Mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht es nach wie vor nicht zum Besten. Die meisten Väter glänzen zu Hause weitgehend durch Abwesenheit, um dafür am Arbeitsplatz mit Sondereinsätzen zu bestechen. Viele erwerbstätige Mütter kostet der Spagat zwischen inner- und ausserhäuslicher Arbeit ihre physische oder psychische Gesundheit.
Andere Frauen beschädigen durch die Doppelbelastung ihre Karriereaussichten. Dreissig Prozent der jungen Frauen verzichten inzwischen ganz auf Nachwuchs und bleiben kinderlos. Nicht zuletzt deshalb, ist anzunehmen, weil es in diesem Land immer noch Männer gibt, die mit einer Mischung aus Stolz und Trotz öffentlich erklären, "null Stunden" im Haushalt tätig zu sein, und dazu noch selbstgerecht verkünden: "Ich hänge nicht einmal den Kittel auf, wenn ich nach Hause komme." (Rolf Theiler, OK-Chef des Zürcher Reitturniers CSI im "Blick", 5. Dezember 2000)) Wie das? Lässt Herr Theiler beim Betreten der Wohnung einfach sein Jacket fallen und erwartet, dass sich seine Frau zu Boden beugt, um es ihm hinterherzuräumen?
Wir wissen es nicht. Was hingegen feststeht, ist, dass die Kombination von Familien- und Erwerbsarbeit hierzulande nur unter schwierigen Bedingungen lebbar ist. Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde 1997 in Luzern die "Beratungsstelle Familien- und Erwerbsarbeit für Männer und Frauen" gegründet, die sich unter dem Label "und..." die Verwirklichung der Chancengleichheit zum Ziel gesetzt hat. Finanziell unterstützt wird "und..." vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung. Die Aktivitäten zielen auf Privatpersonen, denen Austauschgruppen zum Thema partnerschaftliche Rollenteilung angeboten werden, auf Politiker und Politikerinnen, Bildungsinstitutionen und in besonderem Masse auf Unternehmen.
Status quo erheben
Im Wissen, dass es nicht zuletzt die Arbeitsbedingungen sind, die der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Wege stehen, entwickelte "und..." einen Kriterienkatalog, der Firmen und Verwaltungen dabei helfen soll, ihren Status Quo in Sachen Familienfreundlichkeit zu erheben. Darüber hinaus soll er ihnen Impulse für die Verbesserung der Work-Life-Balance ihrer Arbeitnehmenden geben. "So nimmt die Lebensqualität der einzelnen Frauen, aber auch Männer zu, ihre Arbeitszufriedenheit wächst, und letztlich profitieren alle: die Beschäftigten wie auch die Unternehmen," konstatiert der "und..."-Geschäftsführer Daniel Huber. Unter die Lupe genommen werden Aspekte wie Arbeitszeitmodelle, Rekrutierung und Anstellungsbedingungen, Lohnstrukturen, Kinderbetreuung, aber auch das betriebliche Klima.
Eines der ersten Unternehmen, das sich der Überprüfung durch den Kriterienkatalog unterzog, war Mobility CarSharing Schweiz. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. So verfügen die 145 Mitarbeitenden der jungen, rasant wachsenden Firma über echte Chancengleichheit in Bereichen wie Lohn oder Aus- und Weiterbildung. Sie haben Anspruch auf einen viermonatigen Mutterschafts- und einen immerhin einmonatigen ebenfalls bezahlten Vaterschaftsurlaub.
