Wenn alle sagen, das schaffst du nicht, will Inge Keller erst recht. Genauso war es vor elf Jahren, als die Österreicherin mit Schweizerpass beschloss, ihren Arbeitsort von Zürich nach Luzern zu verlegen. Im Milieu warnte man sie vor dem Mief der katholischen Innerschweiz, der ihr Probleme mit Polizisten, Behörden, Hausbesitzern, Nachbarn und anderen Sittenwächtern bescheren werde.
Doch Inge Keller hatte ihre eigene Rechnung gemacht und erhoben, dass ganze drei Salons den rund 130'000 männlichen Bewohnern des Kantons offenstanden. Das Mengenverhältnis, befand die einstige Studentin der Betriebswirtschaftslehre, stimmt so nicht. Inge Keller leistete fortan Pionierarbeit.
Waren seinerzeit nur Salons mit maximal zwei Prostituierten gestattet, trotzte sie den Behörden die erste Bewilligung für einen grösseren Betrieb ab. "Inge's Palace" an der Hauptstrasse des Agglomerationsdorfes Root war sodann der erste Saunaclub unter Luzerner Flagge. Ein Novum stellte auch ihre Peep-Show dar, die sie vor eineinhalb Jahren in der putzigen Luzerner Altstadt aus dem Boden stampfte.
Inzwischen ist die 36jährige Sexunternehmerin und einstige Domina in der Stadt am Vierwaldstättersee so bekannt wie ein bunter Hund. Mit einzelnen Regierungsräten ist sie längst per du, und wenn die Inge einen Termin will, hat sie ihn im Nu. Klar, wünschen ein paar Ewig-Gestrige sie ins Pfefferland, wenn sie die vermeintlich keusche Idylle mit Porno-Kabinen und Slogans wie "Es Stützli für's Fützli" in ein Sündenbabel zu verwandeln droht. Doch wenn sie brav ihre Billetsteuern in inzwischen sechsstelliger Höhe zahlt und dann und wann etwas zugunsten armer Kinder spendet, zeigen sich an einer Wohltätigkeitsgala auch die Honoratioren der Stadt gern einmal Seite an Seite mit der attraktiven Geschäftsfrau.
Das "Roma" für die Legionäre
Für so feine Herren ist denn auch ihr neues Exklusiv-Etablissement in Sempach gedacht: Das "Roma", in dem Männer, verspricht Keller, "wie Legionäre, die aus dem Krieg heimkommen, verwöhnt, gesalbt und im Liegen gefüttert werden." Wer es besonders diskret braucht wie zum Beispiel Geschäftsherren mit ihren Kunden, kann den mit weissem Marmor, goldenen Wasserhähnen und italienischen Seidenstoffen ausgestatteten Klub (mitsamt Butler, Koch und Gespielinnen) mieten und es unter Wandschmuck wie Speeren, Lanzen und Schildern wie ein alter Römer treiben. Bedacht auf Originaltreue hatte sich die umtriebige Unternehmerin im Vorfeld des Innenausbaus mit einem Dutzend Büchern und Bildbänden Über die Antike eingedeckt und sich über die Kultur jener fernen Epoche schlau gemacht. Ihre Kundschaft weiss soviel Exklusivität zu schätzen und zahlt klaglos den luxusbedingten Aufpreis.
Trotzdem will Inge Keller mit 40 Jahren einen Schlussstrich ziehen: "Dann mach' ich den Abgang - wegen der Nerven." Das Business sei brutal geworden. Heute, blafft sie, eröffne doch jeder arbeitslose Maurer einen Sexsalon, beschäftige fünf Russinnen und mache den Markt mit Dumpingpreisen kaputt. Darüber hinaus sei sie auch empfindlicher geworden für die "beschissene Doppelmoral unserer sogenannt anständigen Gesellschaft". Da trinke ihre Nachbarin fünf Jahre lang mit ihr Kaffee und sei nett und freundlich zu ihr. Seitdem sie wisse, in welcher Branche sie arbeite, meide sie sie: "Jetzt ist mein Kaffee offenbar nicht mehr gut genug." Oder "der anonyme Depp", der ihre Hausbesitzerin anrufe und sich scheinheilig erkundige, ob diese eigentlich wisse, was Frau Keller beruflich treibe. "Woher", fragt sie erzürnt, "weiss der das so genau, wenn er nicht selber Kunde in einem meiner Läden ist?"
