Der Mann als Familienernährer hat auch heute noch kaum eine andere Perspektive als zu arbeiten. Die Soziologin Andrea Maihofer erklärt, warum das so bleiben wird.
Wo liegen punkto Erwerbsarbeit die fundamentalen Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Nach wie vor ist Männlichkeit zwingend mit dem Ausüben eines Berufs verbunden, während die Definition von Weiblichkeit noch immer ohne diese Zuordnung auskommt. Das heisst konkret, dass ein Junge von klein auf darauf vorbereitet wird, Fähigkeiten zu entwickeln, die es ihm später erlauben, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Gleichzeitig ist diese Perspektive für ihn jedoch auch ein Muss. Ein gleichwertiges alternatives Lebenskonzept gibt es für ihn bislang nicht. Mädchen bekommen dagegen noch immer in erster Linie vermittelt, dass sie Kinder kriegen, schön und fürsorglich sein müssen. Ihre Berufstätigkeit bleibt demgegenüber stets etwas Zweites, was hinzukommt.
Sind das nicht Rollenklischees, die langsam an Bedeutung verlieren?
Wenn Sie sich Werbung anschauen oder Filme, finden Sie exakt diese geschlechtsspezifischen Zuordnungen. Auch wenn Sie mit Eltern oder Lehrern reden. Obwohl die meist vehement behaupten, sie sähen und machten keine nennenswerten Unterschiede zwischen ihren Kindern beziehungsweise Schülern.
Das heisst also in letzter Konsequenz, ein «richtiger» Mann hat keine andere Wahl, als einer Berufsarbeit nachzugehen?
Für einen Mann ist es ausgesprochen schwer, sich gegen diese Lebensperspektive zu entscheiden. Ihm drohen soziale Sanktionen vielfältigster Art von Freunden, Chefs, Arbeitskollegen. So gesehen befindet er sich in einem sehr engen Korsett. Dazu ist es ja auch nicht damit getan, dass er irgendeinen Beruf ausübt. Von ihm wird erwartet, dass er in der Lage ist, dank seiner Erwerbsarbeit die ganze Familie zu ernähren. Für Frauen andererseits bedeutet die Entscheidung, einer Berufstätigkeit nachzugehen, dass sie ihre Lebensperspektive erweitern können. Haben sie ihren «Auftrag», Kinder zu bekommen, erfüllt, sind sie vor allem mit dem Problem konfrontiert, wie sie Familie und Beruf vereinbaren können.
Trotz zunehmender weiblicher Erwerbsarbeit ist also das Modell der so genannten Versorger-Ehe, in welcher die Männer Frau und Kindern ernähren, nach wie vor vorherrschend?
In der Schweiz und in Deutschland ist das sicher noch so. In Interviews zeigt sich, dass sich Männer in extremem Mass für ihre Familien verantwortlich fühlen. Sie verstehen sich als Ernährer und bekommen angesichts der wirtschaftlichen Krise immer mehr Angst, diese Rolle nicht erfüllen zu können. Das setzt sie sehr unter Druck. Für Frauen hat eine eigene Berufstätigkeit sehr viel mehr mit Selbstverwirklichung und Eigenständigkeit zu tun. Auch sehen sie darin eine Chance, beim Scheitern der Ehe allein zurechtzukommen.
Wie planen Männer ihre Karriere, wie Frauen?
Männer beschäftigen sich ihr Leben lang mit dem Beruf. Sie wissen von klein auf, dass sie bestimmte Schritte unternehmen müssen, um vorwärtszukommen. Egal ob sie nun Schornsteinfeger, Polizist oder Wissenschaftler werden, ihre Planungen verlaufen meist äusserst zielgerichtet. Frauen werden beim Thema Beruf sofort von anderen Fragen eingeholt: Will ich Kinder haben? Kann ich das bei diesem Beruf? Wann wäre es am günstigsten? Finde ich einen Partner, mit dem ich meine Pläne umsetzen kann? Sie denken also an alles mehr oder weniger gleichzeitig, während sich Männer zunächst ausschliesslich auf den Beruf konzentrieren.
