie bewerten Sie Ihre Regierungszeit, gemessen am strategischen Ziel eines Linken, das Sie selber einst so formulierten: "eine radikale soziale und ökologische Erneuerung"?

Das habe ich in keinem Bereich realisiert. Hingegen habe ich die Ermessensspielräume, über die ich verfüge, so ausgeschöpft, dass ich meine politischen Grundsätze so weit wie möglich umsetzen konnte. Nehmen wir die Asyl- uind Ausländerpolitik, einen jener Bereiche, in dem man klar zwischen linken und rechten Positionen unterscheiden kann. Natürlich gibt es auch im Kanton Zug Ausschaffungen und hat es sie in meiner Regierungszeit immer gegeben. In der ersten Hälte der neunziger Jahre gab es allerdings Phasen, in der ich sie für Algerier sistiert habe. Wir haben auch spezielle Anstrengungen unternommen, um den Betroffenen ihre Rückkehr nach Kosovo so erträglich wie möglich zu machen. Ausländer, deren Aufenthaltszweck die Arbeit ist, werden bei uns im Fall von Krankheit oder Unfall nicht ausgewiesen. Da reagieren andere Kantone sehr ungnädig. Aber ich habe immer gesagt, ich halte es für einen sozialen Skandal, wenn man einen Bauarbeiter 25 Jahre bei uns arbeiten lässt und ihn heimschickt, wenn er, häufig arbeitsbedingt, krank wird. In Einzelfällen haben wir sogar versucht, für Leute, die in andern Kantonen nicht mehr erwünscht waren, eine Aufenthaltsbewilligung in Zug zu bekommen. Aber letztlich sind das Einzelfälle, die grosse Politik ist das nicht.

Das klingt jetzt aber doch resigniert.

Nein, resigniert bin ich nicht. Aber die Asylpolitik hat sich vor allem auf eidgenössischer Ebene dauernd verschärft. Es gab mehrere Asylgesetzrevisionen, jetzt steht eine weitere an. Die bekämpfe ich, indem ich beispielsweise an Podien teilnehme und gegen eine Asylpolitik Stellung beziehe, die rein auf Abschreckung und Ausschluss von Fremden beruht.

Die Gleichstellung der Geschlechter gehört neben Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und Freiheit ebenfalls zu den politischen Zielen eines Linken. Was haben Sie für die Frauen in Zug getan?

Mir war es ein wichtiges Anliegen, dass Kaderstellen in meiner Direktion mit Frauen besetzt werden können. Wir hatten denn auch zeitweise eine Kripochefin und eine Amtsleiterin, die aber beide nicht mehr bei uns sind. Auch wenn solche Stellen ausdrücklich für beide Geschlechter ausgeschrieben werden, haben wir fast keine Bewerbungen von Frauen. Die Polizei ist halt immer noch eine Männerdomäne. Immerhin ist es uns bereits 1993 als erstem Kanton gelungen, eine Verkehrsexpertin für die Abnahme der Fahrprüfungen einzustellen. Zudem haben wir den Anteil uniformierter Polizistinnen nach und nach auf zehn Prozent steigern können.

Kurz nach Ihrem Amtsantritt waren Sie mit einem Geschäft konfrontiert, das Sie als Linken forderte: Sie mussten ein neues Feuerschutzgesetz entwerfen, das die Feuerwehrpflicht beziehungsweise die Pflicht zur Ersatzabgabe auch auf Frauen ausdehnte. Wie haben Sie sich aus der Affäre gezogen?

Mir war sofort klar, dass kein Weg an der Einführung der Feuerwehrpflicht für Frauen vorbeiführte. Alles andere wäre vor Bundesgericht als verfassungswidrig aufgehoben worden. Nun stand ich also vor der "attraktiven" Aufgabe, auch die Frauen zum Zahlen der hundertfränkigen Ersatzabgabe zu verpflichten – denn darauf läuft die Feuerwehrpflicht ja mehrheitlich hinaus. Das hat mir überhaupt nicht gepasst, und so haben wir das sogenannte Haushaltsmodell entwickelt, dem zufolge nur eine Person pro Haushalt Feuerwehrdienst leisten beziehungsweise die Ersatzabgabe zahlen muss. Ausserdem haben wir all jene Personen, in der Regel Frauen, die Betreuungsaufgaben wahrnehmen, von der Feuerwehrpflicht befreit.

Zug ist neben Uri der einzige Kanton, der den sogenannten Table Dance verbietet. Warum auf einmal dieser paternalistische Eingriff? Die Frauen können doch selber entscheiden, womit sie ihr Geld verdienen wollen.