Nüchtern wie sie ist, schätzt sie auch das Lächeln des Bankangestellten, bei dem sie Aktien kauft, nicht als Ausdruck von Sympathie sondern Geringschätzung ein. So sei das halt, konstatiert sie verbittert: "Wer einmal angeschafft hat, trägt sein Leben lang das Hurenzeichen an der Stirn, auch wenn er inzwischen ein Unternehmen mit dreissig Beschäftigten leitet."
Unter solchen Umständen könne sie sich auch eine Heirat, und noch dazu mit einem "Soliden", wie sie Männer ausserhalb des Milieus nennt, abschminken. "Prostituierten sind zum Bumsen da", sagt sie kalt, "aber nicht für daheim." In den wenigen Ausnahmen, die sie kenne, seien alle Frauen früher oder später von ihrer Vergangenheit eingeholt worden und hätten sich im Streit irgendwanneinmal an den Kopf werfen lassen müssen: "Alte Hure!" - "Das", sagt Inge Keller, "muss ich nicht haben."
Dominique tanzt auf dem Seil. Da betreibt er seit fünf Jahren das erste Schweizer Bordell von Männern für Männer, beschäftigt fast ausschliesslich Ausländer, ist immer noch verheiratet, auch wenn er bekennt, "mindestens zu 80 Prozent schwul zu sein" - und ist gleichzeitig Mitglied der SVP, jener Partei, die sich vor allem eins auf ihre Fahnen geschrieben hat: den Kampf gegen Randgruppen.
Eine wahrlich brisante Mischung. Der 46jährige Zürcher versucht sie zu entschärfen, indem er seine Identität und seinen Namen - je nach der Umgebung, in der er auftritt - ändert. Innerhalb des Milieus ist er Dominique, der schwule Sex-Unternehmer, der im Niederdorf, gemäss eigener Einschätzung, den Status einer "Gallionsfigur" hat. Taucht er im "Back Piper", seiner Stammbeiz, auf, strecken sich ihm zehn Hände zur Begrüssung entgegen: "Wenn ich in ein Lokal komme", konstatiert er selbstbewusst, "stehe ich sofort im Mittelpunkt."
An Parteiversammlungen trägt er seinen bürgerlichen Namen, gilt als Besitzer eines "Artist Service", was auch immer das sein möge, tritt linientreu für Ordnung und gegen das Stricherprojekt "Herrmann" auf. Erstaunlich, welche Widersprüche Menschen in sich vereinigen können.
Besinnung auf die "wahre Berufung"
Dominique kann das gut. Der Unternehmer, der ein Handelsdiplom erwarb und in der Folge zahlreiche mehr oder weniger florierende Geschäfte aufzog, wechselte auch die Branchen, in denen er tätig war, so locker wie andere Leute das Hemd. Es focht ihn nicht im geringsten an, sein Glück zunächst mit Sex-Artikeln und drei Jahre später mit den "Sunnei"-Eiern von zufriedenen Bodenhaltungshühnern zu probieren. Versuche als Taxi-Halter und Tankstellenpächter schlossen sich an.
Anfangs der neunziger Jahre besann er sich auf seine "wahre Berufung", wie er das Sex-Business nennt, und gründete einen Escort-Service für homo- und bisexuelle Männer. Er hatte realisiert, dass es in Zürich zwar ein reichhaltiges Angebot an Bahnhofs-Strichern, aber nichts für die auf höchste Diskretion angewiesenen Manager, Politiker und Anwälte gab, die gleichwohl hin und wieder Lust auf einen jungen, hübschen Boy haben.