Trotzdem sehen sich die «Nur»-Hausfrauen einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt?
Ja. Je mehr die Frauen in den Sog jenes Wertesystems geraten, das ausschliesslich die Berufsarbeit hochschätzt, umso mehr tragen sie selber dazu bei, diese Spirale der Abwertung von Hausarbeit und Kindererziehung zu verschärfen. Die Folge sind massive Selbstwertprobleme der so genannten «Nur»-Hausfrauen.
Finden Sie es denn sinnvoll, dass sich eine Frau ausschliesslich ihrer Familie und dem Haushalt widmet?
Nein. Ich halte jede Art von Einseitigkeit für ein Problem. Das schliesst nicht aus, sich phasenweise auf das eine oder andere zu konzentrieren. Aber über einen längeren Zeitraum ist das für jede Person, egal ob Frau oder Mann, zu wenig. Das sehe ich auf den Beruf bezogen im Übrigen ebenso.
In den letzten Jahren hat das Thema Arbeitslosigkeit an Brisanz gewonnen. Wie gehen Frauen damit um, wie bewältigen Männer diese Erfahrung?
Für Frauen bedeutet Arbeitslosigkeit in erster Linie ein finanzielles Problem, das allerdings bedrohliche Ausmasse annehmen kann. Daneben aber sagen sie schnell einmal: Okay, es gibt noch andere Dinge im Leben. Männer hingegen haben über ihre finanziellen Sorgen hinaus zudem ein Identitätsproblem. Verliert ein Mann seine Stelle, ist sein Leben, überspitzt formuliert, gescheitert. Wenn er nicht schnell eine neue Stelle findet, hat er selten eine tragfähige Vorstellung, was er sonst mit seinem Leben anfangen soll. Er macht ein bisschen Sport, werkelt herum oder trifft sich mit Kollegen, aber dann ist auch schon Schluss. Ohne Beruf geraten viele in eine existenzielle Krise. Sie wissen nicht mehr, wofür sie eigentlich da sind.
Frauen sind offenbar flexibler in ihrer Lebensgestaltung.
Sie leben ja seit jeher mit Unterbrüchen, neuen Anläufen, kurz mit Diskontinuitäten in ihren Biographien. Frauen wechseln ihre Berufe auch viel häufiger als Männer, sie machen eine Babypause, steigen wieder ein. All das gehört zum gesellschaftlich akzeptierten Frauenbild. Eine Frau «darf» das. In einer Männerlaufbahn aber stellt Arbeitslosigkeit einen Bruch dar, der nicht ins männliche Konzept passt und mit dem sie nur schlecht umgehen können.
Berufstätig zu sein, ist eins, berufliche Macht auszuüben, etwas anderes. Wie erleben Sie Frauen im Umgang mit Macht?
Für Frauen ist Macht bislang keine zentrale Grösse für ihr Selbstwertgefühl. Ich erlebe immer wieder, dass Frauen die Macht, die sie tatsächlich besitzen, nicht wahrhaben und schon gar nicht ausüben wollen.
Warum blenden Frauen die eigene Macht aus?
Aus Angst, damit dem gängigen Frauenbild nicht zu entsprechen. Frauen haben auch nicht gelernt, Macht positiv oder gar lustvoll zu besetzen. Jungs lernen schon beim Spielen, wie attraktiv es ist, über Macht und Einfluss zu verfügen - zumindest lernen sie, dass es für sie so sein sollte.
Männer verdienen immer noch rund 20% mehr als Frauen. Da drängt sich die Gleichung auf: «Männer sind mehr wert als Frauen».
Erstens verfügen Männer nun einmal über die Macht, die Werte in unserer Gesellschaft zu definieren, also auch Löhne festzusetzen. Es gehört ausserdem zum traditionellen Männerbild, anderes abzuwerten.
Professor Andrea Maihofer (50), hat in Mainz, Tübingen und Frankfurt Philosophie und Soziologie studiert. Seit Frühjahr 2002 steht sie als Direktorin dem Zentrum für Gender Studies der Universität Basel vor. Sie ist Mutter einer neunjährigen Tochter und lebt mit ihrer Familie in Basel.