Mobility ist nach Einschätzung von Huber "aktiv in der Personalentwicklung und pflegt eine offene Kommunikationskultur." Anlass zu Kritik sah er in der mangelhaften Förderung und Verankerung von Teilzeitarbeitsplätzen auf allen Hierarchiestufen, im Fehlen von Frauen in der Geschäftsleitung sowie in der Tatsache, dass viele vereinbarkeitsfreundliche Regelungen wie die Hilfestellung bei der Kinderbetreuung mehr dem Zufallsprinzip genügen statt fester Bestandteil des Personalreglements zu sein. Huber schlug das Verteilen einer Liste mit Angeboten für die ausserfamiliäre Kinderbetreuung an die gesamte Belegschaft vor. Er plädierte auch für das Einführen einer betrieblichen Familienkonferenz, an der sich Väter und Mütter austauschen können.
Einjähriger Elternurlaub
Vorschläge dieser Art setzte Thomas Mebert, der Verantwortliche für Human Resources, innerhalb von Tagen um oder ging zumindest zügig deren Planung an. Die Neugestaltung des Personalreglements nahm mehr Zeit in Anspruch. Dafür erfolgte sie unter Einbezug von Mitarbeitenden aller Abteilungen und jeden Rangs und legte zahlreiche der von "und..." vorgeschlagenen Massnahmen schriftlich fest. So bietet Mobility seiner Belegschaft einen einjährigen unbezahlten Elternurlaub mit einer Stellenprozent-Garantie an. Neue Arbeitszeitmodelle wie die Jahresarbeitszeit und das Job-Sharing sind fest verankert. Bei Stellenbewerbungen wird gezielt auch nach innerhalb der Familie erworbenen Qualifikationen gefragt, die bei gleichwertigen Kandidaturen den Ausschlag geben.
Mebert erlebte die Diskussionen um den Kriterienkatalog als "fruchtbar und aufschlussreich". Der schriftliche Bericht sei innerhalb von Mobility zum "vielgelesenen Arbeitspapier" geworden, dem man es ansehe, dass es schon durch viele Hände gegangen sei.
Bei der Caritas Schweiz befand sich die betriebsinterne Gruppe Chancengleichheit in einer Sackgasse, als sie per Zufall auf die Beratungsstelle "und..." stiess. Man hatte zwar eine Frauenquote von 33 Prozent für Kaderpositionen verabschiedet; es existierte ein Reglement gegen sexuelle Belästigung; das Weiterbildungsangebot beinhaltete schon länger auch Workshops zum Thema "Rhetorik für Frauen", und innerhalb des Lohnsystems wurde soziale Kompetenz hoch bewertet.
Trotzdem gelang es nicht, die Situation der weiblichen Angestellten nachhaltig zu verbessern. Die Frauenquote bewegte sich zwischen 20 und 25 Prozent und kam nicht vom Fleck. In diesem Moment kam der "Kriterienkatalog" wie gerufen. "Und..." analysierte den 450 Personen-Betrieb und konnte ihm soviel Pluspunkte in Sachen "vereinbarkeitsfreundliche Arbeitsbedingungen" verteilen wie keinem zuvor.
Ball liegt bei der Geschäftsleitung
Gleichwohl bemängelt Huber, dass die Umsetzung der auf dem Papier formulierten Ansprüche in vielem noch nicht greife. Er vermisst die Gruppe Chancengleichheit mit ihren Angeboten auf der Website des Unternehmens und plädiert generell dafür, diese offensiver zu kommunizieren. Ein Vorschlag zielt auf die personelle Verstärkung der Fachgruppe; ein weiterer auf eine Mitarbeiter-Befragung, in deren Rahmen auch Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeschnitten würden. Bernadette Hodel, Leiterin Bereich Personal, ist beeindruckt von den vielen Anregungen, die sie auf diese Art erhalten hat: "Uns wurde ein Spiegel vorgehalten und eine Tür geöffnet, um unsere Anstrengungen fortzusetzen." Ende Januar wird die Geschäftsleitung beschliessen, welche Massnahmen realisiert werden.