1993 bezog Dominique eine Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung in der Altstadt und verwandelte sie in einen exklusiven Salon. Das erste Schweizer "House of Boys" etablierte sich im Nu. Sein Besitzer beschränkt sich zwar von jeher auf das Management und beteuert mit Nachdruck, dass er "nie im Leben" zur Prostitution fähig sei. Dafür hat er seine sechs bis acht sorgfältig ausgewählten Liebesdiener, die (fast) alle Kundenwünsche erfüllen. Wer es konventionell will, kann in das Massagezimmer. Der Banker mit den ausgefalleneren Neigungen lässt sich auspeitschen.
Dank der Revision des Sexualstrafrechts 1992 konnte Dominique sein Geschäft "offiziell und ordnungsgemäss" im Handelsregister anmelden. Zur Zürcher Sittenpolizei hat er ein ausgezeichnetes Verhältnis. Spätestens seitdem eine Razzia mit zehn Polizisten, die er einer Anzeige wegen Menschenhandels zu verdanken hatte, nichts Verbotenes zutage förderte, ist das Klima gut.
Sorgen hingegen bereitet ihm das Überangebot auf dem schwulen Sexmarkt. Da kann er sich ereifern, wenn er von den "80 Prozent illegalen Ausländern unter den Strichjungen" erzählt, fordert härteres Durchgreifen - nicht zuletzt, um der drohenden Aidsgefahr vorzubeugen. Seine Boys hält er zu striktem Kondomgebrauch an und schmeisst auch schon einmal eigenhändig einen gummiverweigernden Gast aus dem Salon.
Nun betreibt er das Sex-Business schon acht Jahre in Folge und gibt zu, dass ihn das "ständige Gerede über Schwänze und Füdli manchmal gewaltig ankotzt". Drei-, viermal pro Jahr nimmt sich deshalb der Chef, der behauptet, nicht mehr als ein höherer Angestellter zu verdienen, die Freiheit heraus und fliegt nach Fuerteventura. Auf der kanarischen Insel findet er Frieden, Natur, gesunde Luft und hat Distanz zum Geschäft. Hier kehrt der Sohn eines Italieners und einer Italienerin an seine Wurzeln zurück und verkehrt vor allem in Familien aus seiner ursprünglichen Heimat. Letzten Herbst blieb er so lange, dass ihm der Umsatz in Zürich zusammenbrach.
Die Zeit zu einem Wechsel ist reif. Dessen ist sich Dominique bewusst und hat, ganz "der alte Abenteurer- und Spielertyp", der er sei, bereits seine Fühler nach Neuem ausgestreckt. Ein "Beizli" soll es diesmal sein. Das ist eine gute Idee, denn dann kann er auch seiner 76jährigen Mutter wieder einmal reinen Wein einschenken, was er beruflich wirklich treibt.
Das Familienidyll ist perfekt. Ein dreijähriges Mädchen mit langen braunen Haaren und einem herzigen Kleidchen krabbelt auf's Sofa. Ihr zwei Jahre älterer Bruder, blond wie ein Engel, sagt artig "Bon Soir". Die Kinder wachsen zweisprachig auf, denn ihr Papi stammt aus Genf und ihre Mami aus der Deutschschweiz. Das dreistöckige Haus, in dem sie leben, steht in einem noblen Vorort von Zürich und ist nur mit dem Feinsten möbliert. Wenn die Vier einen Ausflug zu den Grosseltern im Welschland machen, nehmen sie den grossen grauen Mercedes 600.
Eine Schweizer Familie, wohlhabend, gutsituiert, wie es Tausende in diesem Land gibt: Menschen auf der Sonnenseite des Lebens also. Doch die heile Welt der Morands hat einen Schönheitsfehler, wenn man die Wertvorstellungen der Bevölkerungsmehrheit zum Massstab nimmt.
Tina Morand war während zwölf Jahren als Prostituierte tätig und führt noch heute an den Wochenenden das "Saphir", ihr Luxus-Etablissement in der Zürcher Rotlicht-Zone. Olivier Morand, ihr Gatte, mischt seit sieben Jahren im Sex-Business mit und betreibt seit zwei Jahren den mit 2000 Quadratmetern grössten hiesigen Sauna-Club, den "Zeus" im Industriequartier von Küssnacht am Rigi.