Mir ging es um den Schutz von ausländischen Frauen, die in prekären Situationen leben und deshalb sehr schnell ausgebeutet werden können. Ich habe selten so viel zustimmende Post aus der Bevölkerung bekommen wie damals. Selbst Klosterfrauen schickten mir kleine handbeschriftete Kuverts und bedankten sich für meine klare Haltung in Sachen Table Dance.

Sie haben die meisten Ihrer Vorlagen durch den Regierungs- beziehungsweise Kantonsrat gebracht. Welche Abfuhr haben Sie am meisten bedauert?

(Überlegt) Da kommt mir nichts in den Sinn. Nach der ersten Ablehnung haben wir ja auch die Zusammenlegung von Stadt- und Kantonspolizei beim zweiten Anlauf durchgebracht. Sehr umstritten ist jetzt die leistungsabhängige Motorfahrzeugsteuer. Da wartet noch viel Überzeugungsarbeit auf mich, und ich bin nicht ganz sicher, ob ich dieses Geschäft bis Ende Jahr abschliessen kann. Interessant wird auch die Debatte zum neuen Polizeigesetz werden. Darin geht es um die Frage, welche Zwangsmittel und -massnahmen die Polizei unter welchen Voraussetzungen gebrauchen darf. Konkret: Wann darf sie schiessen? Wen darf sie kontrollieren oder verhaften? Das ist ein schwieriges Spannungsfeld. Nehmen Sie den sogenannten Wasserfallen-Artikel in Bern, gemäss dem die Polizei alle Personen, die stören, wegweisen kann. Da haben wir eine sehr eingeschränkte Formulierung gewählt, so dass man bei uns, salopp ausgedrückt, nicht alle, die verlaust aussehen, wegweisen kann.

Womit haben Sie das tägliche Leben der Zuger Bevölkerung am nachhaltigsten positiv beeinflussen können?

Die Schwerpunktsetzung und Organisation der Polizei hat wahrscheinlich die spürbarsten Auswirkungen auf den Alltag der Leute. Wir haben heute einen Sicherheitsstandard in Zug, de die Pole Freiheit einerseits und Sicherheit anderseits auf gut verträgliche Art miteinander verbindet.

Welche Spuren hinterlassen Sie auf nationaler Ebene?

Zum einen meine Aktivitäten zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, zum andern klare Stellungnahmen zur Asyl- und Ausländerpolitik. Ich habe beispielsweise die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht öffentlich bekämpft. Der Bereich, in dem ich wahrscheinlich am meisten bewirken konnte, ist der interkantonale, der in meinem Fall durch die Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz repräsentiert wird. Aufträge wie jenen zum Aufbau eines Nachdiplomstudiums Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität konnte ich in grosser Freiheit ausführen. Die Vorbedingung war, dass ich die fachlichen und finanziellen Ressourcen auftrieb. Ansonsten hatte ich freie Hand und musste kein Plazet von Parlament und Regierung einholen. Dieser Bereich ist wenig reguliert, aber auch wenig kontrolliert. Wer Initiative zeigt, hat hier beachtliche Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist vor allem für einen Minderheitenpolitiker eine grosse Chance, Profil zu bekommen, auch gesamtschweizerisch.

Was ist Ihr grösstes politisches Versäumnis?

Dass ich kein breit abgestütztes Integrationsprojekt für die ausländische Bevölkerung auf die Beine gestellt habe. Mir war die Bedeutung der Integration zwar bewusst, aber es mangelte mir am Überblick, vielleicht auch am langen Atem und an den Ideen, wie ich so etwas als Sicherheitsdirektor lancieren sollte, der ja nur für einen Teilaspekt zuständig ist. In einer Arbeitsgruppe zum Thema Jugendgewalt, die interdisziplinär zusammengesetzt ist, erfahre ich jetzt, wie wirkungsvoll das vernetzte Arbeiten sein kann.

In der Lokalpresse wurden Sie auch schon als "Staatsmann" bezeichnet. Können Sie sich mit diesem Begriff identifizieren?

Das ist mir zu abgehoben und klingt mir zu stark nach Staatsempfängen und Repräsentationspflichten. Ich selber spreche manchmal vom "Magistraten" und ziele damit auf meine Rolle als Regierungsrat, die unter anderem auch aus öffentlichen Auftritten, aber auch aus einer Arbeitgeberfunktion besteht.

War es Ihnen denn wohl dabei, jahrelang eine solche Rolle zu bekleiden?

Die Kunst besteht darin, eine solche Rolle zwar innezuhaben, sie aber einerseits nicht zu spielen und anderseits auch nicht zu stark zu verinnerlichen. Es ist mir, glaube ich, gelungen, diese Balance hinzukriegen.

Wie haben Sie das geschafft?