Nicht in allen Unternehmen ist das Interesse am "und..."-Kriterienkatalog so gross wie bei Mobility und der Caritas Schweiz. Andernorts hört Geschäftsführer Huber oft, er renne mit seinem Angebot offene Türen ein, was heissen soll, es herrschten bereits vereinbarkeitsfreundliche Zustände. Gern werden auch "sonstige Prioritäten" ins Feld geführt, denen sich die Human Resources-Verantwortlichen der Firma zur Zeit widmeten. Trotzdem nahm die Zahl der Anfragen, die bei "und..." eintrafen, im Verlauf des letzten Jahres deutlich zu. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt, konstatiert Huber nüchtern, mache wieder einmal den Einbezug beziehungsweise Wiedereinstieg von Frauen nötig. Dermassen unter Druck geraten würden sich zahlreiche Arbeitgeber plötzlich überlegen, was sie dazu beitragen könnten, um das nach wie vor riesige Problem der ausserhäuslichen Kinderbetreuung zu lösen.
Grösste Kinderkrippe der Schweiz
Die DCL Data Care im Kriens LU geriet just in diese Situation, als sie vom Bundesamt für Statistik mit der Organisation der Volkszählung 2000 beauftragt wurde. 460 Personen mussten rekrutiert werden, um für die Dauer von ein bis zwei Jahren einfache Datenerfassungsaufgaben zu übernehmen. Was lag näher, als Frauen und insbesondere Wiedereinsteigerinnen "eine Chance zu geben", wie sich Geschäftsführer Peter Delfosse vornehm ausdrückt. Gleichzeitig setzte die DCL Data Care einen alten Plan in die Tat um und stampfte innert Kürze die grösste Betriebs-Kinderkrippe der Schweiz aus dem Boden, die Platz für 60 bis 80 Kinder bietet, im selben Gebäude wie die Firma untergebracht ist und die Benützer und Benützerinnen nicht mehr als einen symbolischen Beitrag von 20 Franken pro Kind und Tag kostet. Delfosse verspricht, dass dieses Angebot auch über die Volkszählung hinaus Bestand haben werde: "Kinderbetreuung ist heutzutage eine Attraktion, die einen Arbeitgeber auszeichnet und die wir nicht mehr preisgeben werden."
"Und..."-Geschäftsführer Huber bleibt skeptisch. Wenn einzig konjunkturelle Hochs solche Aktionen diktierten, sagt er, wisse man aus Erfahrung, dass mit deren Abflachen die Frauen als erste wieder an den Herd zurückgeschickt würden: "Das entspricht nicht unserer Philosophie. Wir sind in erster Linie an strukturellen und nachhaltigen Veränderungen zugunsten grösserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie interessiert."
Zurückhaltung zeigt Huber auch in Bezug auf die in der Schweiz boomenden Chancengleichheits-Preise. Die Alliance F, einst Bund schweizerischer Frauenorganisationen, zeichnete anlässlich ihres 100 Jahr-Jubiläums das familienfreundlichste KMU des Jahres aus. Der Schweizerische Kaufmännische Verband verlieh erstmals den Prix Egalité an Unternehmen und Verwaltungsbetriebe, die sich in Sachen Gleichstellung hervorgetan haben. Auch die Pro Familia ist momentan dabei, das familienfreundlichste KMU dieses Landes via Fragebogen zu ermitteln und möglicherweise - der Entscheid steht noch aus - zu prämieren. Dass das Thema Chancengleichheit dermassen grosse Aufmerksamkeit auf sich zieht, zeigt gemäss Huber, wie brisant, aber auch ungelöst es hierzulande ist. Trotzdem fragt er sich, ob Unternehmen speziell ausgezeichnet werden müssen, "die nichts anderes tun, als das Gleichstellungsgesetz zumindest teilweise umzusetzen, - mithin eine Selbstverständlichkeit."
Beratungsstelle "und...", Winkelriedstrasse 35, Postfach 2913, 6002 Luzern. Tel.: 079/443 51 57. E-Mail: und@centralnet.ch. Ab Januar: www.und-online.ch
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© Barbara Lukesch