Die Kombination kriegt kein Mensch auf die Reihe. Kunden im "Zeus" staunen ungläubig, wenn der Chef von seinen kleinen Kindern erzählt. Nachbarinnen im vornehmen Wohnort trauen ihren Augen nicht, wenn sie realisieren, dass die Autobiographie "Ich bin eine Hure - Ein Leben ohne Tabus" von der reizenden Frau Morand von gegenüber stammt. Doch das Ehepaar ist so lange im Geschäft, dass es keine Lust mehr zu Versteckspielen hat.
Das Problem mit der Aufklärung
Einzig bei der Frage, wie sie eines Tages ihre Kinder über den Beruf ihrer Eltern aufklären sollen, geraten die beiden ins Stocken. Wie erzählt man denn seinem Nachwuchs, dass der Vater, einst Vermögensverwalter bei einer Grossbank mit glänzenden Karrierechancen, seine Stelle verlor, weil er sich weigerte, seine Beziehung zu einer Prostituierten, ihrer Mutter, aufzugeben? Oder: Wie macht man Sohn und Tochter klar, dass ihre Mutter mit zwanzig Jahren erstmals für Sex Geld nahm und fortan verschiedene Kundenbeziehungen aus ihrer Tätigkeit als Bankangestellte und Airhostess auch noch für ihr privates Sex-Business nutzte? Ganz abgesehen davon, dass sie bald einmal vollamtlich ins horizontale Gewerbe wechselte, sich als Domina und Gespielin vieler hochdotierter Herren einen Ruf weit über Zürich hinaus erwarb und heute auf ein selber erwirtschaftetes Vermögen von mehreren Millionen Franken blickt.
Inzwischen stellt der "Zeus" das wichtigste geschäftliche Standbein der Familie dar. Morand verwandelte das ehemalige Fitness-Center in einen grosszügigen Sauna-Club mit Rosa als Grundfarbe und altgriechischem Einschlag. Hier prangt ein steinerner "Zeus"-Kopf, da wird eine der Bars von Säulen getragen. Das Angebot ist vielfältig und reicht vom Hallenbad über den Whirl-Pool, Solarium, Massagezimmer und Liegewiese bis hin zum Restaurant und einer Bühne, auf der Spiel- und Strip-Shows in Reichweite der Kunden stattfinden und diese einladen, auch einmal zuzufassen. Eine Suite und vier mit Goldstoffen dekorierte und dezent illuminierte Separees stehen jenen Frauen und Männern offen, die sich zurückziehen wollen. Was dort getrieben wird, entzieht sich Morands Kenntnis.
Denn anders als in herkömmlichen Salons beschäftigt der 40jährige nur einen Geschäftsführer und einen Barkeeper, aber keine Prostituierte. Wer im "Zeus" verkehrt, kommt als Gast und zahlt Eintritt: Männer pro Abend 90 Franken, Frauen 150 Franken. Dafür steht ihnen die Infrastruktur des Hauses zur Verfügung. Den Preis für ihre sexuellen Dienstleistungen legt jede Frau mit jedem Kunden individuell fest. Das so verdiente Geld wandert allein in ihre Tasche.
Morand bevorzugt dieses System, da es ihn von allen Pflichten des Arbeitgebers gegenüber professionellen Prostituierten entbindet. Gleichzeitig übt es offenbar einen so grossen Reiz auf viele Frauen aus, dass der reibungslose Nachschub an "Frischfleisch" (ein "Zeus"-Gast) sehr zur Freude der Kunden garantiert ist. Noch toller finden es die Männer nur, wenn einmal pro Monat die Hausparty mit Dinner, Show und Tanz steigt. Dann ist der Club gerammelt voll, die Auswahl an Gespielinnen noch grösser, und "wir Gäste", sagt einer von ihnen, "fühlen uns wie im Schlaraffenland."
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© Barbara Lukesch