Intuitiv, mit Gefühl. Es ist oft eine Gratwanderung. Wenn ich an einen Feuerwehranlass gehe, muss ich mich zwar in diesem Umfeld bewegen und die Sprache der Anwesenden sprechen können, aber ich muss trotzdem auch Distanz zu ihnen, zu mir und meiner Rolle wahren. Verbrüderung wäre genauso unerträglich wie die unkritische Überidentifikation mit meiner Funktion. Dafür gibt es kein Rezept. Da muss jeder seinen eigenen Stil entwickeln. Ich verdanke es stark meinem Elternhaus, dass ich auch die Sprache der normalen Leute sprechen kann. Gleichzeitig bin ich dank Kantonsschule und Studium aber auch mit dem intellektuell-akademischen Milieu vertraut. Ich glaube, dass es mir viel bringt, dass ich immer in zwei Welten gelebt habe.

Ende Jahr ist Schluss mit Amt und Würde. Dann sind Sie wieder...

...Bürger Uster.

Welches Bild stellt sich dazu ein?

Ich weiss das noch gar nich so genau. Die Aura des Amts ist weg, dafür kann ich aber auch wieder unbeschwerter unter die Leute gehen und lockere Bemerkungen machen. Ich freue mich auf diese Veränderung in meinem Leben, glaube aber, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis ich mich, aber auch die anderen sich umgestellt haben.

Vielleicht gibt es ja eine Veränderung ganz anderer Art, und Sie werden Ende Oktober zum Ständerat gewählt. Der Entscheid zu kandidieren ist Ihnen schwer gefallen. Warum?

Ich habe nur Probleme gesehen: den Preis, den ich, aber auch meine Familie zahlen müssen, die Opfer, die wir bringen müssen, den Aufwand, der nur schon während des Wahlkampfs nötig ist. Inzwischen stelle ich fest, dass diese Kandidatur mir enormen Schub gibt. Ich fühle mich von meiner Familie und der Partei getragen, aber auch von vielen Leuten, die mich auf der Strasse ansprechen oder sich sonst äussern. Ich bin so froh, habe ich mich für die Kandidatur entschieden.

Was hat letztlich den Ausschlag gegeben?

Nachdem Kathrin und ich einen gangbaren Weg für die Familie gefunden hatten, wollte ich es irgendwie wissen, ob es nicht doch möglich sei, als erster Linker in Zug Ständerat zu werden. Ich habe gemerkt, dass ich die Arbeit gern machen würde, aber auch mit einer Niederlage leben könnte. Natürlich würde die mich ärgern, aber dahinter würde auch viel Freiheit auf mich warten, die sehr reizvoll ist.

Wie sehen also Ihre beruflichen Pläne aus?

Wenn ich Ständerat werde, bleibt neben der Familie wenig Platz für anderes. Ansonsten ist alles offen.

Können Sie sich einen Weg à la Thomas Held, Alt-68er, vorstellen, der Avenir Suisse dem Think Tank der Privatwirtschaft, vorsteht?

Nein. Ich bin immer noch von meinen politischen Ansichten überzeugt und sehe keinerlei Grund für einen Seitenwechsel.

Sie haben eine Direktion mit 450 Leuten geführt. Damit wären Sie prädestiniert, eine Firma zu leiten.

Die öffentliche Verwaltung und eine Firma der Privatwirtschaft sind zwei Paar Schuhe. Nein, für einen solchen Posten bringe ich weder die fachlichen Voraussetzungen mit, noch kann ich mich mit dem Hauptziel eines jeden Unternehmens, primär einmal Gewinn zu erwirtschaften, identifizieren.

Wenn Sie mit dem Wissen, was die sechzehn Jahre Ihnen bringen werden, nochmals vor der Frage stünden, ob Sie für den Regierungsrat kandidieren sollen – wie würden Sie sich entscheiden?

Wenn das Attentat nicht gewesen wäre, würde ich mich vorbehaltlos für die Kandidatur entscheiden. Die Arbeit entspricht mir und meinen Fähigkeiten, sie macht mir Freude, aber all das wiegt das Attentat nicht auf. Da bin ich etwas anders gestrickt als der Drehbuchautor in jenem Billy-Wilder-Witz, den ich kürzlich gehört habe: Der Teufel kommt zu diesem Drehbuchautor und sagt: "Du bekommst einen Oscar als bester Drehbuchautor, wenn du mir deine Seele verkaufst." Der Drehbuchautor kann es fast nicht glauben und lässt sich den Deal nochmals erläutern. Die beiden werden handelseinig und, bevor sich ihre Wege trennen, sagt der Drehbuchautor zum Teufel: "Und was ist der Haken an der Sache?"

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© Barbara Lukesch